Wie Kriege enden – oder auch nicht

Kriege enden auf eine von drei Arten: Sieg, Kompromiss oder gegenseitige Erschöpfung, schreibt George Friedman in „How Wars End“. Das ist nicht direkt neu. Was er zum Ukraine-Krieg zu sagen hat, erstaunt angesichts der sich immer mehr aufhellenden Hintergründe.

Für ihn waren die USA die wichtigste Quelle für Verteidigungswaffen der Ukraine in ihrem Kampf gegen den Überfall Russlands. Von direkter oder indirekter Kriegsbeteiligung spricht er nicht, auch nicht davon, dass die Ukraine stellvertretend für die USA und den „Wertewesten“ kämpft. Er stellt nur lapidar fest, dass es jetzt für die USA keinen Nutzen mehr hat, die Ukraine zu stärken oder ihre Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Vielleicht schwingt auch Enttäuschung mit…

Nachfolgend bringe ich eine Übersetzung des erwähnten Artikels und daran anschließend einen Kommentar.

Friedman: „Im Ukraine-Krieg besteht die militärische Realität darin, dass weder der Angreifer, Russland, noch der Verteidiger, die Ukraine, ihre erklärten Ziele erreicht haben. Russlands Ziel war es, die Ukraine zu erobern. Dass es ihm nur gelungen ist, einen kleinen Teil des Ostens einzunehmen, hat zu der absurden Behauptung geführt, Russland wolle nur den Osten. Wäre das wahr, dann hätte Russland nach einem Jahr Kampf den Sieg erringen und den Krieg beenden können (und wahrscheinlich auch müssen). Die Wahrheit ist natürlich, dass Russland versucht hat, das ganze Land zu erobern, und daran gescheitert ist.

Das Ziel der Ukraine ist es, ihr gesamtes Territorium zu behalten. Das Problem ist, dass das ukrainische Militär nicht stark genug ist, um die Russen aus der Ukraine zu drängen. Das bedeutet implizit, dass die europäischen Nationen, die die Ukraine unterstützen, ebenfalls nicht die Macht oder den Willen haben, Russland zu vertreiben.

Warum Russland in Europa einmarschierte, ist an dieser Stelle sowohl wichtig als auch fragwürdig. Moskaus Priorität bestand darin, einen Puffer zwischen der russischen Grenze und der Ostgrenze der NAT0 in Polen zu errichten. In gewisser Weise war dieser Schritt durch eine absurde Angst motiviert, da die Fähigkeit und der Wunsch der NATO, in Russland einzumarschieren, nicht vorhanden waren. Aber Fähigkeiten und Absichten ändern sich, und die Staaten müssen vom schlimmsten Fall ausgehen. Russland war überzeugt, dass es in der Ukraine ohne weiteres einen Puffer gewinnen könnte. Eine andere reale Möglichkeit ist, dass Russland davon träumte, die Grenzen der zusammengebrochenen Sowjetunion wiederherzustellen, und die Invasion in der Ukraine war der erste Schritt. Er ist gescheitert, so dass der Rest vorerst irrelevant ist.

Keine der beiden Seiten ist motiviert, weiter zu kämpfen oder zu kapitulieren. Der Kompromiss ist also das einzige Ergebnis. Ein Kompromiss ist für diejenigen, die den Krieg begonnen haben, ebenso peinlich wie für diejenigen, die sich widersetzt haben. Er ist auch schwierig. Bei jeder Verhandlung, ob im Krieg oder im Geschäftsleben, wird keine Seite zugeben, dass sie einen Kompromiss braucht oder dass sie nicht bereit ist, davon abzuweichen. Aber es ist wichtig, das, was gesagt wird, zu ignorieren und zu erkennen, was wirklich ist: Russland hat es nicht geschafft, die Ukraine einzunehmen, und die Ukraine hat einen Teil ihres Territoriums verloren. Keiner von beiden kann den Tisch verlassen, nicht, wenn sie rational sind. Rationalität in diesem Sinne ist die Anerkennung der Realität, insbesondere wenn es darum geht, die Kriegslust der Öffentlichkeit und des Militärs zu bestimmen. Russland ist schwer zu durchschauen, aber es ist unwahrscheinlich, dass sein Militär und seine Öffentlichkeit – die beide für Präsident Wladimir Putin von Bedeutung sind – weitere drei Jahre Blutvergießen wollen. Zweifellos hat die Ukraine ähnliche Befürchtungen.

