S&P 500 – spekulative Übertreibung

Der DAX bleibt auf Wochensicht unverändert, der Dow legt um 0,2% zu, der NDX gewinnt 2,0%, der S&P 500 steigt um 1,1%. Der Goldpreis in Dollar verbessert sich um 2,4%, die Rendite der 10yr-TNotes fällt um 5,3% auf den wichtigen Pegel von knapp 3,5%, der TBond-Kurs steigt um 1,8%. Der Dollar-Index gibt um 1,5% ab, Dollar/Yen schwächt sich um 2,4% ab.

Auch wenn sich bei Aktien unter dem Strich wieder nicht viel getan hat, so gab es am Mittwoch erhebliche Sprünge bei US-Indices. Als Anlass wurde angegeben, dass Fed-Chef Powell die Aussicht auf nunmehr kleinere Zinsschritte bekräftigt hat. Das ist ein alter Hut, schon mehrfach haben Aktienkurse auf solche Äußerungen mehr oder weniger heftig reagiert. Dabei wurde geflissentlich überhört, was Powell auch noch sagte: Der Job der Fed bei der Bekämpfung der Inflation sei noch lange nicht erledigt.

Für mich ein Beweis, dass die Aktienmärkte in einer Übertreibungsphase angekommen sind.

Das zeigt sich auch bei der Veröffentlichung der US-Arbeitsmarktdaten für November am zurückliegenden Freitag. Die Lohn- und Gehaltserhöhungen haben die Erwartungen weit übertroffen, die Zahl der neuen Stellen stieg deutlich stärker als erwartet. Die Quintessenz: Trotz der Zinserhöhungen der Fed und der quantitativen Straffung (QT) bleibt die Inflation in der Nähe ihres 40-Jahres-Hochs. Aktien gingen mit der Meldung zwar zunächst wie zu erwarten auf Tauchstation, machten die Verluste aber zum Handelsschluss mehr oder weniger wett.

Der Arbeitsmarkt bestätigt ein weiteres Mal, dass die Fed noch einiges zu tun hat, wenn sie die Inflation ernsthaft bekämpfen will, wie sie sagt. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass alle bedeutenderen Tiefstände im Bärenmarktzyklus nach der ersten Zinssenkung der Fed eintraten, nicht nach der letzten Zinserhöhung.

Man kann das Kurs-Umsatz-Verhältnis, das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das Kurs-Gewinn-Verhältnis und auch das Verhältnis von Kurs und Zukunfts-Gewinnen nehmen, alle zeigen ein Überbewertung von Aktien an. Das aktuelle Shiller-KGV liegt bei fast 30. Entweder müssen die Gewinne aggressiv steigen oder die Kurse müssen fallen. Wenn die US-Wirtschaft in eine Rezession läuft, dürften die tatsächlichen Gewinne im Jahr 2023 stark zurückgehen. Das KGV liegt zwar deutlich unter dem Hoch aus Dezember 2021, es liegt aber gleichauf mit dem KGV aus 1929, wenn auch unter dem, was auf dem Höhepunkt der Technologieblase im März 2000 erreicht wurde.

Der folgende Chart stellt dar, wie sich der S&P 500 in Bezug auf die von Hussman entwickelte historische Bewertungs-Norm darstellt. Zwischen Anfang der 1970er und Mitte der 1990er Jahre bewegte sich der S&P 500 unter dieser Norm, dann stieg er im Zuge der dotcom-Blase deutlich darüber an. Kurzzeitig fiel er 2008 darunter zurück und stieg dann wieder an. Ende 2021 war der Abstand zur „Norm“ so groß wie noch nie. Aktuell ist er immer noch sehr groß. Den in diesem Sinne „fairen“ Wert des S&P 500 sieht Hussman bei weniger als 2000.

