USA: Neue Richtung in der Ukraine-Politik?

Pepe Escobar berichtet über einen Meinungsbeitrag in der Washington Post. Eine hochrangige Quelle aus dem US-Establishment habe bestätigt, dass dahinter eine neue Direktive zur NATO gegen Russland steckt. Diese kommt seiner Meinung nach von den die US-Außenpolitik de facto bestimmenden Strauss'schen Neokonservativen [1].

Escobar sieht diesen Beitrag auch als eine Art Botschaft an den Kreml. Er schreibt auf The Cradle: „Die Botschaft aus Washington mag auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass die USA die russische Kontrolle über die Krim, den Donbass, Saporoschje und Cherson – ‚die Landbrücke, die die Krim mit Russland verbindet’ – als vollendete Tatsache anerkennen würden.“

Und weiter: „Die Ukraine würde einen entmilitarisierten Status erhalten, und die Stationierung von HIMARS-Raketen sowie Leopard- und Abrams-Panzern würde sich auf die Westukraine beschränken und als ‚Abschreckung gegen weitere russische Angriffe’ dienen.“

Das Angebot könnte auf eine Teilung der Ukraine, einschließlich einer entmilitarisierten Zone hinauslaufen, so Escobar. Kiew könnte dabei die westlichen Gebiete behalten, die Polen unbedingt verschlingen will. Das US-Angebot definiert sich als Weg zu einem ‚gerechten und dauerhaften Frieden, der die territoriale Integrität der Ukraine wahrt’.

Die geforderte Gegenleistung: Russland sagt seine noch unbekannte Offensive ab. Diese könnte nämlich, so wird befürchtet, ebenso verheerend sein wie die Unterbrechung des Zugangs Kiews zum Schwarzen Meer und/oder die Unterbrechung der Versorgung mit NATO-Waffen über die polnische Grenze.

Escobar weiter: „Es wird sogar die Möglichkeit eines direkten Abkommens zwischen Washington und Moskau über ‚ein mögliches militärisches Gleichgewicht nach dem Krieg’ angedeutet, einschließlich einer Nichtmitgliedschaft der Ukraine in der NATO. Was die Ukraine selbst betrifft, so scheinen die Amerikaner zu glauben, dass sie eine ‚starke, nicht korrupte Wirtschaft mit Mitgliedschaft in der Europäischen Union’ werden könnte.“

Das Neue daran ist, so Escobar, dass die Amerikaner zum ersten Mal seit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine im Februar 2022 tatsächlich eine Art klassisches ‚Angebot, das man nicht ablehnen kann’ vorschlagen. Das US-Angebot geht völlig an Kiew vorbei, was einmal mehr bestätigt, dass es sich um einen Stellvertreter-Krieg von USA und Nato gegen Russland handelt.

Escobar weiter: „Alles, was in der Ukraine noch von Wert ist, wurde bereits geschluckt, nicht nur von der monumental korrupten Oligarchie, sondern vor allem von Investoren und Spekulanten der Sorte BlackRock. Die verschiedenen Unternehmensgeier können es sich einfach nicht leisten, die Getreideexporthäfen der Ukraine sowie die mit der EU vor dem Krieg vereinbarten Handelsvereinbarungen zu verlieren. Und sie haben Angst, dass die russische Offensive Odessa, den wichtigsten Seehafen und Verkehrsknotenpunkt am Schwarzen Meer, einnehmen könnte, wodurch die Ukraine vom Meer abgeschnitten wäre.“

Das Angebot wirkt wie ein verzweifelter Schachzug der USA, um Moskau Zuckerbrot und Peitsche zu präsentieren, in der Hoffnung, die für die nächsten Monate geplante Offensive zu verzögern oder gar abzusagen, so Escobar.

Washingtons Ambitionen in diesem Krieg der NATO gegen Russland gehen weit über die Ukraine hinaus, nämlich eine eurasische Union Russland-China-Deutschland oder einen Alptraum eines gleichwertigen Konkurrenten zu verhindern. Bleibt man beim ukrainischen Schlachtfeld, so wurden die wichtigsten ‚Empfehlungen’ – militärisch, wirtschaftlich, politisch, diplomatisch – Ende vergangenen Jahres in einem Strategiepapier des Atlantic Council ausführlich dargelegt.

Diese Strauss'sche Neokonservativen-Politik geht von der ‚Bereitstellung von Unterstützung und militärischer Hilfe für Kiew aus, die ausreicht, um das Land in die Lage zu versetzen, den Krieg zu gewinnen’ bis hin zur ‚Erhöhung der Tödlichkeit der militärischen Hilfe, die auch Kampfflugzeuge umfasst, sowie Raketentechnologie mit einer Reichweite bis in russisches Gebiet hinein’.

