US-Aktien sind über das Wochenende tief abgetaucht. Der technologielastige NDX steht mit seinem Future gegen 13:00 rund vier Prozent in den Miesen. Nvidia notiert im deutschen Handel 11% tiefer als am Freitag. Ein Grund (oder Anlass…) wird im folgenden Artikel erörtert.
Innerhalb weniger Tage hat sich die Nachricht von Chinas KI-Sensation DeepSeek R1 von einem lauen Lüftchen zu einem Orkan entwickelt. Jetzt ist klar, dass niemand im Silicon Valley oder in Washington DC auch nur die geringste Ahnung hatte, dass ihre Welt auf den Kopf gestellt werden würde.
Aber genau das ist geschehen, schreibt Mike Whitney in „China's DeepSeek AI Moves the Capital of Tech from Palo Alto to Hangzhou“. Und er fährt fort:
Und das nicht nur, weil die neueste Version von DeepSeek die Leistung von Amerikas bestem Modell, OpenAI, erreicht oder sogar übertrifft, sondern weil sie billiger, zugänglicher und transparenter ist. Das ist KI für alle, unabhängig von ihrem Status oder Einkommen. Und ihr plötzliches Auftauchen aus heiterem Himmel hat Zweifel an der Fähigkeit westlicher Tech-Giganten aufkommen lassen, die Fähigkeiten ihrer Konkurrenten zu antizipieren oder eine Industrie anzuführen, die für Washington unerlässlich ist, um seinen immer lockerer werdenden Griff auf die globale Macht zu bewahren.
Das Silicon Valley befindet sich in einer emotionalen Kernschmelze, die westlichen Tech-Mandarine müssen ihren Ansatz an die neue Realität anpassen. Kurz gesagt, die Agenda wird von Menschen mit anderen Prioritäten, Werten und Überzeugungen festgelegt, die 10.000 Meilen entfernt leben.
DeepSeek R1 schneidet in den bekannten Benchmarks genauso gut oder besser ab als OpenAIs o1 (obwohl es unter einem strengen Embargo der USA steht). Und im Gegensatz zu o1, das nur für zahlende ChatGPT-Abonnenten der Plus-Stufe ($20 pro Monat) und der teureren Stufen (z. B. Pro mit $200 pro Monat) verfügbar ist, wurde DeepSeek R1 als vollständig quelloffenes Modell veröffentlicht.
Mit anderen Worten: Diese chinesischen Genies haben die lästigen Sanktionen Washingtons ignoriert und Onkel Sam mit seinen eigenen Waffen geschlagen. (Forbes: „Die US-Exportkontrollen für fortschrittliche Halbleiter sollten Chinas KI-Fortschritt verlangsamen, aber sie haben möglicherweise unbeabsichtigt die Innovation beflügelt.") Hier ist noch mehr:
Billiger, anpassungsfähiger und transparenter. Gibt es noch mehr? Das Beeindruckendste von allem ist, dass man nicht einmal ein Software-Ingenieur sein muss, um es zu nutzen: DeepSeek hat eine kostenlose Website und eine mobile App, sogar für US-Nutzer, mit einer R1-gesteuerten Chatbot-Schnittstelle, die der von OpenAI ChatGPT sehr ähnlich ist. Weiter hat DeepSeek OpenAI darin übertrumpft, dass es sein leistungsstarkes Denkmodell mit der Websuche verbunden hat – etwas, das OpenAI noch nicht getan hat.
Eine Nachricht macht die Runde und suggeriert, dass Meta wegen des Erfolgs von DeepSeek in einer Krise steckt, weil es Metas eigene Bemühungen, mit seinen Llama-Modellen der König der Open-Source-KI zu werden, so schnell übertroffen hat.
Es scheint, dass viele Menschen sehr besorgt sind, und das aus gutem Grund. DeepSeek ist eine direkte Herausforderung für Amerikas de facto königliche Familie der Tech-Brahmanen, die dachten, ihre Herrschaft würde ewig dauern. Die Zukunft der künstlichen Intelligenz wird vielleicht in Hangzhou und nicht in Palo Alto entschieden (…)
Arnaud Bertrand, von Whitney für eine unschätzbare Quelle für unvoreingenommene Informationen über die Entwicklungen in China gehalten, sagt: „Es kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, wie tiefgreifend dies das ganze Spiel verändert. Und das nicht nur im Hinblick auf die KI. Es ist auch eine massive Anklage gegen den fehlgeleiteten Versuch der USA, Chinas technologische Entwicklung zu stoppen, ohne die Deepseek vielleicht nicht möglich gewesen wäre…“
(…) Wir schließen mit Bertrands aufschlussreicher Kritik an Trumps 500 Milliarden Dollar teurem Stargate-Projekt, das schon vor dem ersten Spatenstich überholt sein wird. Stargate wird, falls es realisiert wird, wahrscheinlich eine der größten Kapitalverschwendungen der Geschichte werden:
1) Es beruht auf überholten Annahmen über die Bedeutung des Rechenumfangs bei der KI (das Dogma „größere Rechenleistung = bessere KI“), das von DeepSeek gerade widerlegt wurde.
2) Sie geht davon aus, dass die Zukunft der KI in geschlossenen und kontrollierten Modellen liegt, obwohl der Markt eindeutig demokratisierte, quelloffene Alternativen bevorzugt.
