S&P 500 – technisch fragil

Der S&P 500 kam in der zurückliegenden Woche unter Druck. Das war zu erwarten, nachdem die Bullen es in der Vorwoche übertrieben hatten. Wieder einmal mussten Fundamentaldaten als Anlass für Gewinnmitnahmen herhalten.

Während der S&P 500 im Wochenvergleich 1,3% abgab, verloren die beiden Technologie-lastigen Indices NDX und Nasdaq stärker, der Dow hielt sich hingegen etwas besser. Gold und insbesondere Silber kamen unter Druck. Hier spiegelt sich wohl die Stärke bei den Renditen wider. Die Ölpreise gewannen weiter und notieren jetzt fast so hoch wie vor einem Jahr.

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Die US-Renditen zeigten Stärke, die der 10yr-TNotes bewegt sich an einem 20-Jahres-Hoch. Sie ist am zurückliegenden Dienstag im Kontext der Veröffentlichung des US-Service-Index für August aus einem kurzfristigen Abwärtskanal ausgebrochen. Der Dollar zeigt die achte Woche in Folge Stärke, er legte in dieser längsten Phase seit 2014 mehr als fünf Prozent zu. Folglich bleibt Euro/Dollar unter Druck, das Währungspaar Dollar/Yen strebt auf 150 zu. Hier spätestens werden Interventionen der BoJ erwartet, vor einem Jahr war man bei 145 gegen die Schwäche des Yen eingeschritten.

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Unter der Oberfläche großer Aktien-Indices: Der KBW-Index regionaler Banken macht im Vergleich zur Vorwoche kehrt und sinkt auf Wochensicht um 5,2%. Der „Globalisierungsindikator“, der Dow Jones Transport Index, dreht ebenfalls und verliert 4,0%. Der „Technologieindikator“, der Halbleiterindex SOX, sinkt um 3,2%.

Das „Puzzle“ der Einzeldaten zusammengefügt: US-Aktien kamen auf breiter Front unter Druc. Der Spread der Rendite der 2yr-TNotes zur eff Fed Funds Rate ist weniger negativ als in der Vorwoche – das mag man als Hinweis sehen, dass die „Märkte“ nicht mehr ganz so fest an eine Zinspause glauben, wenn das FOMC der Fed in der übernächsten Woche zusammentritt. Die unvermindert weiter steigenden Ölpreise geben dazu Anlass, zusammen mit weiterhin festen Fundamentaldaten: Der US-Service-Index zeigt weitere Stärke, das war so nicht erwartet worden.

Jetzt geraten die CPI-Daten für August in den Fokus. Sie werden am kommenden Mittwoch veröffentlicht.

Die Ölpreise machen 7% der CPI-Rechnung aus. Aus der Berechnung des Kern-CPI sind die Kosten für Energie ausgeschlossen. Die Fed geht bei ihrer Geldpolitik von diesen Kern-Raten aus, die Preisentwicklung für Öl spielt hier also keine direkte Rolle. Indirekt schlagen sie sich (mit Verzögerung) sehr wohl in nahezu allen Preisen nieser, also auch im Kernpreis-CPI. Daher ist die Korrelation zwischen den Ölpreisen und den Inflationserwartungen (5yr-Breakeven-Rate) hoch, aber hinsichtlich CPI und erst recht Kern-CPI nicht besonders ausgeprägt.

Steigende Energiepreise wirken wie eine Art Konsumsteuer. Was für Energie (notwendigerweise) ausgegeben werden muss, ist für andere Ausgaben nicht mehr da. Wenn dann die verfügbaren Einkommen nicht steigen (können) und auch sonst Polster für Konsumausgaben abgeschmolzen sind (wie jetzt etwa die Sparqote zeigt), dann wirkt sich dieser „Steuereffekt“ besonders deutlich aus. Allerdings kommt es auch auf die Geschwindigkeit der Ölpreissteigerungen an. Ist sie hoch, ist die negative Wirkung auf das Wirtschaftswachswachstum besonders markant. Geht sie langsam vor sich, lassen sich Phasen ausmachen, in denen steigende Ölpreise sogar mit anziehendem Wachstum zusammengehen. Das ist eher zu Beginn eines Geschäftszyklus der Fall, wenn sich die persönlichen Einkommen entwickeln, das Sparpolster größer und allgemein eher eine optimistische Stimmung herrscht (Chartquelle).