Neben der ‚Verhängung von Sekundärsanktionen gegen alle Einrichtungen, die mit dem Kreml Geschäfte machen’, kommen wir natürlich zur Mutter aller Plünderungen: ‚Beschlagnahme der 300 Milliarden Dollar, die der russische Staat auf Überseekonten in den Vereinigten Staaten und der EU hält, und Verwendung der beschlagnahmten Gelder zur Finanzierung des Wiederaufbaus.’

Escobar sieht die Straussianer/Neocons aber jetzt in tiefer Panik – auch vor einem umfassenderen Hintergrund: „Ihre Macht entgleitet ihnen zusehends: Militärisch durch die fortschreitende Demütigung der NATO in der Ukraine; finanziell, weil die meisten Länder des globalen Südens eher früher als später nichts mehr mit der Währung eines bankrotten Schurkengiganten zu tun haben wollen; politisch, weil die globale Mehrheit entscheidende Schritte unternimmt, um einer raubgierigen, diskreditierten De-facto-Minderheit nicht mehr zu gehorchen.“

Und er warnt: „Diejenigen hinter dem Thron sind umso gefährlicher, je mehr sie mit dem Rücken zur Wand stehen.“

Wie wird Russland reagieren? Escobar meint, das Land habe keinen Grund, irgendetwas zu glauben, was aus dem US-Establishment kommt, insbesondere über bloße Lakaien wie Außenminister Blinken und die Washington Post. In klassischer‚ strategischer Zweideutigkeit’ werde Russland seinen erklärten Kurs fortsetzen und östlich des Dnjepr ‚aufhören’, wann und wo es für richtig gehalten wird.

Pepe Escobar ist Kolumnist und unabhängiger geopolitischer Analyst mit Fokus auf Eurasien. Seit Mitte der 1980er Jahre lebte und arbeitete er als Auslands-Korrespondent in London, Paris, Mailand, Los Angeles, Singapur und Bangkok. Er ist auch Autor zahlreicher Bücher.

Ergänzung:
Die Washington Post gilt als der CIA besonders nahestehend, die New York Times dem Außenministerium.

Meine Meinung:
Dies war nicht der erste und wird auch nicht der letzte US-Versuchsballon sein, mit dem getestet wird, wie die Gegenseite reagiert. Eines wird dabei deutlich – ein paar Panzer werden das Blatt nicht wenden, zumal sie erst in Monaten in der Ukraine einsatzbereit sein werden. Letztlich wird es entweder darauf hinauslaufen, dass die Ukraine in irgendeiner Weise aufgeteilt wird, oder es kommt zu einer direkten Beteiligung der Nato an dem Krieg mit unabsehbaren Folgen. Man kann auch Dritter Weltkrieg dazu sagen. Der den Neocons zumindest nahestehende George Friedman sieht eher die erste Alternative, was auch der „Direktive" entspricht, von der Escobar schreibt, Douglas Macgregor befürchtet hingegen, dass es zur zweiten kommt. Escobars Warnung gilt für beide Seiten: „Diejenigen hinter dem Thron sind umso gefährlicher, je mehr sie mit dem Rücken zur Wand stehen.“
Die gewichtige RAND Corporation kommt übrigens ebenfalls „zu dem Schluss, dass neben der Abwendung einer möglichen Eskalation zu einem Russland-NATO-Krieg oder einem russischen Nukleareinsatz auch die Vermeidung eines langen Krieges für die Vereinigten Staaten eine höhere Priorität hat als die Ermöglichung von deutlich mehr ukrainischer Territorialkontrolle."

Nachtrag:
(5.2.23) Siehe auch „Was andere Medien sagen“ – Eintrag vom 5.2.23 (NZZ)

Fußnoten:

  1. Der Krieg in der Ukraine ist der Höhepunkt in 30 Jahren Aktivitäten der amerikanischen neokonservativen Bewegung (Neocons). In der Regierung Biden sitzen dieselben Neokonservativen, die sich für die Kriege der USA in Serbien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003), Syrien (2011) und Libyen (2011) stark gemacht haben. Sie waren auch verantwortlich für die ständigen Provokationen in der Ukraine hinsichtlich Russland. Die Erfolgsbilanz der Neocons ist ein Desaster – das könnte sich hinsichtlich der Ukraine fortsetzen. Die Neocon-Bewegung entstand in den 1970er-Jahren um eine Gruppe öffentlicher Intellektueller um den Politikwissenschaftler Leo Strauss und den Altphilologen Donald Kagan. Zu den führenden Köpfen der Neocons gehörten Norman Podhoretz, Irving Kristol, Paul Wolfowitz, Robert Kagan (Sohn von Donald), Frederick Kagan (Sohn von Donald), Victoria Nuland (Ehefrau von Robert Kagan), Elliott Cohen, Elliott Abrams und Kimberley Allen Kagan (Ehefrau von Frederick). [↩]

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