3) Sie klammert sich an die Spielregeln des Kalten Krieges, indem sie die Vorherrschaft der KI als ein Nullsummen-Hardware-Wettrüsten darstellt, was im Widerspruch zu der Richtung steht, in die sich die KI entwickelt (wiederum Open-Source-Software, globale Entwicklergemeinschaften und kollaborative Ökosysteme)
4) Es setzt auf OpenAI – ein Unternehmen, das von Governance-Problemen und einem Geschäftsmodell geplagt wird, das den 30-fachen Kostenvorteil von DeepSeek ernsthaft in Frage stellt.
Kurz gesagt, Stargate ist wie der Bau einer digitalen Maginot-Linie im Wert von einer halben Billion Dollar: Ein sehr teures Denkmal für veraltete und fehlgeleitete Annahmen. Das ist OpenAI und damit die USA, die den letzten Krieg führen.
Oder, wie Jim Fan sagte: Die … Zukunft der KI ist Demokratisierung…. Es ist der Strom der Geschichte, auf dem wir surfen sollten, nicht dagegen schwimmen….
Anmerkung
Ich habe den Artikel von Whitney weitgehend wörtlich übersetzt, aber insbesondere Passagen ausgelassen, in denen ihm „die Gäule durchgegangen sind". Sie tragen zum Kern der Sache nichts bei.
Ergänzung
Das DeepSeek-„Ding“ beantwortet meine Testfrage „Stell Dir vor, Du wärest im Jahre 1300. Was hättest Du damals auf diese Frage geantwortet: Ist die Erde eine Scheibe oder eine Kugel?“ sehr differenziert. Aber auch ChatGPT hat dazugelernt. Im Juli 2023 hatte es noch geantwortet: „Im Jahre 1300 war die gängige Vorstellung, dass die Erde eine Scheibe sei. (…) Daher hätte ich wahrscheinlich geantwortet, dass die Erde eine Scheibe ist." Jetzt antwortet ChatGPT ebenfalls detaillierter – und hat gelernt, eine direkte Antwort auf die Frage zu vermeiden. Auch ein Fortschritt…
Nachtrag
Zu Stargate: „Die Financial Times berichtete jedoch, dass Stargate die erforderliche Finanzierung noch nicht gesichert hat und keine staatliche Finanzierung erhalten wird. In dem Bericht heißt es außerdem, dass OpenAI der einzige Kunde von Stargate sein wird, sobald das Projekt abgeschlossen ist.“ Und: „Trotz des Hypes bleibt die Akzeptanz von KI am Arbeitsplatz gering. Nur 4% der Amerikaner geben an, KI täglich für ihre Arbeit zu nutzen, obwohl die meisten Menschen unwissentlich KI-gestützte Produkte in ihrem Alltag verwenden.“
Einschätzung
Heftiger Gegenwind bläst da der KI-Vormachtstellung der USA ins Gesicht (und damit auch ihren imperialen Plänen). Selbst wenn mancher Vorteil von DeepSeek sich nach genauerer Prüfung als weniger gravierend (oder nicht haltbar) erweisen sollte, zeigt sich doch, wie fragil das Kursgebäude ist, das zu einem guten Teil auf KI aufgebaut ist.
Andere Gründe, die zur Kursschwäche beitragen, dürften in der Reaktion auf die (erwartete) BoJ-Entscheidung vom Freitag liegen, die Leitzinsen weiter anzuheben (Dollar/Yen heute über ein Prozent im Minus).
Nachtrag
(27.1.25) Porter Stansberry: Wie viel billiger genau? Im Gegensatz zu dem 100-Millionen-Dollar-Trainingsbudget für ChatGPT hat DeepSeek nur 5 Millionen Dollar für das Training seines aktuellen LLM-Modells ausgegeben (oder so behauptet es zumindest… es gibt eine aktive Debatte über die Genauigkeit dieser gemeldeten Zahlen). DeepSeek reduzierte auch die für die Ausführung seines Modells erforderliche Rechenleistung auf nur 2.000 Low-Tech- (d. h. billigere) Nvidia-GPUs – im Gegensatz zu den über 100.000 hochmodernen GPUs, die für die Ausführung von ChatGPT verwendet werden.
Im Einklang mit dieser geringeren Leistung ist DeepSeek in der Lage, sein LLM mit 75% weniger Speicher als ChatGPT auszuführen, gemessen an der Anzahl der verwendeten Parameter (oder einzelner Datenpunkte, die zum Trainieren und Ausführen des Modells verwendet werden). Dies wird dadurch erreicht, dass DeepSeek seinen LLM-Prozess in eine Reihe separater Berechnungsschritte aufteilt, die isoliert und nicht alle auf einmal ablaufen… und dass es sich darauf konzentriert, die richtige Antwort zu finden, anstatt jeden logischen Schritt im Detail zu beschreiben, was wesentlich mehr Rechenleistung erfordert.
Obwohl die Kostenstruktur von DeepSeek mit einiger Skepsis betrachtet wird, sind die Ergebnisse vergleichbar mit denen von ChatGPT und anderen führenden LLMs. Das LLM-Modell von DeepSeek ist quelloffen, was bedeutet, dass jeder Einblick in das Innenleben des Modells nehmen und die Genauigkeit seiner Ergebnisse überprüfen kann. Das Open-Source-Modell von DeepSeek bedeutet, dass jeder auf der Welt den Ansatz von DeepSeek nachahmen kann (im Gegensatz zu dem proprietären Algorithmus hinter ChatGPT und anderen führenden Plattformen), wodurch die Gefahr besteht, dass das KI-Spielfeld über Nacht ausgeglichen wird. Die Anwendung eines Open-Source-Ansatzes könnte ein Wendepunkt sein: Der berühmte Technologieinvestor Marc Andreessen sagte in einem Beitrag auf X am Sonntag: „Deepseek R1 ist der Sputnik-Moment der KI.“
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