Wenn alle (zu) optimistisch sind, geschieht etwas anderes

(Fast) alle an den Finanz-Märkten sind überaus optimistisch, Spekulationen und Hebelwirkung sind zurück, die Anleger gehen immer mehr Risiken ein.

Die Märkte sind überkauft und haben sich von den kurzfristigen gleitenden Durchschnitten gelöst. Der S&P 500 hat in diesem Jahr 54 Allzeithochs erreicht, die sechsthöchste Zahl in einem einzigen Jahr seit 1920 (und das Jahr ist noch nicht vorbei!). Frühere Extremwerte dieser Art traten kurz vor den Höchstständen der Märkte Ende der 1920er, Ende der 1960er, Ende der 1990er und 2021 auf.

Das Bull/Bear-Verhältnis von Investors Intelligence ist von 2,3 Mitte Oktober auf 3,9 in der zurückliegenden Woche angestiegen. Der Anteil der Bullen liegt mit 62,9% auf einem historischen Höchststand.

Die Anleger wiegen sich in Selbstzufriedenheit, schreiben die historisch niedrige Volatilität fort, was sich im beständig sinkenden VIX zeigt. Der Angstmesser an Wall Street zeigt die implizite Volatiilität bei Aktien. Sein Wert notiert wieder wie zwischen Mai und Mitte Juli so tief wie zuletzt im Januar 2020.

Aktien, Bitcoin, fremdfinanzierte Anlagen und Meme-Aktien steigen, man fühlt sich an Phasen des „Wahnsinns“ in der Corona-Zeit erinnert. Das nachfolgende Diagramm zeigt den Unterschied zwischen den Netto-Spekulationspositionen bei US-Aktienfutures und den Treasury-Futures für mittlere Laufzeiten (Chartquelle).

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Sind die Konsequenzen dieses Mal anders?

Neben der überschäumenden Stimmung bestehen Risiken in der Kombination aus hohen Aktienbewertungen und der Notwendigkeit einer Portfolioumschichtung, was die Marktstabilität beeinträchtigen könnte.

Das Jahresende rückt näher, Portfoliomanager werden ihre Bestände demnächst neu ausbalancieren. Der S&P 500 liegt seit Jahresbeginn fast 30% im Plus, Investment-Grade-Anleihen (gemessen am iShares US Aggregate Bond ETF (AGG)) sind lediglich um 3,2% gestiegen. Gemessen am iShares Euro Corp Bond Large Cap (WKN 778928) sind es sogar nur 2,7%. Das Verhältnis zwischen Aktien und Anleihen bewegt sich historisch in einem Bereich von etwa 1:1 bis 2,5:1. Mittlereile ist es mit der Liquiditätsflut im Kontext von „Corona“ auf etwa 6,5:1 gestiegen. Irgendwann wird es zu einer Umschichtung kommen, das bingt Verkaufsdruck auf Aktien und Kaufdruck auf Anleihen (=Druck auf die längerfristigen Renditen). Das würde sich übrigens auch perfekt mit einem Szenario einer aufkommenden Rezession decken.

Die Aktien-Bewertungen sind stimmungsgtrieben hoch. Auf dem Weg ins Jahr 2025 ist die Wall Street sehr optimistisch, was das Gewinnwachstum angeht. Das veranlasst die Anleger dazu, für höhere Bewertungen zu zahlen. Bei den US-Verbrauchern ist das Vertrauen in höhere Aktienkurse auf Sicht von 12 Monaten auf ein Rekordniveau angestiegen.

Nach Angaben von S&P Global werden die Gewinne im Jahr 2025 voraussichtlich um fast 20% auf 251,53 Dollar je Aktie steigen. Das liegt deutlich über dem langfristigen Trend des Gewinnwachstums von 1900 bis heute. Solche überschwänglichen Prognosen treffen selten ein. So prognostizierte S&P Global im März 2023 für 2024 ein Gewinnwachstum von 13%. Tatsächlich kam es jedoch nur zu einem Anstieg um 9%, der S&P 500 legte gleichzeitig um rund 28% zu.

Seit 1947 sind die Gewinne je Aktie um jährlich 7,7% gestiegen, die Wirtschaft wuchs um 6,4% pro Jahr. Der S&P 500 hat im selben Zeitraum im Jahresdurchschnitt um 9,4% zugelegt. Die Märkte können sich aufgrund von Dynamik und Psychologie für kurze Zeit von den zugrunde liegenden wirtschaftlichen Realitäten abkoppeln. Langfristig sind diese Abweichungen jedoch nicht haltbar, die Rentabilität der Unternehmen leitet sich von der zugrunde liegenden Wirtschaftstätigkeit ab (Chartquelle).