Das Ganze hat noch eine weitere Dimension: die Tatsache, dass andere Nationen ein Interesse am Ausgang des Krieges haben. Russland hat nur wenige Verbündete. Die Ukraine hat viele, wenn auch solche, die nie daran interessiert waren, echte Soldaten in die Schlacht zu schicken. Das Problem mit den Verbündeten ist, dass sie zwar ein Interesse an dem Krieg haben, aber nicht das höchste Opfer bringen müssen. Europa behauptet, eine Zukunft zu fürchten, in der ein feindliches Russland an seinen Grenzen sitzt, doch ist es nicht so verängstigt, dass es eine glaubwürdige Verteidigungsmacht aufgebaut oder den für einen Krieg notwendigen Kampfgeist entwickelt hätte. Und obwohl Russlands Verhalten in der Ukraine zeigt, dass es keine Militärmacht ist, vor der man sich fürchten muss, ist es in Wirklichkeit relativ nutzlos für die Ukraine, Verbündete zu haben, die einen Rückzug Russlands fordern, ohne viel zu tun, um die Sache zu erzwingen.

Die Vereinigten Staaten, die einst die wichtigste Quelle für Verteidigungswaffen der Ukraine waren, sind nun der Ansicht, dass es keinen Nutzen hat, die Ukraine zu stärken oder ihre Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Das bedeutet, dass es allein die Europäer sind, die Bedingungen stellen wollen, die Russland nicht erfüllen wird. Russland begann 2014 mit der Besetzung der Krim. Die strategischen Gründe für die Besetzung bleiben bestehen. Moskau wird die Krim nicht aufgeben, und Europa wird deswegen nicht in einen Krieg mit Russland ziehen. Das ist wichtig, denn Moskau hat im Rahmen der Friedensverhandlungen gefordert, dass die Ukraine die Halbinsel abtritt, d.h. die faktische Realität zur rechtlichen Realität macht. Dies wird wahrscheinlich ein Knackpunkt sein, der im weiteren Verlauf der Gespräche immer wieder auftauchen wird.

Der Krieg ist noch nicht ganz vorbei, denn die Kämpfe gehen weiter. Solange sich die russische Armee nicht plötzlich zu einer schlagkräftigeren Truppe entwickelt oder die USA oder Europa keine massiven Streitkräfte entsenden, um Russland zu vertreiben, sind die Linien auf der Landkarte jedoch mehr oder weniger festgelegt. Die neuen Grenzen sind eine Realität. Und jeder muss diese Realität akzeptieren, wenn die Friedensgespräche erfolgreich sein sollen. Es gibt noch andere Forderungen, die die Europäer stellen können, die Russland nicht akzeptieren wird – was sie als ehrbarer erweist als die Amerikaner, die nur das Ende des Krieges wollen und mit einem geschwächten Russland Geschäfte machen wollen – und es gibt noch andere Themen, über die verhandelt werden kann. Einige davon, wie die Größe des ukrainischen Militärs, können und werden wahrscheinlich ignoriert werden.

Es gibt noch eine letzte Dimension, die berücksichtigt werden muss. Russland ist eine Atommacht, und während des Kalten Krieges trafen Russland und die USA alle Vorsichtsmaßnahmen, um zu vermeiden, dass sie sich gegenseitig ernsthaft bedrohten. Sie haben sich in der so genannten Dritten Welt duelliert, aber abgesehen von der kubanischen Raketenkrise haben sie nie damit gedroht, sich gegenseitig in eine unhaltbare Lage zu bringen, weil sie eine verzweifelte nukleare Reaktion befürchteten. Die Ostukraine und die Halbinsel Krim sind es einfach nicht wert, bis zum Äußersten zu gehen, wie wir im Kalten Krieg zu sagen pflegten.

