Befinden sich die USA in einer Rezession?

Die Wahlen zur US-Präsidentschaft sind in zwei Wochen. Frau Harris, die Kandidatin der Demokraten, steht mehr oder weniger für eine Fortsetzung der Wirtschaftspolitik von Präsident Biden, garniert mit einer Fülle zusätzlicher Regulierungen wie z.B. Preiskontrollen.

Was hat die Wirtschaftspolitik von Biden zustandegebracht?

Das reale BIP der USA ist nach offiziellen Angaben seit Q1/2021 durchgängig positiv, zuletzt wuchs es um drei Prozent. Die Inflationsrate ist als Reflex auf die Covid-Maßnahmen ausgebrochen. Da sie die entscheidende Rolle bei der Ermittlung realer Daten spielt, stellt sich die Frage, ob die Inflation richtig gemessen wird. Außerdem ist sie wegen der politischen Bedeutung steigender Preise von zentraler Bedeutung.

John Williams berechnet auf Shadowstats.com einen alternativen CPI-Index, indem er die offizielle Methodologie vor 1990, bzw. die vor 1980 zugrunde legt. Demnach entspricht die Spitze des offiziellen CPI-U-Index im Juni 2023 von 9% einem alternativen Index von etwa 12% (Basis vor 1990) und knapp 18% (Basis vor 1980).

Eines stimmt ganz sicher: Die Inflation, die wir an der Kasse spüren, liegt deutlich höher als das, was die offiziellen Zahlen ausweisen. Sollen wir unser eigenen Meinung (Meinung ist Information plus Erfahrung [Sagan]) vertrauen oder der Dummheit frönen (Dummheit ist eine Meinung, die Fakten ignoriert [Sagan])?

Preisentwicklungen zu messen, stößt auf einige Probleme, schreiben EJ Antoni und Peter St. Onge in „Recession Since 2022: US Economic Income and Output Have Fallen Overall for Four Years“. Es ist kaum möglich, die gesamte Wirtschaftstätigkeit zu überwachen. Außerdem wird im Laufe der Zeit die Zusammensetzung des Warenkorbs geändert, der der Berechnung des CPI zugrunge liegt. Die staatlichen Messgrößen für die Inflation unterschätzen den Preisanstieg. Dies war in den zurückliegenden vier Jahren besonders ausgeprägt.

Es geht darum, eine alternative Anpassung für die Umrechnung des nominalen in das reale Wachstum zu entwickeln, die die Veränderungen der Lebenshaltungskosten im Laufe der Zeit genauer widerspiegelt. Dabei gibt es drei Problemkreise.

Der CPI enthält einen Näherungswert für die Kosten von Wohneigentum, berücksichtigt diese aber nicht direkt. Stattdessen errechnet er diesen Wert aus den Mieten, ohne die Preise für Wohneigentum oder die Zinssätze zu berücksichtigen. Diese Kategorie mit der Bezeichnung „Äquivalenzmiete für Wohneigentum“ hat eine relative Bedeutung von mehr als 26%, also mehr als ein Viertel des CPI. Die Kosten für Wohneigentum sind in den zurückliegenden vier Jahren viel schneller gestiegen als die Mieten. Damit unterschätzt der CPI die Kosten für Wohneigentum grob. Die Kosten für Wohnungsdienstleistungen in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung leiden unter ähnlichen methodischen Problemen.

Es gibt auch Probleme mit dem hedonischen Preisansatz, bei dem die Preise in der Regel nach unten korrigiert werden, wenn die Statistiker der Regierung glauben, dass ein Produkt verbessert, bzw. leistungsfähiger wurde.

Weitere Probleme gibt es bei der Messung von Inflation und Preisveränderungen, wenn den Verbrauchern die Leistungen nicht direkt in Rechnung gestellt werden, wie dies bei der Krankenversicherung der Fall ist. Der CPI unterschätzt die Kosten, indem er sie stattdessen aus den Gewinnen der Krankenversicherer ableitet. Wenn diese Gewinne aufgrund gestiegener Kosten sinken, wird dies als Senkung der Kosten für die Krankenversicherung der Verbraucher registriert. Der CPI-Preisindex wird so künstlich gedrückt und die Schätzung für die realen Verbraucherausgaben und damit die Wirtschaftstätigkeit insgesamt erhöht.

Das Phänomen der Untererfassung der Inflation ist in den zurückliegenden Jahren besonders gravierend. Die Inflation hat die nominalen Werte wichtiger wirtschaftlicher Messgrößen deutlich erhöht. Das nominale BIP ist schnell angestiegen, das reale BIP nach offiziellen Daten jedoch relativ langsam.

