Bei jedem wichtigen Thema der US-Präsidentschaftswahlen würden Harris' Vorschläge die Freiheiten erweitern, die die Amerikaner als Arbeitnehmer, Verbraucher, Patienten, aufstrebende Unternehmer und Einzelpersonen genießen, während Trumps Agenda das Gegenteil bewirken würde.
Das schreibt Joseph E. Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften und Professor an der Columbia University, ehemaliger Chefökonom der Weltbank (1997-2000), Vorsitzender des Rates der Wirtschaftsberater des US-Präsidenten und Mitvorsitzender der Hochrangigen Kommission für Kohlenstoffpreise.
Und weiter: „Kamala Harris hat die Freiheit zu einem zentralen Thema ihrer Kampagne gemacht. Unter der Überschrift ‚Unsere Grundfreiheiten bewahren' heißt es auf ihrer Website: ‚Der Kampf von Vizepräsidentin Harris für unsere Zukunft ist auch ein Kampf für die Freiheit. Bei dieser Wahl stehen viele Grundfreiheiten auf dem Spiel: die Freiheit, ohne Einmischung der Regierung eigene Entscheidungen über den eigenen Körper zu treffen; die Freiheit, offen und mit Stolz zu lieben, wen man liebt; und die Freiheit, die alle anderen aufschließt: die Freiheit zu wählen.’“
Ja, Herr Stiglitz und Frau Harris, wo bleibt denn die Grundfreiheit der freien Meinungsäußerung, wie sie der Erste Verfassungs-Zusatz von 1791 garantiert? Ist nicht diese Freiheit die Freiheit, die alle anderen aufschließt? Die Freiheit, zu wählen, ist es ganz sicher nicht – ohne Redefreiheit, ungehinderte Information und Gedankenaustausch machen Wahlen gar keinen Sinn. Kommt aber nicht vor bei Harris.
Harris liegt offenbar ganz auf der Linie führender „Demokraten“ in den USA und anderswo. Kürzlich erst haben Hillary Clinton und John Kerry, Figuren der Demokratischen Partei, gegen den Ersten Verfassungszusatz agitiert. Er sei „ein großes Hindernis“. Auch Bill Gates und George Soros lehnen ihn ausdrücklich ab – das passt. Überall wird der Zensurstaat perfektioniert. Missliebige Meinungen gelten als Fake-News, Hass, Hetze Delegitimierung, Desinformation usw. Die Wahrheit bestimmt die herrschende Politik.
Für Stiglitz ist die Botschaft von Harris willkommen: „Während sich viele auf der Rechten in die Fahne hüllen, setzen sich die Progressiven tatsächlich für eine gesamtamerikanische Freiheitsagenda ein.“ Schließlich hätten Menschen, die von der Hand in den Mund leben oder am Rande des Verhungerns stehen, keine wirkliche Freiheit. Zudem hätte die finanzielle Liberalisierung der 1990er und 2000er Jahre den Tod für die Wirtschaft bedeutet, wenn die Regierung nicht eingegriffen hätte.
Wer hat nochmal in den zurückliegenden vier Jahren in den USA regiert und dafür gesorgt, dass viele US-Bürger drei oder vier Jobs gleichzeitig brauchen, um über die Runden zu kommen? Und wer hat nochmal Ende der 1990er Jahre regiert und die „Freiheit der Banker“ etabliert? Es war der Demokrat Bill Clinton, verheiratet mit eben jener Hillary, die ein Problem mit dem Recht auf freie Rede hat. Und wenn Stiglitz den Neoliberalismus (zu Recht) kritisiert, hat die Partei von Harris ihn etwa entschlossen bekämpft? Offenbar nicht, wie u.a. die Deregulierung des Finanzsystems zeigt.
Stiglitz moniert, die neoliberale Wirtschaftspolitik habe zwar die Freiheit der Unternehmen erweitert, andere auszubeuten, aber sie hat nicht zu allgemeinem Wohlstand geführt, geschweige denn zu gemeinsamem Wohlstand. Das ist wohl wahr. Aber egal, welche Partei den US-Präsidenten in den zurückliegenden Jahrzehnten gestellt hat, die Wirtschaftspolitik war stets neoliberal ausgerichtet. Mal mehr, mal weniger. Hat da einer was vom Tiefen Staat gesagt?
Stiglitz frohlockt: „Im Mittelpunkt von Harris' Agenda steht die Verpflichtung, den einfachen Amerikanern zu helfen.“ Harris habe Maßnahmen zur Verhinderung von Preistreiberei vorgeschlagen. Der Inflation Reduction Act der Biden-Regierung enthält aber bereits Bestimmungen in diese Richtung, entschlossen angewendet wurden sie nicht.
Harris steht für die Fortsetzung der Wirtschaftspolitik von Biden. Eine Fülle zusätzlicher Regulierungen soll den Bürgern den Eindruck vermitteln, die Regierung arbeite in ihrem Interesse. Ein wenig Zwang kann die Freiheit für alle sinnvoll erweitern, schreibt Stiglitz dazu. Dann sollte man damit mal an die Wurzel der marktbeherrschenden Stellung von Großunternehmen gehen, anstatt regulatorische Kosmetik zu betreiben, um ein paar Auswüchse zu bekämpfen.
Bei aller Lobhudelei für Harris „vergisst“ Stiglitz nicht nur die Grundfreiheit der freien Rede, sondern auch die Kriegstreiberei der Biden-Regierung, die Harris fortzusetzen gedenkt. Eine Ausrichtung auf Krieg wirkt inflationär, Inflation bedeutet Umverteilung von arm zu reich. Nur eine Außenpolitik, die auf friedlichen Beziehungen und Handel mit allen beruht, schafft letztlich Wohlstand für alle. Und umgekehrt.
In den zurückliegenden Tagen machen sich immer mehr „Gelehrte“ blöder als sie eigentlich sind. Wenn sie für Harris beten wollen, sollten sie in die Kirche gehen.
Nachtrag
Interessante Fragen und Antworten in Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl – „A Special ELECTION Q&A Edition“
(29.10.24) IPG: Wie man gegen Trump verliert – „Die Wahlmänner im Electoral College, der Rassismus der Weißen, der Sexismus der Schwarzen, oder der scheidende Präsident Joe Biden: Sollte Kamala Harris die US-Präsidentschaftswahlen im November verlieren, werden dies einige der Ausreden sein, welche die Demokratische Partei für ihr Scheitern im Rennen gegen einen haarsträubend schlechten und weithin verhassten Gegner vorbringen werden. Es wird auch gemunkelt und debattiert werden, ob Harris von vornherein vielleicht nicht die beste Kandidatin gewesen sei (…) All diese Feststellungen mögen etwas Wahres an sich haben. Die Hauptursache würde aber erneut weitgehend ignoriert werden – nämlich die Art und Weise, wie liberale Persönlichkeiten in Regierung, Wissenschaft und Medien heute Politik betreiben. Sehen wir uns die Hauptbestandteile dieser Politik einmal genauer an.“
[Ein ins Deutsche übersetzter Artikel in der New York Times – sehr lesenswert]
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