Referendum? Egal!

Am Sonntag sollen sich die Griechen in einer Volksabstimmung entscheiden – für und gegen die internationalen Sparvorgaben. Die Abstimmung sei schicksalhaft, heißt es. Wenn so Schicksal aussieht…

Im Vorfeld scheinen „nein“- und „ja“-Sager etwa gleichauf zu liegen. Egal, wie das Referendum ausgeht, Griechenland wird in der Eurozone bleiben. Das steht in der Abstimmung nicht zur Diskussion, es ist auch nicht die zwangsläufige indirekte Konsequenz eines „nein“.

Die „Gläubiger“, wie die europäischen Freunde heißen, können es sich nicht erlauben, Griechenland oder irgendein anderes Mitglied der Eurozone aus der gemeinsamen Währung abziehen zu lassen. Denn dann würde klar, dass die Missgeburt namens Euro eben nicht „alternativlos“ ist, dass die Entwicklung nicht unumkehrbar ist.

Führende US-Mainstream-Ökonomen haben sich dafür ausgesprochen, dass Griechenland im Euro bleibt. Und sie haben ein weiteres Mal Stellung bezogen gegen die Austeritätspolitik, die Griechenland angeblich erst in die heutige Lage gebracht hat. Besonders die Politiker aus der übrigen südlichen Krisen-Peripherie der Eurozone (und Frankreichs) hören solche Botschaften gerne.

Kurz rekapituliert: Griechenland steht mit 320 Mrd. Euro in der Kreide, 1,8 mal mehr als der Wirtschaftskraft des Landes entspricht. Gleichzeitig sollten rigide Sparauflagen dazu führen, das Land in die Lage zu versetzen, diese Schulden bedienen zu können. Und wiederum gleichzeitig sollte die Politik der internen Abwertung das Land im Eurozonen-Raum wieder wettbewerbsfähig machen. „Interne Abwertung“ ist nur die vornehme Umschreibung, dass mit steigender Arbeitslosigkeit die Löhne so lange gedrückt werden sollen, bis es passt.

Sinkende Löhne bedeuten sinkende Nachfrage, sinkende Nachfrage bedeutet sinkende Wirtschaftskraft des Landes, sinkende Wirtschaftskraft bedeutet sinkende Fähigkeit, Schulden bedienen zu können. In diesen Teufelskreis hat die Eurozonen-Politik Griechenland geschickt (nein, das Land ist nicht nur unschuldiges Opfer). Die einzige Möglichkeit, „von selbst“ wieder auf die Füsse zu kommen, wäre ein Ausscheiden aus dem Euro gewesen. Und ist es weiterhin.

Die Griechen sind in einer jahrelangen Rezession den halben Weg dieser internen Abwertung gegangen. Die zweite Hälfte liegt noch vor ihnen. Selbstredend wollen sie diese zweite Hälfte nicht auch noch gehen. Aber die Mehrheit der Griechen will Umfragen zufolge, dass ihr Land im Euro verbleibt. Beides zusammen geht nur bei einem radikalen Politikwechsel in der Eurozone.

Der Knackpunkt in allen Verhandlungen der griechischen Regierung mit ihren Gläubigern war immer ihre Forderung nach einem Schuldenschnitt. Genau daran sind sie auch gescheitert, nicht an ein paar Milliarden Sparprogramm hier oder da. Die Gläubiger haben bis jetzt die Fiktion aufrecht erhalten, sie würden ihr Geld wieder sehen. So wurde das auch den Steuerzahlern in Europa verkauft. Frau Merkel hat stets betont, dass die Kredite sicher sind (so wie Blüm früher einmal ausrief: Die Renten sind sischä).