Um einen genaueren Inflationsmaßstab zu erstellen, müssen in den drei vorgenannten Problem-Gruppen Änderungen an den Preisindizes vorgenommen werden. Dabei hat die Wohnkomponente die größte Auswirkung bei der Anpassung an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten; im zweiten Quartal 2024 erhöhte sie die kumulative Veränderung des BIP-Deflators um etwa 75%. Wenn sowohl die Hauspreise als auch die Zinssätze steigen, dann erhöhen sich die Kosten für Wohneigentum an beiden Fronten. Umgekehrt hatten die relativ niedrigen Zinssätze in den Jahren 2019, 2020 und Anfang 2021 bei Anwendung der genaueren Methode einen negativen Einfluss auf den BIP-Deflator.

Das nominale BIP wuchs in jedem Quartal des Jahres 2019, bevor es in der ersten Hälfte des Jahres 2020 schrumpfte. Seitdem ist das nominale BIP bis zum zweiten Quartal 2024 kontinuierlich gewachsen. Summiert man den gesamten Zeitraum, war das nominale BIP im zweiten Quartal 2024 saisonbereinigt um 37,4% höher als im ersten Quartal 2019.

Ein erheblicher Teil dieses Anstiegs ist auf die Inflation zurückzuführen. Die Inflationsbereinigung des BEA reduziert das BIP-Wachstum in diesem Zeitraum von 37,4% auf 13,7%, also um fast zwei Drittel des nominalen Wachstums.

Statt eines Anstiegs um 13,7% zeigt das bereinigte reale BIP vom ersten Quartal 2019 bis zum zweiten Quartal 2024 kumuliert einen Rückgang um 2,5%. In verketteten Dollars des Jahres 2017 würde das bereinigte reale BIP im zweiten Quartal 2024 annualisiert etwa 19,9 Bill. Dollar betragen, rund 3,3 Bill. Dollar unter dem offiziellen realen BIP von 23,2 Bill. Dollar. Das nominale BIP kommt auf 29,0 Bill. Dollar.

Bis etwa Mitte 2021 liefen die Zeitreihen der nominalen, realen und der mit den obigen Überlegungen adjustierten Werte des verfügbaren Einkommens und anderer Indikatoren noch halbwegs synchron (von Ausreißern in Q2 und Q3 2020 abgesehen – Covid-„Maßnahmen“). Das gilt auch für das BIP.

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Gemäß den CPI-Anpassungen ist die offizielle Inflation seit 2019 wesentlich zu niedrig angesetzt. So lässt sich der Wert der adjustierten Inflationsrate für Juni 2023, dem Maximum der jüngeren Historie, auf mindestens 12% abschätzen. Shadowstats (s.o.) geht von 12%, bzw. 18% aus. Der offizielle Wert liegt bei 9%.

Die Fehler bei der Ermittlung des CPI haben dazu geführt, dass das kumulierte Wachstum um etwa 15% überbewertet wurde. Dies ist ein hoher Betrag für nur 5 Jahre – zum Vergleich: Der Rückgang des realen BIP von der Spitze bis zum Tiefpunkt während der Krise 2008 betrug lediglich 4%.

In den zwei Jahren zwischen dem zweiten Quartal 2022 und dem zweiten Quartal 2024 gab es nach dem bereinigten realen BIP kein Wirtschaftswachstum mehr. Die amerikanische Wirtschaft befindet sich seit 2022 in einer Rezession, so die Schlussfolgerung der Autoren.

Das steht in krassem Gegensatz zu der Darstellung des Establishments, dass sich die US-Wirtschaft in einem robusten Wachstum befindet. Tatsächlich stimmen die Ergebnisse des adjustierten CPI mit der Wahrnehmung der amerikanischen Öffentlichkeit überein. Eine Mehrheit glaubt, dass wir uns in einer Rezession befinden.

Wenn Harris also die Wirtschaftspolitik von Biden fortsetzt, bedeutet das ziemlich sicher auch, dass Sein und Schein der wirtschaftlichen Entwicklung weiterhin auseinanderklaffen und eine hohe Inflation zur anhaltenden Umverteilung von arm zu reich beiträgt.

Und noch etwas: Wenn man das Währungspaar Euro/Dollar über einen längeren Zeitraum als Signal für die relative Schwäche, bzw. Stärke des jeweiligen Wirtschaftsraums ansieht, wie viel schlechter ist es dann erst um die Eurozone bestellt? Im Währungspaar war seit den frühen 1980er Jahren eine Zick-Zack-Bewegung in einem Aufwärtskanal erkennbar mit Zyklen von rund 16 Jahren Länge. Das Muster brach aber in der Amtszeit von Trump als US-Präsident ab zu einer Zeit, als nach dem Muster eigentlich der Euro (bis 2024) die Oberhand haben und der Euroraum relative wirtschaftliche Stärke zeigen sollte.