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Aktuell sind wir eher an dem Punkt, wo die Einkommenssituation keine großen Sprünge mehr erwarten lässt. Die extra-Ersparnisse durch das „Corona“-Helikoptergeld sind nahezu aufgebraucht. Daher ist der „Steuereffekt“ der Ölpreise jetzt hoch, der Verbraucher kann demzufolge seiner vornehmsten Aufgabe, zu konsumieren, nicht mehr so gut nachkommen. Somit sehe ich steigende Ölpreise aktuell eher weniger unter dem Aspekt der Inflation, sondern unter dem Konjunktur-Aspekt – sie stellen eine Belastung des Wachstums dar. Mithin wäre die Wirkung weiter (schnell) steigender Ölpreise letzten Endes sogar disinflationär. Sie bringt damit die Fed ihrem vorgeblichen Ziel näher, die Konjunktur/Preise mit steigenden Zinsen abzubremsen.

Der folgende Chart zeigt die Situation beim Sparen. Die „Über-Ersparnisse“ sind praktisch aufgebraucht, das Sparenvolumen liegt sogar deutlich unter dem langfristigen Trend.

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Ed D’Agostino von Mauldin Economics nimmt auf Louis Gave von GaveKal Bezug: Das US-Budget-Defizit macht ungefähr 40% des weltweiten Budget-Defizits aus. Um das globale Wirtschaftsgefüge weiter in der Spur zu halten, müssen etwa zwei Drittel des weltweiten Sparens jährlich den Weg in die USA finden (um US-Schulden zu kaufen). Anderenfalls gibt es Probleme, so Gave.

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Die Staatsverschuldung der USA wird bis Ende 2023 die Marke von 34 Bill. Dollar überschreiten, was die unhaltbare fiskalische Entwicklung des Landes verdeutlicht. In diesem Jahr ist der Schuldenstand auf 33 Bill. Dollar gestiegen. 2019 lag der Wert noch bei 22,7 Bill. Dollar. Schlechtes Zeichen: Selbst bei Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum sind die Defizite so hoch wie nie zuvor.

Nach Angaben der Federal Deposit Insurance Corp. blieben die Gewinne und Einlagen der Banken im zweiten Quartal stabil, was darauf hindeutet, dass die im März aufgetretenen Probleme im Bankensektor nachgelassen haben. Die Gewinne sanken im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 11,3% auf 70,8 Mrd. Dollar. Rechnet man jedoch die Kosten für die Übernahmen heraus, die im Frühjahr auf den Zusammenbruch von drei größeren regionalen Banken folgten, stiegen die Gewinne im Jahresvergleich um 5,7%.

Händler platzieren kühne Wetten auf den CBOE Volatility Index. Einige gehen davon aus, dass er in den nächsten Monaten auf 180 steigen könnte, was einen Anstieg um 1.100% bedeuten würde. Die beispiellose Positionierung hat Neugierde und Spekulationen über die zugrunde liegende Strategie hinter diesen Geschäften auf dem VIX-Derivatemarkt ausgelöst. „Der einzige logische Grund ist, dass sie bei einem Call mit niedrigerem Ausübungspreis short sind und dadurch eine Art günstige Marge oder Haircut-Behandlung erhalten, indem sie bei einem Call mit höherem Ausübungspreis long sind, selbst wenn dieser völlig aus dem Geld ist", so Steve Sosnick, Chefstratege bei Interactive Brokers. Von solchen technischen Mätzchen einmal abgesehen, bedeutet das dennoch, dass es offenbar potente Wetten auf einen deutlich steigenden VIX gibt. Der VIX misst die implitite Volatilität beim S&P 500. Wird auf einen steigenden VIX gewettet, werden im Umkehrschluss fallende Aktienkurse erwartet.

