EZB – Geldpolitik mit der Brechstange

Die EZB hat auf ihrer heutigen Sitzung ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen, mit denen der Kampf gegen sinkende Preise angeblich in eine neue Runde gehen soll. So sinkt der Leitzins, zu dem sich Banken kurzfristig Geld bei der EZB leihen können, von bisher 0,05% auf 0%. Der Einlagenzins, den Banken für das Parken überschüssiger Reserven bei der EZB zahlen müssen, sinkt von -0,3% auf -0,4%. Zudem wird das seit einem Jahr laufende Anleihekaufprogramm ab April von bisher monatlich 60 Mrd. Euro auf 80 Mrd. Euro ausgeweitet. In diesem Zusammenhang sollen auch Unternehmensanleihen gekauft werden. Und schließlich wird ein neues Programm gestartet, bei dem sich Banken für vier Jahre mit Billigkrediten der EZB eindecken können. Die Zinsen hierfür können sogar negativ werden, was bedeutet, dass Banken daran verdienen, sich Geld bei der EZB zu leihen.

Unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung sprangen die europäischen Aktienkurse in die Höhe, Euro/Dollar tauchte ab, die US-Aktienfutures stiegen deutlich an. Der DAX setzte sich deutlich von seiner EMA50 (bei knapp 9700) und dem 38er Retracement des Anfang Dezember gestarteten Abwärtsimpulses (knapp 9800) nach oben ab und notierte zeitweilig knapp an 10.000.

Warum eigentlich? Sind das so gute Nachrichten, die einen deutlichen Gewinnanstieg der europäischen Unternehmen erwarten lassen? Jetzt, nachdem das QE-Programm der EZB bereits ein Jahr läuft und die EZB hierüber für etwa 600 Mrd. Euro Anleihen gekauft hat? Jetzt, nachdem der Euro gegen Dollar bereits seit einem Jahr fast ausschließlich unter 1,15 dahinkraucht?

Die Kreditvergabe der Banken an Ansässige im Euro-Währungsgebiet ist zwischen Januar 2015 und Januar 2016, also in der bisherigen Laufzeit des QE-Programms, um stolze 1,5% angestiegen. Glaubt jemand im Ernst, dass die Bereitschaft der Banken, Kredite zu vergeben, durch die beschlossenen Maßnahmen nun den entscheidenden Schub bekommt? Glaubt jemand im Ernst, dass die Bereitschaft von Unternehmen und Privaten, Kredite aufzunehmen, durch die beschlossenen Maßnahmen nun endlich (auf dem schon erreichten hohen Verschuldungsniveau) entschlossen anspringt? Wie war das noch mit dem Weihnachtsmann?

Nach all diesen Maßnahmen und weiteren Sonderkrediten in Milliardenhöhe liegt die Inflationsrate im Februar bei –0,2%, also nur „geringfügig“ unter dem Inflationsziel der EZB von 2%. Die Kernrate, also ohne Lebensmittel und Energie, kommt auf 0,7%.

Wenn die von Ihrem Arzt verordnete Dosis nicht wirkt, wird er diese womöglich hochsetzen. Wenn das immer noch nicht hilft, wird er wahrscheinlich die Therapie ändern. Unsere „Währungshüter“ agieren hingegen nach dem Prinzip „viel hilft viel“ und wenn ein Mittel bisher unwirksam war, dann wird die Menge eben so lange erhöht bis …

Das Anfang März 2015 gestartete QE-Programm der EZB sieht bisher vor, dass Staatsanleihen der Euro-Länder im Verhältnis der Kapitalanteile an der EZB gekauft werden. In dieser Zeit sind die Kurse von Bundesanleihen um 1,7% angestiegen, die von Portugal hingegen um rund 5% gesunken. Die Renditeaufschläge bei Staatsanleihen zehnjähriger Laufzeit haben sich in Portugal gegenüber deutschen Papieren auf 3% ausgeweitet, vor einem Jahre waren es noch 1,3%. Für Spanien beträgt der aktuelle Auzfschlag 1,32% (vor einem Jahr 0,88), für Italien kommt er auf 1,2% (0,87%).