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Die aktuellen Vorstellungen von Harris sind so ungefähr das genaue Gegenteil von dem, was 2019 wollte, als sie kurzzeitig für das Amt des Präsidenten kandidierte. Sie ist halt flexibel…

Was will Harris? Und Trump? (aufklappen)
Damals, 2019, waren ihre wirtschaftlichen Vorschläge weit links von der Demokratischen Partei angesiedelt, schreibt Nouriel Roubini. Unter anderem befürwortete sie eine allgemeine staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung, die Entkriminalisierung illegaler Grenzübertritte, einen 10 Bill. Dollar schweren „Green New Deal“ zur Bekämpfung des Klimawandels und ein Verbot von Fracking.

Jetzt kandidiert sie mit einem eher zentristischen Programm, das die Unterstützung des Affordable Care Act (Obamacare) beinhaltet, wenn auch mit einer Ausweitung der staatlichen Befugnis zur Aushandlung von Arzneimittelpreisen für Medicare und Medicaid. Sie befürwortet auch das jüngste parteiübergreifende Abkommen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung, das ihr Gegner Donald Trump aus wahltaktischen Gründen zu Fall gebracht hat, akzeptiert Fracking und unterstützt die begrenzten (nur noch eine Bill. Dollar gegenüber zehn Bill. Dollar 2019) grünen Ausgaben im Inflation Reduction Act. Den Klimawandel hat sie in ihren Reden kaum erwähnt.

Obwohl viele andere Vorschläge von Harris vage bleiben, dürfte es mit ihr eine Fortsetzung der Wirtschaftspolitik von Präsident Joe Biden zu geben. Sie würde Bemühungen zur Verlagerung der Produktion und zur Schaffung einer „Chancenwirtschaft“ mit einem integrativeren Wachstum unterstützen. Sie würde vor staatlichen Eingriffen nicht zurückschrecken, insbesondere vor industriepolitischen Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaftssektoren und Technologien der Zukunft. Und sie würde versuchen, die Macht großer oligopolistischer Unternehmen durch Regulierung einzuschränken, u.a. auch durch Preiskontrollen.

In der Steuerpolitik will Harris die Kosten für Kinderbetreuung begrenzen, die Steuergutschrift für Kinder wiederbeleben und eine Steuergutschrift in Höhe von 25.000 Dollar für Erstkäufer von Wohneigentum zu gewähren. Sie plant auch, das Angebot an erschwinglichem Wohnraum zu vergrößern. Sie würde neue Steuergutschriften für kleine Unternehmen einführen und die Trump'schen Steuersenkungen für Haushalte mit einem Jahreseinkommen von weniger als 400.000 Dollar verlängern.

Bezahlt werden sollen diese Subventionionen durch Anhebung des Körperschaftssteuersatzes von 21% auf 28% anheben, die Steuern für sehr Wohlhabende (mit einem Spitzengrenzsteuersatz von derzeit 39%) sollen erhöht werden. Außerdem will sie die Möglichkeit einer Steuer auf nicht realisierte Kapitalgewinne prüfen.

Das Komitee für einen verantwortungsvollen Bundeshaushalt schätzt, dass Harris' Vorschläge über ein Jahrzehnt 3,5 Bill. Dollar kosten würden, Trumps Vorschläge werden auf 7,5 Bill. Dollar veranschlagt. Andere Steuern wie Zölle sind dabei nicht berücksichtigt.

Hinsichtlich Handelspolitik wäre sie der von Biden recht ähnlich, auch wenn Harris im Wahlkampf nur wenig über China gesprochen hat. Wie Biden würde Harris nicht versuchen, dem Nachfolgeabkommen der Transpazifischen Partnerschaft beizutreten.

Im Gegensatz zu Trump würde Harris keine Zölle auf Freunde und Verbündete verhängen oder pauschale Zölle auf alle chinesischen Waren erheben, so Roubini. Sie würde einen kontrollierten strategischen Wettbewerb mit China anstreben, anstatt eine vollständige Eindämmung oder Abkopplung. Sie würde die NATO-Verbündeten dazu anhalten, mindestens 2% ihres BIP für die Verteidigung auszugeben, und sie würde Bündnisse sowie multilaterale Sicherheitspakte unterstützen. Sie würde Amerika im Pariser Klimaabkommen halten und versuchen, die Bemühungen zur Emissionsreduzierung und zur Beschleunigung des grünen Übergangs zu verstärken.

Roubini behauptet, Trumps Agenda werde die Inflation stärker anheizen, das Wirtschaftswachstum verringern (durch Zölle, eine Währungsabwertung und Beschränkung der Einwanderung) und den Haushalt sprengen. Aber die Märkte hätten den Schaden, den Trump für die Wirtschaft und die Märkte anrichten würde, nicht eingepreist. Die Märkte sind halt doof…

Nachtrag
Interessante Fragen und Antworten in Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl – „A Special ELECTION Q&A Edition

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