Too big to be saved

Das Debakel der Credit Suisse ähnelt auf unheimliche Weise dem Schicksal der ehemaligen Wall-Street-Bank Bear Stearns im März 2008. Damals wie heute spielen Derivate eine große Rolle als Brandbeschleuniger. Das Risiko hieraus ist auch Aufsichtsbehörden kaum bekannt.

Bear Stearns hatte sich Mitte der 2000er Jahre zu stark am Markt für Subprime-Hypotheken engagiert. Das Unternehmen war ein führender Akteur auf dem Markt für hypothekarisch gesicherte Wertpapiere (MBS). Es kaufte Hypothekenkredite (von oft zweifelhafter Qualität) und verpackte diese Kredite in MBS zum Verkauf an Investoren.

Ab 2007 schnellten die Ausfallraten in die Höhe, die Nachfrage nach den MBS-Produkten von Bear Stearns versiegte. Im Juli 2007 gingen zwei milliardenschwere Fonds in Konkurs, der Bear Stearns High-Grade Structured Credit Fund und der Bear Stearns High-Grade Structured Credit Enhanced Leveraged Fund.

Der Subprime-Zusammenbruch beschleunigte sich im März 2008, Bear Stearns musste massive Verluste aus seinem Hypothekenengagement hinnehmen. Anleger und Gegenparteien zogen immer mehr Kapital von Bear Stearns ab. Am 15. März, einem Samstag, berief die Fed eine Dringlichkeitssitzung ein und ordnete die Übernahme durch J.P. Morgan an. Der Verkaufspreis betrug schließlich 35% des letzten Börsenkurses.

Die Märkte bejubelten die Rettungsaktion, der S&P 500 stieg bis zum Sommer 2008 um 15% an. Die Pleite von Bear Stearns war aber nur der Auftakt zum Markteinbruch im Herbst 2008, die Ansteckung griff auf AIG, Lehman Brothers und dann auf die Finanzmärkte im Allgemeinen über.

Damals war Bear Stearns der „Kanarienvogel“. Heute könnte der Zusammenbruch der Credit Suisse die Eröffnungssalve der kommenden Finanzkrise sein.

Wie konnte es so weit kommen?
In den vergangenen 15 Jahren wurde ein Labyrinth aus komplizierten regulatorischen und geldpolitischen Schutzmaßnahmen errichtet, um eine Wiederholung von 2008 zu verhindern (u.a. der Dodd-Frank-Act). Aber es gilt das universelle Prinzip der finanziellen Thermodynamik: Risiken lassen sich nicht eliminieren, sondern nur verlagern. Oder so: Papa kauft Dir vielleicht einen neuen Porsche, kann aber nichts gegen den Baum tun, gegen den Du geknallt bist.

Die 30 grössten Banken der Welt -zu denen bis zuletzt auch die Credit Suisse gehörte- werden als „Global Systemically Important Banks" (G-SIBs) bezeichnet. Die Regierungen werden diese Banken immer retten, da sie als Gegenparteien im globalen Finanzsystem eine entscheidende Rolle spielen.

Aber immer, wenn Regierungen Banken als „too big to fail“ (zu groß zum Scheitern) einstufen, geben sie ihnen einen Blankoscheck für unverantwortliches Handeln („moral hazard“). Und wenn Großbanken verantwortungslos genug handeln, können sie große Teile des Finanzsystems mit in den Abgrund reißen.

Wie die anderen G-SIBs ist auch die Credit Suisse durch ihre Derivatgeschäfte stark belastet. Zu diesen Derivaten gehören Dinge wie Zinsswaps – „Versicherungs"-Instrumente, mit denen sich Grossbanken gegen steigende Zinssätze absichern. Am 5. Dezember 2022 veröffentlichte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) einen Bericht, in dem sie darlegte, dass Nicht-US-Banken wie die Credit Suisse Derivate-Verbindlichkeiten in Höhe von 39 Bill. Dollar angehäuft haben, das Zehnfache ihres Eigenkapitals.

In den USA stellte das Office of the Comptroller of the Currency (OCC) vor kurzem fest, dass die vier größten US-Banken im dritten Quartal 2022 Derivate im Wert von 172 Bill. Dollar hielten. Das entspricht mehr als dem Zwanzigfachen ihrer gemeinsamen Vermögenswerte von 8 Bill. Dollar.

