An den europäischen Aktienmärkten wird gefeiert, auch an den Anleihemärkten gab es spürbare Gewinne: Die EZB hat abermals die Zinsen gesenkt. Am stärksten fiel die Reaktion der Finanzmärkte in den Krisenländern Spanien und Italien aus.
Nach der Senkung der Leitzinsen um 0,25 auf 0,25% erklärte EZB-Chef Draghi, die EZB erwarte "eine anhaltende Periode niedriger Inflation im Euroraum". Deflation sei das aber nicht, sagte er. Die Kreditdynamik in der Währungszone bezeichnete Draghi abermals als "schwach". Er erneuerte das Niedrigzinsversprechen, das er den Finanzmärkten zur Jahresmitte gegeben hatte, die Zinsen blieben im Euroraum für einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau oder darunter.
Die Geschäftsbanken im Euro-Raum können darüber hinaus bis mindestens Mitte 2015 so viel Billiggeld bekommen, wie sie für nötig halten (MRO). Eine neue Runde der LTRO-Kredite ("Long Term Refinancing Operation") ist laut Draghi aber im EZB-Rat nicht ernsthaft diskutiert worden. Das erübrigt sich auch erst einmal, weil die Deadline der MROs über die Rückzahlungsfristen der beiden dreijährigen LTROs aus Dez 2011 und Feb 2012 hinaus reicht.
Die Zinsentscheidung ist offenbar nicht einvernehmlich gefallen. Zwar hat wohl Einigkeit bestanden, dass gehandelt werden muss, aber über den Zeitpunkt habe es Unstimmigkeiten gegeben. Angeblich soll ein Viertel der Rats-Mitglieder gegen eine Zinssenkung zum jetzigen Zeitpunkt gestimmt haben.
Der Euro fiel nach der EZB-Entscheidung kräftig. Er hatte zuletzt den Support bei 1,3450 gegen den Dollar respektiert. Aktuell steht er bei 1,3350 nahe Tagestief. Gold zog gleichzeitig an, kam allerdings danach im Zuge einer unerwartet starken Vorabschätzung des US-BIP unter die Räder.
In einer ersten Stellngnahme sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher, die Zinssenkung sei eher ein symbolisches Signal an die Märkte, dass die EZB gewillt ist, der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung und dem stark gesunkenen Inflationsdruck (zuletzt 0,7%) entgegenzutreten. Die Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen würden dadurch nicht wesentlich verbessert. Die Zinssenkung beinhalte auch die schlechte Nachricht, dass sich die Wirtschaft schwächer entwickelt als erhofft.
Alexander Schumann, Chefvolkswirt DIHK, sieht keine Deflationsgefahr. Die niedrige Inflation wird stark durch Einmaleffekte in den Krisenstaaten und durch den aktuellen Rückgang bei den Mineralölpreisen geprägt. Probleme mit immer mehr Zentralbankgeld zuzudecken, erhöhe nur das Risiko, dass der Reformeifer erlahmt. Hinzu käme die Gefahr von Blasen.
Die Gefahr von Vermögenspreisblasen sieht auch Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, und weist auf die sehr geringen konjunkturellen Effekte der Zinssenkung hin. Mittel- bis längerfristig nähmen die Risiken der Niedrigzinspolitik weiter zu – insbesondere die Gefahr von falschen Risikoeinschätzungen und verzerrten Investitionsentscheidungen. Er ist froh, dass die EZB ihren Einlagezins bei Null belässt und nicht negativ gemacht hat.
Für Carsten Klude, Aktienstratege MM Warburg, bedeutet die Entscheidung für die Aktienmärkte weiter die beste aller Welten. Es gibt noch mehr Liquidität, für die Konjunktur gibt es noch mehr Rückenwind. Die Entscheidung sei auch gut für Peripherie-Anleihen, ebenso sollten die Banken profitieren.
Für Eugen Keller, Metzler Bank, kam die Entscheidung überraschend. Der Schritt zeige, dass die Not offenbar groß ist: „Die EZB will nicht warten, bis die Preise weiter fallen."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank, glaubt, dass die zuletzt deutlich gefallene Teuerungsrate die Währungshüter in Frankfurt wohl hat aufhorchen lassen. Auch die stark fallende Überschussliquidität im Eurosystem werde von den Währungshütern mit Argusaugen beobachtet. Hinzu kommt eine anhaltend schwache Kreditvergabe in den schuldengeplagten Ländern der Eurozone. Ob die Leitzinssenkung aber das adäquate Gegenmittel ist, sei zu bezweifeln: „Umso mehr stellt sich die Frage, ob die EZB in den kommenden Monaten noch mit weiteren Maßnahmen nachlegen wird."
Holger Schmieding, Berenberg Bank, zeigt sich vom Zeitpunkt überrascht. Das Signal an die Währungsmärkte laute: „Die EZB ist nicht an einem noch stärkeren Euro interessiert.“ Die wirtschaftlichen Auswirkungen dürften angesichts der ohnehin niedrigen Zinsen sehr begrenzt bleiben.
Auch Thomas Amend, HSBC Trinkaus, sieht den realwirtschaftlichen Effekt in Frage gestellt, „aber die Entscheidung hat einen starken psychologischen Effekt."
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank, sagt, die EZB habe nicht einmal auf die Veröffentlichung der Inflations- und Konjunkturprognosen ihrer Ökonomen gewartet. Das zeige, wie ausgeprägt die Neigung im EZB-Rat ist, die Zinsen zu senken: „Für die Realwirtschaft macht das keinen Unterschied. Aber: Die EZB zementiert mit ihrem Schritt zusätzlich die Erwartungen, dass die Zinsen langfristig nahe Null liegen werden. Damit zementiert sie die Jagd nach Rendite. Davon profitieren die Anleihen der Krisenländer, die jetzt gesucht werden dürften.“ Für Deutschland seien die Zinsen viel zu niedrig, gerechtfertigt wäre ein Niveau von 3,0 bis 3,25%. Investitionen und Häuserpreise dürften weiter steigen, eine Immobilienpreisblase gebe es aber kurzfristig nicht.
Jörg Zeuner, Chefvolkswirt KfW, sagt, die Inflationsrate sei mittlerweile weit von der EZB-Zielmarke entfernt: „Ein schwaches oder gar stagnierendes Nominalwachstum erhöht die Konsolidierungslast in den Peripherieländern und erschwert die Schuldentragfähigkeit zusätzlich.“
Die EZB-Entscheidung ist ein symbolischer Akt – mehr nicht. Zu was die EZB noch bereit ist, wird sie angesichts der schwachen Wirtschaftsverfassung im Euroraum den "Märkten" wohl bald zeigen müssen.
Der negative Gehalt dieses "symbolischen Aktes" sollte im Liquiditäts-Freudentaumel nicht unterschätzt werden.
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