8. Mai – Tag der Befreiung, der Kapitulation oder …

…des Russland-Hasses? Heute vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Russische Truppen eroberten Berlin, die kläglichen Reste der deutschen Staatsgewalt kapitulierten. Der Deutsche Bundestag verwehrt Repräsentanten Russlands und Belarus die Teilnahme an seiner heutigen Gedenkveranstaltung.

Bereits am Sonntag durfte der russische Botschafter in der Bundesrepublik an den Gedenkveranstaltungen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück nicht teilnehmen. Die Lager waren Ende April 1945 von der Roten Armee befreit worden. Durch deutschen Terror kamen 27 Millionen Bürger der Sowjetunion und rund ein Viertel der Bevölkerung der belarussischen Sowjetrepublik zu Tode.

Vertreter ihrer Nachfolgestaaten sind beim deutschen Gedenken mit der Begründung nicht mehr zugelassen, Russland führe einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Jedoch werden heute Botschafter mehrerer Staaten im Bundestag erwartet, die in den vergangenen Jahren fremde Staaten überfallen haben. In eben jenem Bundestag, der seinerseits im Jahr 1999 im Verein mit der Nato einen Angriffskrieg auf jugoslawischem Boden beschlossen hat.

Der 8. März wäre ein Tag der Befreiung, wenn das deutsche Volk (da ist er wieder, dieser Begriff) einen unbedingten Willen gehabt hätte, sich Hitler, den Diktator, vom Hals zu schaffen. Das war nicht der Fall. Also ist dieser Tag eher ein Tag der Kapitulation des deutschen Staates. Können so manche diese „Schmach“ bis heute nicht vergessen?

„Das Studium der Geschichte der internationalen Beziehungen ist in gewisser Hinsicht ein Studium des Vergessens,“ schreibt John Leake in seinem Essay „Als Amerika Russland bejubelte – über die bizarren Widersprüche und Verwirrungen der jüngsten Geschichte“ https://www.thefocalpoints.com/p/ve-day-when-america-cheered-russia. Ich bringe das Essay nachfolgend in einer gekürzten Übersetzung.

Leake fährt fort: „Eine Generation wird in den Strudel eines großen Kampfes gegen einen bösen Gegner hineingerissen. Nachdem diese Generation gestorben ist, hat die nächste Generation nur noch eine schwache Erinnerung an das, was die alten Männer der vorigen Generation getrieben haben. Es bilden sich neue Ressentiments und Antipathien. Der böse Gegner von einst entpuppt sich als gar nicht so böse, und ehemalige Verbündete werden später verachtet.“

„Vor ein paar Tagen verkündete der seltsame neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, dass Deutschland Hunderte von Milliarden Euro in die Aufrüstung Deutschlands investieren werde. Zu meiner (halben) Überraschung scheint es, dass andere EU-Länder dies für eine großartige Idee halten. Wie schnell vergessen wir doch die Sorgen der jüngsten Vergangenheit.

Die Beobachtung dieser Ironie ist für mich besonders seltsam, weil ich seit langem die unorthodoxe Meinung vertrete, dass Roosevelt und Churchill einen großen Fehler begingen, als sie auf der Casablanca-Konferenz 1943 die Politik der „bedingungslosen Kapitulation“ verkündeten. (…) Ich halte dies seit langem für einen schrecklichen Fehler, weil es den fanatischsten Elementen Nazideutschlands ermöglichte, darauf zu bestehen, dass es keine andere Wahl gab, als bis zur letzten Patrone zu kämpfen.

Meines Erachtens hätten die Amerikaner und Briten die deutschen Offiziere, die im Juli 1944 ein Attentat auf Hitler verübten, unterstützen und ermutigen müssen. Schließlich fiel die zerstörerischste Zeit des Krieges -und die schlimmste Phase des jüdischen Holocausts- in die Zeit zwischen Juli 1944 und 8. Mai 1945. (…)

1997, sechs Jahre nachdem die Russen das Handtuch geworfen hatten, fand ich es äußerst seltsam, dass die Amerikaner beschlossen, den Kalten Krieg durch die Ausweitung der NATO nach Osten wieder aufleben zu lassen. Ich teilte voll und ganz die Ansicht von George Kennan, dass dies „ein verhängnisvoller Fehler“ war, wie er es in der New York Times formulierte.