Besonders alarmierend ist, dass die meisten dieser Derivatetransaktionen nicht an einer öffentlichen Börse stattfinden, wo sie von den Aufsichtsbehörden überwacht werden können. Nach Angaben des OCC sind 58,3% der Derivatetransaktionen private „Over-the-Counter"-Käufe (OTC): Ein kurzes Telephonat von zwei Banken, und schon ist ein mehrere Milliarden Dollar schweres Derivategeschäft abgeschlossen.

Das erklärt auch, warum der Preis, den die UBS für die Credit Suisse gezahlt hat, nicht ausreichte[1]. Aus Angst vor dem überdimensionierten Derivategeschäft der Credit Suisse verlangte die UBS von der Schweizerischen Nationalbank eine Liquiditätsgarantie in Höhe von 100 Mrd. Dollar für die Transaktion sowie Garantien in Höhe von 9 Mrd. Dollar gegen künftige Verluste seitens der Schweizer Regierung.

Die gesamte Schweizer Wirtschaft hat ein Volumen von 800 Mrd. Dollar. Auf die USA hochgerechnet hätte sich eine solche Sicherheitsleistung für eine US-Bank auf fast drei Bill. Dollar belaufen. Woher will die Schweizerische Nationalbank das Geld zur Finanzierung eines solchen Backstops nehmen? Sie schafft neues Geld aus dem Nichts. Das Ansehen der Schweiz als Finanzplatz ist erschüttert. Das Land wird nun als finanzielle Bananenrepublik angesehen werden, sagte ein Beobachter. Und die „neue“ UBS ist nicht zu groß, um zu scheitern, sie ist zu groß, um gerettet zu werden.

Die tickende Billionen-Dollar-Zeitbombe, über die niemand redet
Die Aufsichtsbehörden haben das zurückliegende Jahrzehnt damit verbracht, sich gegen jedes mögliche Negativszenario abzusichern, mit Ausnahme desjenigen, das tatsächlich eingetreten ist: Billionen von Dollar an niedrig verzinsten Vermögenswerten in den Büchern der Banken laufen geradewegs in einen starken Anstieg der Zinssätze, womit hohe Verluste entstehen.

Dieses Grundproblem traf die besonders schlecht gemanagte Silicon Valley Bank (SVB) zuerst – aber es ist im gesamten Bankensektor anzutreffen. Eine am 13. März veröffentlichte Studie schätzt, dass der rapide Anstieg der Zinssätze seit 2022 zu Gesamtverlusten von 1,7 bis 2 Bill. Dollar bei den in den US-Bankbilanzen gehaltenen Vermögenswerten beigetragen hat. Der gesamte Kapitalpuffer (der Betrag des positiven Eigenkapitals der Banken zum Ausgleich dieser Verluste) beträgt (nur) 2,2 Bill. Dollar. Wenn das Bankensystem jetzt gezwungen wäre, seine Bestände an Anleihen und Krediten zu liquidieren, würden die Verluste zwischen 77 und 91% seines Kapitals aufzehren. Es wäre pleite.

Aber diese 2 Bill. Dollar an Verlusten sind nur die Spitze des Eisbergs. Bisher hat sich die Diskussion auf Banken wie die SVB konzentriert, die übermäßige Risiken eingegangen sind ohne sich gegen die Auswirkungen höherer Zinssätze abzugesichern. Das weitaus größere Problem liegt jedoch bei den Banken, die sich gegen Zinsrisiken abgesichert haben, sowie bei deren Gegenparteien.

Dabei geht um ein als „Zinsswap" bezeichnetes Instrument. Zinsswaps sind eine Art Versicherungsvertrag gegen zinsbedingte Wertverluste einer Anleihe oder eines anderen festverzinslichen Assets. Locker regulierte kleinere Banken verwenden diese Art von ausgeklügelten Derivaten selten – aber die „too big to fail" G-SIBs schnupfen sie wie billiges Kokain.

Das Derivate-Engagement der führenden US-Banken, zu dem auch Zinsswaps gehören, beläuft sich derzeit auf 54,3 Bill. Dollar bei J.P. Morgan, 51 Bill. Dollar bei Goldman Sachs, 46 Bill. Dollar bei der Citibank und 21,6 Bill. Dollar bei der Bank of America.

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Weil der Großteil dieser Derivate-Geschäfte „außerbörslich" stattfindet, sind die Aufsichtsbehörden und die Anlegeröffentlichkeit im Blindflug unterwegs. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass sich der Umfang dieser Derivateportfolios weltweit in der Größenordnung von Hunderten von Billionen Dollar bewegt (siehe auch hier!).