Der VIX markiert den tiefsten Wochenschlusskurs seit 2019. Ist es Optimismus, ist es Leichtsinn oder Ignoranz? Oder ist dieses Mal alles anders und die Volatilität bei Aktien ist tot? (Chartquelle)

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Seit dem 24. Juli 2019 hat es sieben Volatilitätsausbrüche beim S&P 500 gegeben, davon in 2020 alleine vier, in 2021 zwei und den jüngsten gab es am 18. April 2022. Aktuell durchleben wir diesbezüglich die längste Pause zumindest seit 2014. Aufgrund des zyklischen Charakters des Volatilitätsgeschehens sollte es nicht verwundern, wenn der nächste Volatilitästausbruch erstens nicht mehr allzu weit weg ist und zweitens den VIX nach oben führt, resp. den S&P 500 nach unten.

Weist das auf den Einsatz einer Rezession hin? Meine Auswertung von verschiedenen Merkmalen der Rendite-Landschaft warnt seit August vergangenen Jahres vor einer Rezession. Das Signal hat einen Vorlauf von vier bis sechs Quartalen. Der Fed ist es bisher noch nie gelungen, mittels Geldpolitik eine weiche Landung hinzubekommen. Was könnte der Auslöser sein? Eine Kreditklemme in den USA, oder ist es die Weigerung des Auslands, ausreichend US-Schulden zu kaufen (was die Renditen am langen Ende hoch hält, sogar weiter steigen lässt), oder führen die Probleme im chinesischen Immobiliensektor zu einem Flächenbrand im Welt-Finanzsystem? Die chinesischen Autoritäten verschließen sich seit Monaten Erwartungen umfangreicher geldpolitischer Anreize – wollen sie ihr Pulver trocken halten?

Der S&P 500 hat die zurückliegende Woche bei 4457,49 beschlossen. Am Donnerstag hat er intraday genau die EMA50 touchiert und zum Wochenschluss den Pegel bei 4455 erreicht. Hier liegt auch das 38er Retracement des Aufwärtsimpulses vom 18. August. Wirkt sehr abgezirkelt…

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Die Volumenverteilung an der NYSE ist mittlerweile in Akkumuation gekippt. Das ist per se bullisch zu werten. Allerdings spielen die AD-Linie und die Marktbreite nicht so recht mit. Die ADL ist weit vorgelaufen, die Marktbreite nach TRIN wackelt unentschlossen seitwärts. Das Put/Call-Verhältnis verläuft eher bärisch. Der TQUAL-Indikator (Auswertung der viel beachteten Stochastik, RSI und MACD bei verschiedenen großen Aktienindices) ist an der Grenze zum sehr bärischen Bereich angelangt, was erwarten lässt, dass er in Kürze nach oben dreht.

Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis zeigen zyklische Eigenschaften als dominant an, was meist mit höherer Volatiltät zusammen geht. Bullische Merkmale nehmen leicht ab, bärische leicht zu. Ein Mittelzufluss findet nicht statt.

Alles zusammengenommen sollte man zunächst von einer anhaltenden volatilen Seitwärtsbewegung ausgehen. Der Katalysator für den nächsten Schub dürfte bei den Renditen zu suchen sein. Zeitlich nahe liegt die Veröffentlichung der CPI-Daten für August am kommenden Mittwoch. Die Chance für bullische Stärke bleibt übergeordnet bestehen.

Da die technische Lage aber reichlich fragil ist, haben die Bullen keine Zeit zu verlieren. Insbesondere muss jetzt die EMA50 im S&P 500 respektiert werden. Falls der Index unter die EMA50 fällt, wäre auch mit einem Test der Abwärtslinie aus Ende Juli zurechnen. Wie auch immer, die Bullen müsen unbedingt das 38er-Retracement des Anstiegs aus März bei 4300 verteidigen. Hier verläuft auch ein wichtiger statischer Pegel (u.a. Hoch aus August 2022). Gelingt das nicht, wäre die Bären strategisch vorne. Vielleicht ist das dann der oben diskutierte Volatilitätsausbruch?

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