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Der wichtigste Faktor für das Vorwärts-KGV ist die Einschätzung der Anleger, wie stark und wie lange die Erträge wachsen können, bevor die nächste Rezession die Erträge und den Bewertungsmultiplikator wieder drückt. Das Wirtschaftswachstum treibt das Gewinnwachstum an, und die Erwartungen der Anleger für beides treiben das Vorwärts-KGV an (und führt dann zu solchen Vorhersagen wie oben dargestellt). Und das gilt in beide Richtungen.

Solche Übertreibungen, wie wir sie aktuell sehen, werden immer wieder korrigiert. Nur mal als grober Daumenwert: Gehen wir nur von 2024 aus – der S&P 500 ist seinem durchschnittlichen Wachstum um rund 20% davongelaufen. Eine Korrektur um 15 bis 20% würde ihn wieder näher an die historischen Verläufe heranführen. Mit Blick auf den Chart kommt man auf einen Ziel-Bereich um 4800. Hier hatte der S&P 500 Anfang 2022 kehrt gemacht, als der Ukraine-Krieg ausbrach und die Fed mit ihren Zinsschritten loslegte.

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Die Frage ist „nur“, wann die Korrektur einsetzen könnte. Jahreswechsel sind häufig prädestiniert. Hinzu kommt der Anfang eines Präsidentenzyklus (siehe hier!), der oft Neuorientierung, Unsicherheit und damit schwächere Kurse mit sich bringt. Im Hintergrund steht aktuell die starke Überbewertung, gestützt auch durch den KI-Hype. Der geht so allmählich in Ernüchterung über, weil klar wird, dass die Investitionen in die KI-Infrastruktur enorm sind und deren Amortisation länger auf sich warten lassen wird als zuvor gehofft.

Und dann kommt noch der Punkt dazu, den ich hier zuletzt angesprochen hatte: Vermutlich wäre es aus der Sicht von Trump taktisch klug, möglichst bald eine Rezession herbeizuführen. Das dürfte keine große Mühe machen. Die Rezession kann Trump Biden in die Schuhe schieben und sich dann feiern, wenn er (vorgeblich mit seinem Programm) später im Jahr wieder aus der Krise herauskommt. Zudem macht es eine Rezession einfacher, Maßnahmen durchzusetzen, die auf der Linie seiner Agenda liegen.

Damit lautet für mich die Antwort auf das „wann“: Früh im kommenden Jahr dürfte die Korrektur bei Aktien starten. Mag sein, dass die Wirkung einer Portfolioumschichtung temporär ist und es dann nochmals zu einer Gegenbewegung kommt – vielleicht sogar mit neuen Hochs. Aber dann dürfte die Wirtschaft in eine Rezession laufen mit entsprechenden Folgen für die Kurse von Aktien und Anleihen.

Das wird auch durch den folgenden Chart nahegelegt: Die orangefarbene Linie zeigt, dass die Rendite der 6-monatigen Schatzanweisungen Ende November um 24 Basispunkte über der Rendite der 10-jährigen Schatzanweisungen lag, was auf eine inverse Renditekurve hindeutet. Bemerkenswert ist, dass die Renditekurve stets über einen längeren Zeitraum invertiert blieb. Historisch gesehen beträgt die durchschnittliche Dauer der Inversion vor Beginn einer Rezession 11 Monate, wobei die längste Dauer 23 Monate beträgt. Derzeit sind wir schon bei 29 Monaten angelangt. Rezessionen folgen in der Regel auf den Zeitpunkt, an dem die Renditekurve nicht mehr invertiert ist, sich normalisiert (kurzfristige Renditen niedriger als langfristige Renditen). Die Bewegung der orangefarbenen Linie über die gestrichelte Linie wird ein wichtiges Signal sein. Diese Daten deuten darauf hin, dass wir uns diesem Punkt nähern.

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Und zu guter Letzt als Ergänzung noch dieser Chart. Der MMRI basiert auf den Jahresvergleichen von S&P 500, High-Yield-Kreditspread, Rendite der 10yr-TNotes und Preis für WTI-Oil. Demnach ist die Rezessionswahrscheinlichkeit aktuell noch gering, die Dynamik in die Richtung aber recht hoch.

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Dr. Yardeni sieht es anders: Die Kontraindikatoren deuten zwar darauf hin, dass das neue Jahr mit einem Rückschlag am Aktienmarkt beginnen könnte. Sollte dies der Fall sein, wird dies wahrscheinlich auf die Neugewichtung der Portfolios zu Beginn des neuen Jahres und nicht zum Ende des alten Jahres zurückzuführen sein, um Steuern auf erhebliche Kapitalgewinne aufzuschieben. Der Rückschlag dürfte nicht sehr lange anhalten und wäre eine Kaufgelegenheit, so Yardeni.

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