Wenn eine anfällige G-SIB wie die CS zusammenbricht, können die Auswirkungen auf das gesamte globale Finanzsystem übergreifen, weil sie die Gegenpartei auf der anderen Seite der Derivatgeschäfte einer anderen Bank sein kann. Wenn G-SIBs in den Ruin getrieben werden, kann sich finanzielle Ansteckung so weit ausbreiten, dass auch „verantwortungsvolle" Banken auf der anderen Seite des Geschäfts durch besonders gierige Gegenparteien gefährdet sind.

Genau diese Art von Risiko brachte das globale Finanzsystem im Jahr 2008 fast zum Einsturz. Im Unterschied zu heute handelte es sich bei den Derivaten, die damals in die Luft flogen, um Credit Default Swaps bei Hypothekenanleihen. Als die rücksichtslosen Verkäufer dieser Derivate ihren Verpflichtungen in der Pleite von Hypothekenanleihen nicht mehr nachkamen, waren Regierungen und Zentralbanken gezwungen, die geplatzten Geschäfte im Umfang von Billionen von Dollar zu stützen.

Damals wie heute weiß niemand, was sich unter der Oberfläche von Hunderten von Billionen Dollar auf dem undurchsichtigen, außerbörslichen Derivatemarkt verbirgt. Als die UBS aber einen Blick unter die Motorhaube der Credit Suisse warf, verlangte sie eine Liquiditätssicherung in Höhe von 100 Mrd. Dollar (das entspricht 13% des Schweizer BIP), sowie Garantien in Höhe von 9 Mrd. Dollar gegen künftige Verluste. Das ist fast das Dreifache des Preises, den sie für die Übernahme der Credit Suisse bezahlt hat.

Das ist die tickende Zeitbombe, die in den kommenden Wochen und Monaten detonieren könnte. Wenn das geschieht, wird die Bedrohung für das US-Bankensystem schnell von den 2 Bill. Dollar an potenziellen Verlusten aus nicht abgesicherten Positionen auf einen noch größeren Teil der 23 Bill. Dollar an Gesamtaktiva im gesamten Bankensektor übergreifen.

Und noch kleines Problem
Die US-Behörden prüfen derzeit die „Möglichkeiten zur Versicherung aller Bankeinlagen im Falle einer Ausweitung der Krise". Die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) ist im Falle einer Bankpleite für die Versicherung von US-Bankeinlagen und die Entschädigung von Einlegern zuständig. Im Pool der Einlagenversicherung des US-Bankensektors bei der FDIC liegen aber nur 128 Mrd. Dollar. Die Summe der Einlagen im US-Bankensystem beträgt aber 18 Bill. Dollar. Ein Teil davon wandert seit Jahresmitte 2022 in Geldmarkt-Papiere ab, die bessere Erträge abwerfen als die mickrigen Sparzinsen der Banken (Chartquelle).

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Die FDIC ist befugt, Kredite beim Finanzministerium aufzunehmen, wenn ihre Mittel erschöpft sind. Da sich die US-Regierung, wie jede andere westliche Regierung auch, bereits Geld leiht, um ausufernde Defizite zu finanzieren, bedeutet dies, dass alle Wege zurück zur einzig verbleibenden Lösung führen: Es muss mehr Geld gedruckt werden.

Die Kreditklemme, die den globalen Finanzsektor durchzieht, wird sehr deflationär wirken. Sie wird einmalige Gelegenheiten schaffen, notleidende Vermögenswerte zu Tiefstpreisen zu kaufen. Aber dieser deflationäre Ausbruch könnte sich als sehr kurzlebig erweisen, da sich die politischen Entscheidungsträger beeilen werden, das System erneut mit frischem Geld zu retten.

Zentralbanken - too big to be saved
Diese nächste Krise könnte aber sehr wohl die letzte Krise für Amerika und andere hochverschuldete Regierungen rund um den Globus sein. Denn irgendwann wird die Bevölkerung aufhören, sich um die Lebensfähigkeit privater Banken zu sorgen, und anfangen, die Lebensfähigkeit der Zentralbanken und der von ihnen ausgegebenen Währungen zu hinterfragen.

Dieser kommende Vertrauensverlust in die von Regierungen ausgegebenen Papier-Währungen wird den ultimativen Bank-Run auslösen – einen Run auf die Zentralbanken. Dann gilt auch hier: „Too big to be saved" – zu groß, um gerettet zu werden.