Ziel der QE-Programms der EZB war es u.a. auch, diese Renditedifferenzen einzuebnen. Die Ausweitung der Spreads spiegelt eher die divergente makroökonomische Entwicklung der einzelnen Länder wieder. So ist in Deutschland die Arbeitslosenquote auf ein historisches Tief von 6,2% gesunken, in Italien z.B. liegt sie hingegen bei 11,7%, vor Ausbruch der Finanzkrise kam sie hier auf rund 6%.

Nun liegt es nahe, dass EZB-Draghi die Orientierung am Kapitalschlüssel aufgibt, um dem Ziel der Angleichung der Renditen näher zu kommen. Dies allerdings erhärtete sofort den Verdacht monetärer Staatsfinanzierung, weil Staaten nun ungleich behandelt werden. Dies ist nach den europäischen Verträgen verboten, aber wen juckt das schon bei all den anderen Verstössen gegen das europäische Recht? Einige Beobachter hatten genau solch einen Schritt erwartet. Der kann ja dann noch kommen…

Einige Tage vor der EZB-Sitzung hatten sowohl die Genossenschaftsbanken als auch die privaten Geldhäuser Kritik an der EZB geübt. „Der geldpolitische Aktionismus schadet dem Ruf der EZB. Der Eindruck drängt sich auf, EZB-Präsident Mario Draghi betreibe Geldpolitik mit der Brechstange“, sagte Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Die Geldpolitik sei für Deutschland komplett falsch, die Sparquote sinke und die Immobilienpreise in den Ballungsräumen stiegen, heißt es.

Mit dem Kurs der Geldpolitik werden die traditionellen Geschäftsmodelle der Banken konterkariert. Sie verdienen am Kreditgeschäft immer weniger und tragen hierbei ein immer größeres Risiko. Nun können sie sich womöglich bald Geld bei der EZB leihen und bekommen noch Zinsen obendrein gezahlt.

Mit den beschlossenen Maßnahmen wird es nun für Finanzinstitute erst recht interessant, ins Kasino zu gehen und so die Assetpreise hoch zu treiben. Auch hier zeigt sich aber, dass die seit März 2009 deutlich gestiegen Aktienkurse nichts dazu beigetragen haben, das realwirtschaftliche Wachstum auch nur annäherend auf das Niveau von vor 2008 zurückzuführen, von den Wachtumsraten von vor 2000 ganz zu schweigen.

Die anfänglich überschwenglich bullischen Reaktionen haben sich im Verlauf der Pressekonferenz der EZB relativiert. Der DAX hat viel von seinen Gewinnen wieder abgegeben, Euro/Dollar notiert wieder klar über 1,10. Das erinnert ein wenig an das Geschehen im Kontext der Entscheidung der BoJ vor gut einem Monat, negative Zinsen einzuführen. Damals hatten die Finanzmärkte auch zunächst euphorisch reagiert.

Das neuerliche Maßnahmenpaket der EZB ist denn auch eher ein Hinweis darauf, wie kritisch die obersten Geldpolitiker die Lage sehen. Und genau zu diesem Gesichtspunkt lieferte EZB-Chef Draghi in der Pressekonferenz die passende Munition. Die Prognose für das Wirtschaftswachstum in 2016 wurde nämlich von 1,7% auf 1,4% und für 2017 von 1,9% auf 1,7% zurückgenommen. Die Inflation kommt 2016 demnach nur auf 0,1% statt, wie früher erwartet, auf 1,0%. 2017 soll sie 1,3% erreichen (zuvor 1,6%).

Ergänzung:
Der scheidende Ifo-Präsident Sinn kritisiert die Entscheidungen der EZB. In einer Presseerklärung vom heutigen Tage heißt es u.a.:
„Dass die EZB nun beschlossen hat, den konkursgefährdeten Banken Südeuropas Langfristkredite zu einem negativen Zins von 0,4 Prozent zu geben, beweist einmal mehr, dass sie eine fiskalische Umverteilungspolitik zur Rettung von Zombiebanken und fast konkursreifen Staaten betreibt. Diese Umverteilungspolitik ist keine Geldpolitik (…). Da sie sich durch den Europäischen Gerichtshof gedeckt sieht, wagt sich die EZB immer weiter über die Grenzen ihres Mandats hinaus.“
Zur Ausweitung der Anleihekäufe von 60 auf 80 Mrd. Euro pro Monat bemängelt Sinn: „Mehr Wasser hilft nicht, wenn die Pferde nicht saufen wollen. Die EZB scheint am Ende ihres Lateins angekommen.“

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