Viele argumentieren, dass man sich in den USA ernsthaft mit der Reform der Sozialversicherung und der staatlichen Krankenversicherung befassen muss, weil beide Treuhandfonds auslaufen. Das hätte katastrophale Folgen, wird gewarnt. In Wirklichkeit dürfte sich das Anspruchsproblem als viel gravierender erweisen, schreibt David C. Rose.
Das „Anspruchsproblem“ umreißt, dass Bürger vom Staat verbriefte und unverbriefte Leistungen erwarten. So weit diese Ansprüche de jure für die Zukunft bestehen (z.B. Pensionsansprüche oder Sozialleistungen), tauchen sie im Staats-Haushalt nicht auf. Das macht es für die Politik einfach, dieses gewaltige Problem zu „übersehen“.
Beide Treuhandfonds sind mit Sonderanleihen gefüllt, die Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzministerium darstellen. Es geht um 1,8 Bill. Dollar bei „Medicare" und 1,5 Bill. Dollar bei „Social Security". Das Finanzministerium hat keinen Überschuss, auf den es zurückgreifen könnte, also muss es für die Rückzahlung dieser Anleihen zusätzliche Schulden aufnehmen. Genau das wäre auch passiert, wenn in einem System ohne Treuhandfonds die Auszahlungen der Programmleistungen die Steuereinnahmen überstiegen hätten. Die Treuhandfonds hätten genauso gut gar nicht existieren können, ihre Entleerung hat keine besonderen Auswirkungen und stellt kein zusätzliches Problem dar.
Das eigentliche Problem ist die Anhäufung von immer mehr Bundesschulden insgesamt. Da die Gesamtzahlungen für die Babyboomer, deren Ansprüche, immer höher werden, musste das Finanzministerium in immer kürzeren Abständen Anleihen ausgeben. Aus diesem Grund dauerte es nur 260 Tage, bis die Staatsverschuldung, die „National Debt", vor einigen Wochen von 34 auf 35 Bill. Dollar anstieg (aktuell 35,2 Bill. Dollar). Die Finanzierungslücke des US-Bundeshaushalts kommt auf 79,5 Bill. Dollar, Medicare und Sozialversicherung machen 95% davon aus (per 2022 auf Sicht von 75 Jahren – siehe hier!). Das Congressional Budget Office geht für den Zeitraum von 2024 bis 2033 von jährlichen Haushaltsdefiziten von durchschnittlich zwei Bill. Dollar aus (siehe hier!). Das ist das, was jährlich neu zu finanzieren ist.
Ohne eine grundlegende Reform müssen die wachsenden Defizite durch immer mehr neu ausgegebene oder monetarisierte Anleihen gedeckt werden. In beiden Fällen sind die Auswirkungen auf die langfristigen Zinssätze gleich, sie werden steigen. Im ersten Fall führt ein erhöhtes Angebot auf dem Kreditmarkt zu sinkenden Anleihe-Kursen.
Im zweiten Fall -falls die Fed beschließt, die neuen Schuldtitel zu monetarisieren (zu kaufen)- verringert sich zwar das Angebot auf dem Kreditmarkt, was die Kurse steigen und die Renditen sinken lassen sollte. Aber weil die Gläubiger wegen der Monetarisierung eine zunehmende Inflation erwarten, verlangen sie einen Abschlag auf den Anleihe-Kurs. Sie kaufen eine Anleihe nur dann, wenn ihr Kurs niedrig genug ist, um eine Rendite zu erzielen, die hoch genug ist, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Dieses Phänomen wird auch als Fisher-Effekt bezeichnet.
Viele Unternehmen haben sich hoch verschuldet, weil die sehr niedrigen Zinssätze die Kosten für die Aufnahme von Schulden künstlich niedrig gehalten haben. Dadurch konnten viele Unternehmen Geld für zweifelhafte Dinge wie eine DEI-Ausrichtung ausgeben, die auf die Zustimmung ideologisch motivierter Investoren abzielten (DEI – Diversität, Gleichheit, Inklusion).
Wie aus dem nachstehenden Schaubild hervorgeht, hat die Verschuldung von Unternehmen außerhalb des Finanzsektors im Verhältnis zum BIP inzwischen mit knapp 50% wieder nahezu den Stand von Ende 2019 erreicht. Der historische Höchststand lag im zweiten Quartal 2020 bei gut 60% (Corona, Corona…). Aber: Ende 2019 lag die eff. Fed Funds Rate bei knapp 2,5%, heute liegt sie mit 5,3% mehr als doppelt so hoch. Von April 2020 bis Februar 2022 lag der Wert sogar unter 0,1% (Chartquelle).
Bei einer solch hohen Verschuldung wären viele Unternehmen selbst bei bescheidenen Zinssätzen von einem Konkurs bedroht. Das gilt erst recht für den aktuellen FED-Leitzins von 5,33%. Unternehmensschulden werden fällig und müssen zu einem höheren Zinssatz refinanziert werden. Das tangiert nun das Beschäftigungs-Wachstum und erhöht die Arbeitslosenquote.