In den 1970er Jahren verhandelten die USA endlos mit Nordvietnam über einen Krieg, von dem sie längst wussten, dass sie ihn nicht gewinnen konnten. Ich denke, die USA haben daraus gelernt, dass diplomatischer Stolz nicht den Preis von Menschenleben wert ist. Russland kann die Ukraine nicht besetzen, die Ukraine kann die Russen nicht vertreiben, und die Verhandlungen müssen dies anerkennen. Putin wird sagen, dass er keinen Frieden braucht, und Europa wird empört sein, dass Amerika das Unzulässige zugibt – dass der Krieg vorbei ist. Aber das ist alles nur Getue. Diejenigen, die den Krieg fortsetzen wollen, wenn ihre Bedingungen nicht erfüllt werden, bluffen mit einem kaputten Flush. Der Krieg ist vorbei, bis auf das Töten.“

Kommentar
Friedmans Sicht auf den Ukraine-Krieg ist bizarr. Er behauptet, Russlands Ziel sei die Eroberung der ganzen Ukraine gewesen – einen Beleg dafür bringt er nicht. Er erwähnt auch mit keinem Wort, dass drei Monate nach dem Einmarsch Russlands ein Friendens-Vertrag zwischen den unmittelbar Beteiligten vorlag. Die Unterzeichnung wurde durch Intervention des damaligen englichschen Premierministers Johnson verhindert. Das spricht nicht gerade für das von Friedman angegebene Ziel, sondern eher dafür, dass der Wertewesten Russland schwächen oder niederringen wollte. Ebenfalls mit keinem Wort wird die Vorgeschichte erwähnt, nämlich, dass russischen Forderungen nach einer Sicherheitsgarantie seitens der USA beständig mit Arroganz begegnet wurde. Das Motiv Russlands, einen Puffer zwischen der Ostgrenze der Nato und Russland zu schaffen, tut Friedman als absurde Angst ab.

Die „Leuchturmwärterin“ Petra Erler hat vor kurzem noch einmal festgehalten: „Nicht streiten kann man darüber, dass die USA bzw. die Nato über viele Jahre die Strategie betrieben, Russland zu schwächen und die Ukraine gegen Russland in Stellung zu bringen. (…) Man kann nicht darüber streiten, dass Moskau sich schließlich völkerrechtswidrig zum Krieg gegen die ukrainische Zentralgewalt entschloss, aber auch nicht darüber, dass alle Verhandlungswege inzwischen komplett versperrt worden waren, von der Ukraine (Minsk-II), von der Nato (Verhandlungen um Sicherheitsgarantien für Russland). (…) Aber genauso gewiss ist inzwischen, dank Veröffentlichungen in der New York Times und der Times of London, dass sich der US-geführte Westen mit seiner Strategie der Untergrabung der Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im Frühling 2022 auf der Gewinnerstraße wähnte.“

Die New York Times hat kürzlich eingeräumt, dass die ukrainische Armee seit 2022 von den USA kommandiert wurde, während die britische Times nun behauptet, das eigentliche „Gehirn" hinter den militärischen Operationen sei britisch gewesen. Die Berichte scheinen der Versuch zu sein, die Politik der Biden-Regierung in der Ukraine –und implizit die Berichterstattung der NATO– als Erfolg darzustellen. Wenn da nicht die sturen und ungehorsamen ukrainischen Generäle gewesen wären, die sich weigerten, den Ratschlägen der intellektuell überlegenen US-Offiziere zu folgen.

Für Friedman fängt die Geschichte des Krieges so an: „Russland begann 2014 mit der Besetzung der Krim.“ Aber es gibt eine Vorgeschichte, die sogenannte Maidan-Revolution, angezettellt durch Victoria Nuland von den Neocons und das, was danach auf Betreiben des Westens geschah. Und noch weiter zurück liegt die Zusicherung des Westens Anfang der 1990er Jahre, dass es keine Osterweiterung der Nato geben wird. Aber die Angst Russlands vor dem Westen ist absurd, meint Friedman.

Über George Friedman
George Friedman von Geopolitical Futures ist ein gut vernetzter US-amerikanischer Analytiker der Weltpolitik. Zweifel an der Rolle der USA fechten ihn nicht an. Es schadet nicht, seine USA-zentrierte Sicht zu kennen – das Land ist nach wie vor die bedeutendste wirtschaftliche, politische und militärische Macht auf der Welt. Diese Sicht schließt ein, Russland als den großen Aggressor und großen Verlierer in der Ukraine zu sehen.

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