Etliche Jahre lang galt die Volksrepublik China als Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft. Auch deutsche Unternehmen haben mit dem Land gute Geschäfte gemacht. Die Verflechtungen der chinesischen Wirtschaft mit anderen Ländern sind inzwischen so bedeutend, dass eine wirtschaftliche Schwächung des Riesenreiches weitreichende Auswirkungen über das Land hinaus haben würde.
Chinas Premierminister Li Keqiang sprach in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht während des Nationalen Volkskongress im März von einer „neuen Normalität“, auf die das Land zustrebt: Es werde schwieriger, „ein stabiles Wachstum aufrecht zu erhalten“, sagte er. Für 2015 prognostiziert er ein Wachstum von ungefähr 7%. Das wäre der niedrigste Wert seit 1990. Schon im vergangenen Jahr machte sich Schwäche bemerkbar, das seinerzeitige Wachstumsziel von 7,5% wurde knapp verfehlt.
Der Start der chinesischen Wirtschaft in das neue Jahr war schwach. Der Industrie-Ausstoss ging im März um 5,6% y/y zurück, die Einzelhandelsumsätze legten „nur“ um 10,2% zu. Die Investitionstätigkeit nahm im ersten Quartal um 13,5% ab, die Immobilienverkäufe gingen um 9,3% zurück. Die aktuellen Exportzahlen legen nahe, dass dies erst der Anfang war. So sind die Exporte zuletzt im Vergleich zum Vorjahresmonat um 15% zurückgegangen, die Einfuhren sanken um 12,9%. Das BIP legte im ersten Quartal lediglich um 7% zu (Chartquelle), die niedrigste Wachstumsrate seit sechs Jahren. Diese Entwicklung könnte sich nicht zuletzt auf den Arbeitsmarkt auswirken. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 5,1%.
Beobachter rechnen für die Zukunft mit dauerhaften Wachstumsraten von vier bis sechs Prozent – aber nur, wenn es die Regierung schafft, die sich aus der nachlassenden Dynamik ergebenden sozialen Folgen und Interessenkonflikte in den Griff zu bekommen. Zusätzlich muss es gelingen, dass der inländische Konsum die treibende Kraft wird in der 2013 beschlossenen Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die von der übermäßigen Ausrichtung auf Infrastruktur-Investitionen und Exporte wegführen soll.
Natürlich wirkt sich die Dollar-Stärke (oder Euro-Schwäche) auch in China aus. Seit Jahresanfang verlor der Euro 15% gegenüber dem mehr oder weniger an den Dollar gekoppelten Yuan. Entsprechend stiegen die Preies für chinesische Produkte. Aber die Ursachen für die chinesische Wirtschaftsschwäche sind hausgemacht: Es wurden in den zurückliegenden Jahren zu viele Kredite vergeben, es kam zu Überkapazitäten im Fertigungssektor.
Bisher hat Peking stets den Immobiliensektor angekurbelt, wenn die Wachstumsdynamik Schwäche zeigte. Lokale Regierungen haben dann durch Verkauf von Land erhebliche Mittel eingenommen und die anschließende Bautätigkeit belebte die regionale Wirtschaft wieder. Aktuell zeichnet sich ab, dass Immobilienentwickler zwar in geringerem Umfang noch Land erwerben, aber neue Projekte werden nicht aufgelegt. Der Multiplikator-Effekt des Immobiliensektors, auf den Peking in früheren Jahren vertraut hat, scheint damit gegenwärtig nicht mehr aktiv. Die schnell wachsende Zahl von Geister-Städten tut ein Übriges. Im März gingen die Preise im Neubausektor landesweit den elften Monat in Folge zurück und erreichen jetzt ein Minus von 6,1% im Vergleich zum Vorjahr.
Schließlich steigt die Gefahr von Kapitalabflüssen. Im ersten Quartal gingen die Yuan-Positionen in der Bilanz der PBoC um rekordverdächtige 41 Mrd. Dollar zurück. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Exodus von Geldern aus dem Mutterland in Hong-Kong-Aktien. Chinas Währungsreserven gingen im ersten Quartal so stark zurück wie lange nicht. Die jüngsten Interventionen der PBOC zur Unterstützung des Yuan legen nahe, dass die Spannungen zunehmen.
Die Furcht wächst, dass sich Überinvestitionen und der überhitzte Immbobiliensektor zusammen mit dem ausgeprägten Schattenbankenwesen allmählich rächen. Wie in anderen Ländern auch, so sehen Finanzmarktakteure die Zentralbank als den eigentlichen Wachstumsmotor an und wetten seit einiger Zeit auf weitere geldpolitische Lockerungen der PBoC. Im Vorfeld sind Hong-Kong-Aktien schon kräftig angestiegen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass weitere Liquidtätsflut vor allem eines bewirkt – die Aktienblase weiter aufzublasen.
[Unter Verwendung von Material von "Why China's Numbers Are Worse Than They Seem"]Nachtrag:
(20.4.15) Nachdem chinesische Konjunkturdaten auf ein sich deutlich verlangsamtes Wirtschaftswachstum hindeuten, hat die PBoC über das Wochenende mit einer nicht unerwarteten Senkung des Mindestreservesatzes reagiert. Die Geschäftsbanken müssen jetzt nur noch 18,5% ihrer Reserven in liquiden Mitteln halten. Die jetzige Senkung um ein Prozent ist bereits die zweite in diesem Jahr – bereits Anfang Februar gab es eine Reduktion um 0,5%. Sie ist außerdem die deutlichste seit Herbst 2008. Gleichzeitig wurde am vergangenen Freitag der kreditfinanzierte Aktienkauf erschwert.
Analysten der HSBC glauben, dass die zusätzlich in die Wirtschaft fliessende Liquidität dafür sorgen soll, dass die Rally an den chinesischen Börsen weiter geht. Die Bank of America Merrill Lynch schätzt, dass mit dem aktuellen Schritt zusätzlich 1,2 Bio. Yuan in den Geldkreislauf fliessen.
Der chinesische Haupt-Aktienindex hat sich seit November fast verdoppelt. Das kontrastiert zum sich abschwächenden Wirtschaftswachstum mit sinkenden Immobilienpreisen und anemischem Einzelhandel. Die chinesische Regierungs setzt offenbar auf einen durch steigende Aktienkurse initiierten Vermögenseffekt, der den Konsum ankurbeln soll. In den vergangenen Wochen haben sehr viele Chinesen neue Aktiendepots eröffnet.
(23.4.15) Der chinesische Flash-PMI der HSBC sinkt im April auf 49,2 (nach 49,6 im März) und damit auf ein ein-Jahres-Tief. Das japanische Pendant sinkt von 50,3 im März auf 49,7. Die PMIs der Eurozone enttäuschten ebenfalls, der deutsche Flash-PMI notiert im April bei 54,2 nach einem acht-Monats-Hoch im März bei 55,4.
(15.5.15) Die chinesische Zement-Produktion zeigt den tiefsten Stand in mehr als zehn Jahren und spiegelt damit die rückläufigen Investitionen in Infrastruktur und Immobilien wider (h/t Colin Twiggs).
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