Da die Unternehmen verständlicherweise zögern, noch mehr Geld zu leihen, mussten die Banken mit dem Halten von mehr Wertpapieren wie Bundesschuldtiteln als üblich Geld verdienen. Dies wird das Problem des durch die Ansprüche verursachten Anstiegs des Staats-Defizits noch verschärfen.
Höhere Zinssätze gefährden nicht nur die Unternehmen, sondern führen auch zu einem Kapitalverlust bei den Banken. Dadurch sind sie dem Risiko der Insolvenz ausgesetzt, in einigen Fällen besteht die Gefahr eines Ansturms auf die Einlagen ähnlich wie es bei der SVB im März 2023 der Fall war. Nach einer neuen Studie sind 94 US-Banken von einem Bank-Run bedroht. Bei ihnen machen die unversicherten Einlagen 50% oder mehr der gesamten Einlagen aus. Bei einer Panik kämen sie schnell in Liquiditäts-Not (siehe hier!).
In Japan waren die Zinsen über drei Jahrzehnte niedrig. Da kann selbst die Auswirkung eines bescheidenen Anstiegs der Zinssätze gewaltig sein und löst wahrscheinlich eine Rezession aus. Aber anders als in Japan 1991 oder in den USA 2008 wird das zugrundeliegende Problem nicht durch Platzen einer spezifischen Blase verbunden mit einem neuen Wirtschaftswachstum gelöst. Es wird ein anhaltendes und wachsendes Problem ungedeckter Verbindlichkeiten werden.
Aktuell sind alle von der Spekulation besessen, wie stark die Fed die Zinsen im September senken wird. Die wahre Geschichte ist aber die folgende: Egal, was die Fed tut, ohne eine grundlegende Reform der Rentenprogramme werden sowohl die nominalen als auch die realen Zinssätze in Zukunft unweigerlich steigen.
Die Fed kann die Zinssätze kurzfristig senken, aber im Laufe der Zeit wird der Anstieg der Inflation, der sich aus den Maßnahmen zur Senkung der Realzinsen ergibt, durch den Fisher-Effekt zu einem Anstieg der Nominalzinsen führen.
Das Versäumnis, das Problem der Anspruchsberechtigung anzugehen, könnte die Fed in eine unhaltbare Schuldensituation bringen, wie es die BoJ in Japan hatte (und hat). Das wiederum könnte die Fed dazu veranlassen, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirtschaft vor einer tiefen und lang anhaltenden Rezession zu bewahren.
DAS sollte den Wählern Sorgen machen – nicht so sehr die Frage, wie der nächste Präsident heißt. Kein politisches Lager hat bisher erkennen lassen, dass es das Problem der Anspruchsberechtigung, insbesondere das der Renten, angeht.
Im Falle einer Rezession mit beständig hohen Zinssätzen aufgrund fortgesetzter Defizitausgaben dürfte die Fed den Kongress wohl alsbald um die Genehmigung bitten, Aktien (und ETFs) zu kaufen. Aufgrund weit verbreiteter Pleiten von Firmen, die nicht in der Lage sind, ihre Schulden zu begleichen, dürfte ansonsten der Zusammenbruch der 401K [Alterssicherung] einer ganzen Generation drohen. Die Alterssicherung ist in den USA stark Aktien-lastig.
Auch das ist nicht neu. Die Bank von Japan begann 2010 mit dem Kauf von Aktien und ist heute der weltweit größte Besitzer japanischer Aktien. Die Bank versucht nun, diese Vermögenswerte zu verkaufen, was zum Einbruch des japanischen Aktienmarktes vor einigen Wochen beigetragen haben dürfte.
Also könnte bald ein erheblicher Teil der amerikanischen Produktionsmittel in den Besitz der Regierung übergehen, wenn sich die Politik jetzt nicht mit den Ansprüchen befasst. Dies würde einer Gesellschaft der freien Marktwirtschaft unermesslichen Schaden zufügen. Die Wirtschaft würde langsam aber sicher ihres unternehmerischen Elans beraubt – mit entsprechenden negativen Konsequenzen hinsichtlich Wachstum. Das würde die ESG-Mode (environmental, social, and governance) und den woken Kapitalismus wie ein Kindergeburtstag aussehen lassen und den Zentral-Planern das liefern, was sie sonst nicht erreichen könnten.
Das Anspruchsproblem, insbesondere in Bezug auf künftige Renten-Zahlungen, besteht in allen entwickelten Ländern in etwa gleichermaßen. Das Untätigkeits-Problem seitens der Politik besteht ebenso. Also dürfte man erwarten, dass sich deren Zentralbanken früher oder später der Politik der Fed anschließen werden, wenn sich die geschilderten Risiken materialisieren.
[Unter Verwendung von Material aus „Entitlement Collapse is Worse Than it Looks“; anderes ist im Text verlinkt]Das könnte Sie auch interessieren:
- Was andere Medien sagen vom 03.12.2024
- S&P 500 – kracht es jetzt? vom 04.08.2024
- S&P 500 – Bullen halten sich zurück vom 01.06.2024
Schreibe einen Kommentar