Die Verhandlungsposition der griechischen Regierung hat sich mit dem sturen Festhalten der Gläubiger an ihrer Ablehnung eines Schuldenschnitts immer weiter verbessert und dazu geführt, dass ihre Forderungen nun so weich gespült sind, wie es weicher nicht geht. Fehlt nur noch die öffentliche Einsicht, dass ein Großteil der Schulden verloren ist. An dieser Erkenntnis kommt niemand vorbei. Dies gilt nicht nur für die griechischen Schulden, hier ist das Missverhältnis nur besonders krass. Deutschland müsste im Falle eines griechischen Schuldenschnitts bis zu etwa 85 Mrd. Euro abschreiben.

Wird Griechenland im Euro gehalten, so ist das ein Sargnagel für die von Deutschland getriebene Politik der „internen Abwertung“ und Austerität. Dann werden bald wieder (noch) mehr Schulden gemacht werden, wird (noch) mehr Geld gedruckt. Haushaltsdisziplin war dann gestern.

Verschwörungstheorie – Anfang: EZB-Chef Draghi hat mit der beständigen Ausweitung der ELA-Nothilfen für griechische Banken dazu beigetragen, die Position der griechischen Regierung in den Verhandlungen mit ihren Gläubigern immer weiter zu verbessern. Hinter dem Rücken von Koch Merkel arbeitet der Kellner Draghi daran, die „deutsche“ Austeritätspolitik ins Abseits zu stellen. Als Italiener verschafft er damit seinem schuldengebeutelten Heimatland kurzfristig und kurzsichtig Luft, als ex-Goldman-Sachs-Mitarbeiter öffnet er den Investmentbanken neue Quellen, an Staatsschulden zu verdienen. Verschwörungstheorie – Ende.

Mittlerweile macht Merkel erste vage Andeutungen, sie könnte sich mit einem Schuldenschnitt für Griechenland anfreunden.

Was sind die Konsequenzen, wenn Griechenland im Euro bleibt und die deutsch-dominierte Austeritätspolitik nicht nur dort ihr allmähliches Ende findet? Die Abkehr von der Politik der „internen Abwertung“ in den Krisenländern führt zwangsläufig zur „internen Aufwertung“, also Steigerung der relativen Preise in den Kernländern der Eurozone, in Deutschland, den Niederlanden usw. Da der Euro derzeit schwach ist, wird es zwar eine zeitlang dauern, bis diese Politik die Wettbewerbsstellung v.a. von Exportmeister Deutschland auf den Weltmärkten tangiert. Aber mit diesem Politikschwenk wird vermutlich ein Trend eingeleitet, der die relativ gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland auf mittlere bis längere Sicht zurückdreht. (Ein zarter Inflations-Hinweis: Der Kreditfluss ist auch in der Eurozone in Gang gekommen – siehe hier!)

Achten Sie darauf, wie der Euro über den Tag hinaus auf das griechische Referendum reagiert! Im Wochenchart wird der Versuch einer Aufwärtstrendwende deutlich. So lange die eingezeichnete kurze Linie respektiert wird, dürften die Finanzmärkte signalisieren, dass sie dem Euro „gewogen“ sind.

Ergänzung:
In der FAZ ist ein Interview mit dem griechischen Finanzminister Varoufakis erschienen – sehr lesenswert.

Nachtrag:
(6.7.15) Die griechische Bevölkerung hat mit klarer Mehrheit (über 61%) "Nein" gesagt zum letzten Verhandlungsstand Griechenlands mit seinen Gläubigern. Der griechische Finanzminister Varoufakis ist zurückgetreten. In seinem Blog bezieht er dazu Stellung: Bestimmte Teilnehmer der Eurogruppe und zugeordnete "Partner" zögen seine Abwesenheit bei den Verhandlungen vor; der Premierminister hielte das für potentiell hilfreich, um eine Einigung zu erreichen. Daher gebe er sein Amt auf. Er betrachte es als seine Pflicht, Tsipras dabei zu unterstützen, so wie er es sieht, die Möglichkeiten zu nutzen, die das griechische Volk mit dem gestrigen Referendum geschaffen hat. Γεια σου!

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