USA – bei konventiellen Waffen haushoch überlegen?

Die USA und ihre Verbündeten sind in der Lage, die meisten nuklearen Abschussanlagen Russlands und Chinas mit konventionellen Waffen zu bedrohen und zu zerstören. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie mit dem Titel „Masters of the Air: Strategic stability and conventional strikes“.

Die Professoren Dan Plesch und Manuel Galileo von der SOAS University of London schreiben, dass die USA „gegenwärtig über eine plausible Fähigkeit verfügen, mit nicht-nuklearen Kräften den russischen und chinesischen Nuklearstreitkräften zuvorzukommen“. Grundlage der Überlegenheit sei die schiere Menge an präzisen Langstreckenraketen der USA und ihrer Verbündeten.

Die Autoren schätzen, dass es 150 russische und 70 chinesische Atomwaffen-Abschussbasen gibt, die etwa 2.500 km von der nächstgelegenen Grenze entfernt sind. Sie könnten innerhalb von zwei Stunden von US-Raketen erreicht werden, um den Einsatz von Atomwaffen zu verhindern. Auch die insgesamt geringeren Aufklärungsfähigkeiten Russlands und Chinas, sowie die sich schrittweise verbessernde US-Raketenabwehr zeige die Überlegenheit.

Den USA und ihren Verbündeten stehen schätzungsweise 3.500 JASSM (Joint Air-to-Surface Standoff Missiles) und 4.400 Tomahawks zur Verfügung. Neue Entwicklungen ermöglichen es zukünftig auch, JASSMs mit Hilfe des Rapid Dragon Systems auf Paletten von nicht modifizierten Standard-Militärtransportflugzeugen wie der C-17 Globemaster oder C-130 Hercules zu starten.

Die Autoren glauben, dass nur russische mobile und chinesische tief vergrabene strategische Systeme überhaupt als überlebensfähig gegenüber konventionellen Raketenangriffen gelten. Aber auch sie seien weitaus verwundbarer als gewöhnlich angenommen. Hinzu kommt, dass die gewaltigen und zunehmenden russischen und chinesischen konventionellen Landstreitkräfte nicht über eine vergleichbare Fähigkeit verfügen, das Festland der USA zu erreichen.

NATO-Mitglieder und Verbündete wie Polen, die Niederlande und Japan haben ihre JASSM-Bestände erheblich aufgestockt. Dies ist ein weiterer Beleg für die Asymmetrie zwischen den nichtnuklearen Fähigkeiten der Verbündeten und Russlands Verteidigungssystemen, die mit den jüngsten konventionellen Entwicklungen der Alliierten nicht Schritt halten. Kürzlich hat Bundeskanzler Scholz die Stationiereng von US-Mittelstreckenraketen ab 2026 auf deutschem Boden bekanntgegeben. Mit solchen Intercontinental Ballistic Missiles (ICBM) können Ziele in Russland bis Moskau erreicht werden.

Die Überlegenheit der USA und ihrer Verbündeten im nicht-nuklearen Bereich wird in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. Dessen ungeachtet wird in einer Studie des US-Kongresses die angebliche Verwundbarkeit bestehender landgestützter US-Systeme in verschiedenen Szenarien rund um einen Konflikt zwischen den USA und China hervorgehoben und damit die Notwendigkeit neuer US-Atomstreitkräfte begründet.

Jede Entscheidung, Atomwaffen als Reaktion auf einen nicht-nuklearen Angriff abzufeuern, stellt ein Glaubwürdigkeitsproblem für jede Abschreckung dar. Russland hat im März erklärt, dass ein Angriff auf seine Souveränität oder Unabhängigkeit mit einem Atomschlag beantwortet werden würde.

Letztlich scheinen, so die Autoren, die schrittweisen und weitgehend unbemerkten technologischen Entwicklungen das Argument zu stärken, dass die konventionellen Erstschlagskapazitäten einen ähnlichen Effekt auf die strategische Planung des Gegners haben können wie orthodoxe nukleare Erstschlagskapazitäten. Das heißt, eine nicht-nukleare Präemption könnte funktionieren.

Die Autoren warnen aber auch, dass dies die Voraussetzungen für ein neues Wettrüsten schaffen dürfte, da China und Russland versuchen, darauf zu reagieren – und sogar das Risiko einer Fehlkalkulation in einer größeren Krise schaffen könnte, da jedes Land auf den Einsatz von Atomwaffen zurückgreifen könnte, um den USA zuvorzukommen.

