Es war einmal Archegos

Archegos ist, bzw. war bis vor einigen Tagen der Name für ein Family Office. Der Gründer, Bill Hwang, ist im Geschäft mit Derivaten kein Unbekannter. Archegos war de facto ein Hedgefonds, wegen weniger enger regulatorischer Aufsicht segelte das Konstrukt als Family Office daher.

Der/die/das 2013 gegründete Archegos galt als klein und wenig bekannt. Trotzdem kam der Fonds in den Genuss von Krediten im Bereich von 30 Mrd. Dollar. Wenn ein solcher Fonds scheitert, weil seine Wetten „hopps“ gehen, verlieren die Anleger des Fonds ihr Kapital und die finanzierenden Banken (oftmals in Personalunion) ihre Darlehen. Im Falle von Archegos geht es um etwa 10 Mrd. Dollar Kapital der Anteilseigner und die erwähnten 30 Mrd. Dollar an Krediten.

Kurzzeitig ging die Sorge um, dass der Fall einen Flächenbrand auslösen könnte. Derivate stecken in nahezu allen Finanzprodukten, Zins- und Währungsmärkte basieren auf Derivaten. Brutto beträgt der globale Derivatemarkt nach Angaben der BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) von vor einigen Jahren rund 600 Bill. Dollar. Ein großer Teil der ausstehenden Derivate sind außerbörsliche OTC-Derivate, die in Zweckgesellschaften außerhalb von Bilanzen von Banken und anderen Finanzinstitutionen stecken. Daher sind solche Angaben mit Vorsicht zu genießen, andere schätzen das Bruttovolumen demgegenüber auf mindestens 1.500 Bill. Dollar (siehe etwa hier!).

Oft wird eingewendet, dass das Netto-Volumen (nach Aufrechnung der Put- und Call-Positionen) nur einen Bruchteil beträgt. Es soll demnach um weniger als zehn Prozent des Brutto-Volumens gehen, also um ein Netto-Volumen zwischen 60 und 150 Bill. Dollar. Die „Implosionsgefahr“ wird so als beherrschbar angesehen.

Das trifft allerdings nicht, bzw. nur bei schönem Wetter zu. Erstens wird ein Großteil der Derivate-Spekulation Kredit-basiert betrieben. Das ist angesichts des Null-Zins-Umfelds besonders rentabel – wenn alles glatt geht. Geht etwas schief, nicht nur die Finanziers verlieren Darlehens-Kapital, auch die Anteils-Eigner von Hedgefonds verlieren zumindest einen Teil ihres Anlage-Kapitals. Zweitens: Wenn etwa Finanzinstitutionen durch die Schieflage eines Fonds selbst unter Druck kommen und gezwungen werden, andere Vermögensgegenstände, auch Derivate, zu verkaufen, stimmt die Rechnung mit der Netto-Bildung nicht mehr. Dann kann (auch durch die enge Verbindung der Finanz-Institutionen untereinander) ein Flächenbrand entstehen, so wie es 2008 nach der Pleite von Lehman Brothers geschah. Dann wird womöglich Netto schnell zu Brutto.

Die globalen Schulden belaufen sich mittlerweile insgesamt auf über 300 Bill. Dollar, der Derivatemarkt kommt brutto auf 600 bis 1.500 Bill. Dollar, weitere unbesicherte Verbindlichkeiten ergeben sich zu 500 Bill. Dollar (siehe hier!). Macht zusammen einen Betrag irgendwo zwischen 1.300 und 2.300 Bill. Dollar. Dem steht ein weltweites BIP von gut 83 Bill. Dollar gegenüber – wenn Sie so wollen, ergibt das einen globalen Multiplikator oberhalb von 16. Das zeigt das extreme Missverhältnis zwischen Finanz- und Realwirtschaft und damit auch die extreme Fragilität des Finanzsystems.

Entsteht ein solcher Flächenbrand, stürzen Preise und Kurse aller Vermögensgegenstände ab. Ob dann z.B. Unternehmensanteile wie Aktien noch einen Wert haben, hängt davon ab, ob das Unternehmen seine Schulden bedienen kann, weil es genügend Einnahmen generiert. Auch Immobilien sind per se nur dann werthaltig, wenn ausreichende Einnahmen aus Mieten oder Pachten hereinkommen. Schuldner ohne ausreichende Einnahmen rutschen in die Insolvenz, Banken werden zum Eigentümer ihrer Assets. Da deren Wert aufgrund des Flächenbrands einbricht, werden die Banken solche Vermögenswerte auf den Markt werfen. So beschleunigt sich der Druck auf die Preise und Kurse. Dann haben liquide Schnäppchenjäger ihre große Chance, vorausgesetzt, ihre flüssigen Mittel sind dann noch etwas wert.

Wie aufgebläht die Bankensysteme sind, zeigen die folgenden Relationen: Das Schweizer Bankensystem ist fünfmal so groß wie die Wirtschaftsleistung des Landes, das europäische Bankensystem liegt über dem Faktor drei. In den USA kommt das Verhältnis auf unter eins. Die Assets der Schweizer Zentralbank SNB belaufen sich auf 145% des Schweizer BIPs. Die EZB kommt auf 54%, bei der BoJ sind es 160% (jeweils bezogen auf die entsprechenden BIPs). Im Vergleich dazu nimmt sich die Bilanzsumme der Fed mit 33% des BIP der USA konservativ aus.

Zurück zu Archegos: Der Fonds hatte Beziehungen zu verschiedenen Prime Brokern, Goldman Sachs, Morgan Stanley, Nomura und Crédit Suisse (CS). Während die ersten Beteiligten die ihnen hierdurch entstandenen Verluste offenbar ohne viel Federlesen „wegstecken“ können, dürfte es bei der CS anders aussehen. Sie hat mit Abschreibungen, Handelsverlusten und Straf-Zahlungen in der zurückliegenden Dekade mehr als zehn Mrd. Dollar verloren.

In 2021 hat die Crédit Suisse bislang 450 Mill. Dollar abgeschrieben für Investitionen in den Hedgefonds York Capital. In Verbindung mit den Zusammenbruch des Hedgefonds Greenshill Capital werden Verluste von 3 Mrd. Dollar erwartet, was den Netto-Einnahmen in 2020 entspricht. Das nächste Desaster für die CS ist Archegos. Die Verluste übersteigen hier womöglich 6 Mrd. Dollar. Damit summieren sich die Belastungen alleine in 2021 bis jetzt schon auf über neun Mrd. Dollar, in vier Monaten fast so viel wie in der gesamten Dekade zuvor. Wenn das mal gutgeht… Die CS könnte die Spitze des Eisbergs sein.

Ergänzung:
In diesem Zusammenhang sei auf eine Aussage von Niklaus Blattner verwiesen, von 2003 bis 2007 Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank: Man sollte nicht nach immer feineren Methoden der Finanzmarkt- und Bankenregulierung zur Verhinderung neuer Krisen suchen, sondern die Banken verpflichten, statt wie bisher bloß wenige Prozent zum Beispiel 20 Prozent der Bilanzsumme an Eigenkapital zu halten.

Nachtrag:
Siehe auch hier: "Diverse Altlasten holen die CS im unglücklichsten Moment ein"

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