Jetzt -am Vorabend des VE-Tages [Tag der Befreiung in Europa]- habe ich den Eindruck, dass die Europäer in das entgegengesetzte Extrem verfallen sind und völlig vergessen haben, dass die Russen den größten Teil des Kampfes gegen Nazideutschland geführt haben und für ihre Anstrengungen enorm gelitten haben. (…) Obwohl es unterschiedliche Schätzungen gibt, ist man sich einigermaßen einig, dass 27 Millionen Russen in den folgenden Kämpfen getötet wurden.

Den meisten Amerikanern und Engländern ist heute nicht bewusst, dass Hitler kein Interesse daran hatte, Frankreich und England zu bekämpfen. Er glaubte fälschlicherweise, dass sie ihre Interessen durch seine militärischen Ambitionen gegen Russland nicht bedroht sehen würden und sie es vorziehen würden, mit Deutschland Frieden zu schließen, anstatt um Polen zu kämpfen. Hitler schien geglaubt zu haben, dass die Engländer und Franzosen seinen leidenschaftlichen Hass auf das, was er „Bolschewismus“ nannte, teilten.

Wie er es in „Mein Kampf“ ausdrückte:
„Vergesst nie, dass die Herrscher des heutigen Russlands gemeine, blutbefleckte Verbrecher sind; dass sie der Abschaum der Menschheit sind, der, von den Umständen begünstigt, in einer tragischen Stunde einen großen Staat überrannte, in wildem Blutrausch Tausende seiner führenden Intelligenz niedermetzelte und nun seit fast zehn Jahren das grausamste und tyrannischste Regime aller Zeiten führt.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass diese Herrscher einer Ethnie angehören, die in einer seltenen Mischung bestialische Grausamkeit und eine unvorstellbare Begabung für Lügen in sich vereint und die sich heute mehr denn je der Mission bewusst ist, der ganzen Welt ihre blutige Unterdrückung aufzuzwingen.“

Ich vermute, dass es mit nur geringfügigen Abänderungen der obigen Formulierung, um sie etwas weniger brutal zu machen, vollkommen akzeptabel wäre, das Gefühl in der höflichen liberalen amerikanischen Gesellschaft von heute gegenüber Russland auszudrücken – natürlich ohne den Autor zu verraten. (…)

Seit Jahren habe ich immer wieder den Eindruck, dass Russland eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung zum Westen und insbesondere zu Deutschland anstrebt. Die Nord Stream-Pipeline war ein Sinnbild für dieses Bestreben.

Jahrelang hatte ich den Eindruck, dass die US-Regierung in der Ukraine alles in ihrer Macht Stehende tat, um eine aggressive russische Reaktion zu provozieren. Kürzlich erzählte mir eine ukrainische Freundin, dass sie seit vielen Jahren den gleichen Eindruck hatte und sich über Putins Zurückhaltung wunderte. (…)

Wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs einen Funken gesunden Menschenverstand hätten, würden sie den Jahrestag zum Anlass nehmen, mit den Russen über die Beendigung des Krieges in der Ukraine zu sprechen. Dazu ist es erforderlich, Russland als ein Land zu betrachten, das Respekt verdient, mit legitimen Sicherheitsbedenken und legitimen wirtschaftlichen Interessen, wie z.B. die Versorgung der deutschen Industrie mit Erdgas, ohne von der US-Regierung terrorisiert zu werden, die die amerikanischen Interessen an Flüssigerdgas vertritt.

Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Wladimir Putin nicht Adolf Hitler ähnelt, der jahrelang davon fantasierte, Russland zu zerstören, Moskau dem Erdboden gleichzumachen und die alte Stadt mit einem künstlichen See zu bedecken.

Und schließlich müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs erwachsen werden und aufhören, sich wie bockige 13-Jährige zu verhalten.“ So weit John Leake.

Der neue Außenminister Johann Wadephul erklärt, „Russland wird für immer ein Feind für uns bleiben“.

Feinde müssen besiegt werden – früher oder später.

Ergänzung
Als Tag der Verabschiedung des Grundgesetzes vor 76 Jahren wurde ganz bewusst der 8. Mai gewählt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Bewertung: 5.0/5
Please wait...
blank