„Die globale konventionelle Feuerkraft der USA wird unterschätzt, was sowohl die Realität als auch die Wahrnehmung der strategischen Stabilität bedroht“, schreiben sie und fügen hinzu, dass ein hybrider Einsatz von Atomwaffen neben konventionellen Raketen das ohnehin schon angespannte Bild noch verkomplizieren würde.

„In der US-Bedrohungsanalyse 2024 selbst wird die chinesische Angst vor einem US-Erstschlag als Motiv für die chinesische Aufrüstung mit Atomwaffen genannt“, so Plesch und Galileo. Im vergangenen Jahr hat China nach Untersuchungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts damit begonnen, eine kleine Anzahl von Atomwaffen -insgesamt 24- mit ihren Trägersystemen zu stationieren, woraufhin die USA davor gewarnt haben, dass sie als Reaktion darauf die Zahl ihrer stationierten Sprengköpfe erhöhen müssen.

Die Stärke der konventionellen US-Raketen sei so groß, dass sie Russland und China unter Druck setze, ihre Raketen sofort abschussbereit zu machen, schreiben die Autoren. „Die USA wären die Leidtragenden jedes Fehlstarts in einem der beiden Länder“, fügen sie hinzu. Das wiederum könnte zu entsprechend höherer Bereitschaft seitens der USA führen, ihrerseits ihre Systeme frühzeitig, bzw. verfrüht in Gang zu setzen.

Plesch und Galileo warnen, dass die Veränderungen in der militärischen Macht zu einer Zeit kommen, in der die Rüstungskontrolle abnimmt. Gleichzeitig nehmen die politischen und wirtschaftlichen Spannungen sowie die militärischen Konflikte (Ukraine, Nah-Ost) zu. Der Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen, der es den USA und Russland untersagt hatte, bodengestützte Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 km zu besitzen, wurde 2019 außer Kraft gesetzt.

Die Autoren argumentieren, dass die sich abzeichnende Situation eine erneute Konzentration auf die Rüstungskontrolle erfordert, wie es UN-Generalsekretär António Guterres im Juli 2023 vorschlug, als er eine Sondersitzung der UN-Generalversammlung zum Thema Abrüstung (SSOD-IV – Special Session on Disarmament no 4) einberief.

Die beschriebenen Kriegsgefahren des Wettrüstens erfordern eine „sanfte Landung“ von Rüstungskontrolle und Abrüstung, wie sie z.B, im SOAS-Projekt zum strategischen Konzept für die Beseitigung von Beseitigung von Rüstung und Proliferation unter „Strategic Concept for the Removal of Arms and Proliferation“ diskutiert wird.

Die intransparente Integration von strategischen konventionellen und nuklearen Streitkräften stellt eine weitere Notwendigkeit für die Abschaffung von Kernwaffen und für allgemeine Waffenkontrollen dar. Zu diesem Zweck ist die im September wieder stattfindende SSOD-IV der UN-Generalversammlung ein notwendiges, wenn auch unzureichendes Forum, so die Autoren.

[Unter Verwendung von Material aus „US arms advantage over Russia and China threatens stability, experts warn“ und „US could wipe out all Russia, China nuclear launch pads in 2 hrs, claims study“; anderes ist im Text verlinkt]

Eine Überlegenheit der USA im nicht-nuklearen Bereich kann nicht beruhigen. Im Gegenteil – aggressive Kreise in den USA, etwa die Neocons, könnten (mittels False-Flag-Operation?) zu einem Angriff hetzen, ohne sich dem Vorwurf eines nuklearen Erstschlags auszusetzen. Wenn der Angegriffene dann auf nuklearer Ebene antwortet, würde das dem Aggressor die „Entschuldigung“ geben, mit den gleichen Mitteln zurückzuschlagen im Sinne einer „totalen Vernichtung“ des Gegners. Abgesehen davon würden etwa Russland oder China als Angriffsziele keine zwei Stunden warten, bis die US-Raketen bei ihnen einschlagen. Die Aufklärungs- und Frühwarn-Techniken sind mittlerweile entsprechend weit entwickelt.
Armstrong warnt zu recht: Die Neocons spielen mit dem Leben des gesamten Planeten und denken nie daran, dass sie sich irren könnten.

Ergänzung
Daniele Ganser gibt einen guten Überblick über die imperialistischen Aktivitäten der USA seit 1948.

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