Wenn das passiert, werden hartes Geld und Sachwerte das einzige Ventil sein. Dinge, die die Zentralbanken nicht drucken können, wie Kupfer, Rohöl und Erdgas. Dinge auch wie (vielleicht) Bitcoin und Gold, Speicher für reinen Wert. Das würde dann den inflationären Ausbruch bewirken, der jenseits des deflationären Zwischenspiels kommt.

Die Zentralbanken dürften vermutlich erst 2025 bereit sein zur Einführung von digitalem Zentrankbankgeld, der Abschaffung von Bargeld, sowie der vollständigen finanziellen Kontrolle der Bürger durch ein und nur ein Konto bei der Zentralbank.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein solcher möglicherweise durch Zins-Swaps verursachter „Endzeit“-Crash auf jeden Fall bis dahin hinausgezögert werden muss, der ansonsten den idealen Vorwand für die Einführung von digitalem Zentralbankgeld bieten würde. Das wird den Bürgern zu gegebener Zeit dann als „letzte“ Möglichkeit vor dem vollständigen Untergang der Welt, sowie wir sie kennen, verkauft.


 
Erneut bedroht also der Derivatemarkt das Finanzsystem. Dieses Mal sind es Zinsswaps, mit denen sich die Halter von festverzinslichen Ablagen gegen steigende Zinsen versichern. Sie, v.a. Banken, hätten kein Problem, mit Wertverlusten auf solche Anlagen umzugehen, wenn sie solche mit guter Bonität bis zur Fälligkeit halten würden. Einleger ziehen aber Bareinlagen ab, weil sie etwa mit Geldmarktpapieren bei steigenden Leitzinsen höhere Renditen erzielen können.

Das kann Banken dazu bringen, festverzinsliche Anlagen mit Verlust verkaufen zu müssen. So lange die Gegenparteien von Zinsswaps zahlen, sind Kursverluste gedeckt. Ansonsten besteht durch die enge Verflechtung der Banken und das enorme, in seiner Höhe nicht genau bekannte Volumen des Derivatemarktes (Stichwort Schattenbanken) ein enormes Ansteckungsrisiko.

Die Fed hat durch ein neues Programm sichergestellt, dass Banken zur Refinanzierung Sicherheiten in Höhe des Nennwerts von Anleihen stellen können. Das betrifft v.a. die kleineren, schwächer regulierten Banken. Es nimmt auch Verkaufsdruck aus dem Anleihemarkt und damit auch Aufwärtsdruck bei Renditen.

Das Risiko aus Zinsswaps wird mit dieser Maßnahme nicht angegangen. Hierzu wird es erforderlich sein, dass die Fed die Leitzinsen künftig wieder senkt. Sie hat sie am zurückliegenden Mittwoch nochmals um 0,25% angehoben, um keine Panik auszulösen. Für die kommende FOMC-Sitzung wird bereits eine Pause in Aussicht gestellt. Ferner ist zu erwarten, dass alsbald das quantitative tightening eingestellt wird, nach dem die Fed für monatlich etwa 100 Mrd. Dollar Anleihen aus ihren Beständen verkauft.

Jenseits des Risikos aus Wertverlusten von Anleihen steigt mit dem von der Fed angestrebten Abflauen der Konjunktur inmitten einer fragilen Wirtschaft die Gefahr platzender Kredite. Auch das kann den Teufelskreis des vorfristigen, verlustbehafteten Verkaufs von Anleihen in den Büchern der Banken über (nicht-bediente) Zinsswaps triggern.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle, anderes ist im Text verlinkt]

Nachtrag:
(26.3.23) Let the Banks Burn von Yanis Varoufakis (ehemaliger griechischer Finanzminister)

Fußnoten:

  1. "Die UBS hat für nur 3,2 Mrd. Dollar die Vermögenswerte der Credit Suisse in Höhe von 571 Mrd. Dollar sowie das Vermögensverwaltungs-Geschäft der Bank übernommen, das weltweit rund 1,4 Bill. Dollar an Vermögenswerten für vermögende Privatkunden anlegt. Mit der Transaktion fielen auch Schulden in Höhe von rund 17 Mrd. Dollar weg, die UBS nicht an die ehemaligen Inhaber von Wandelanleihen („CoCos“) der Credit Suisse zahlen wird." [↩]

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