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Aus dem Chart wird auch deutlich: Bewertungen kann man nicht für kurzfristige Marktprognosen heranziehen, man muss sie in Zusammenhang mit langfristigen, zyklusübergreifenden Entwicklungen sehen. Ob ein überbewerteter Markt weiter steigt oder stattdessen wie ein Stein fällt, hängt in erster Linie davon ab, ob die Anlegerpsychologie zu Spekulation oder Risikoaversion neigt.

Das ist bei der Geldpolitik ähnlich. Auch die wirkt über über die Stimmungen und Entscheidungen der Akteure. Sie nimmt Einfluss auf die Spekulationspsychologie, aber es ist wenig zielführend, Anlage-Entscheidungen direkt auf die Fed-Politik stützen. Geldflut der Zentralbanken, zinsgünstige Liquidität, wirkt über die Schlüsselfrage, wie wohl sich Anleger damit fühlen, den von der Fed geschaffenen Haufen an Basisgeld zu halten.

Wenn sich die Psychologie der Anleger in Richtung Spekulation verschiebt, wird Liquidität zu niedrigen Zinsen als minderwertiger Vermögenswert behandelt. Niedrige oder Null-Zinsen lässt spekulative Anleger auf die Jagd nach Aktien gehen. Diese „minderwertigen" Assets in Verbindung mit einer spekulativen Anlegerpsychologie fördern Blasen mit extremen Bewertungen. Wenn sich die Psychologie der Anleger hingegen in Richtung Risikoaversion verschiebt, wird sichere, niedrig verzinste Liquidität zu einem begehrten Vermögenswert. Mehr davon unterstützt den Markt nicht. Denken Sie an die Jahre 2000-2002 und 2007-2009, als der Markt zusammenbrach, und die Fed gleichzeitig aggressiv gelockert hat.

Die folgende Grafik zeigt die kumulative Gesamtrendite des S&P 500 für vier sich gegenseitig ausschließende Kombinationen von Geldpolitik und Marktinterna (markt-psychologische Disposition). Die Lektion ist klar: Es ist nicht die Lockerung der Fed, sondern die spekulative Psychologie, die am meisten beachtet werden muss. Risikoaversion (ungünstige Marktinterna) in Verbindung mit einer lockeren Geldpolitik ist dabei die schlechteste aller Welten.

Der Chart zeigt die für einen gegebenen Zeitpunkt gültige Kombination dadurch an, dass die entsprechende Kurve nicht horizontal gradlinig verläuft. So ist gegenwärtig die Kombination „geldpolitische Straffung und nicht-vorteilhafte Marktinterna“ aktiv. Wenig verwunderlich war seit dem zweiten Quartal 2020 bis Ende 2021 die Kombination „geldpolitische Lockerung und vorteilhafte Marktinterna“ gültig. Die senkrechte Achse gibt ein Maß für den Nettogewinn im S&P 500 an, „1“ bedeutet keinen Gewinn, unter „1“ fallen Verluste an.

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Ein wesentliches Merkmal günstiger Marktinterna (spekulative Psychologie) nach Hussman ist die Gleichförmigkeit von Aktienkursen über Segmente und Firmengrößen hinweg. Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis analysieren u.a. die Ähnlichkeit zu linearen Strukturen bei den zugrundeliegenden zehn US- und internationalen Aktienindices. Dieses Ähnlichkeitsmaß ist vergleichbar mit der Gleichförmigkeit nach Hussman: Je größer die Ähnlichkeit zu gleichgerichteten linearen Strukturen ist, je größer ist auch die spekulative Ausrichtung im Vergleich zum normalen Markgeschehen, das sich eher wie eine zyklische Anpassung an immer wieder neue Gegebenheiten darstellt.

Die linearen Kursmerkmale dominieren seit Mitte November und haben jetzt fast ein Ausmaß erreicht wie zuletzt Anfang August („Feature“-Chart in der Mitte). In der Zeit davor, seit Anfang Oktober, pendelten die Eigenschaften um die neutral-Linie. Jetzt zeigt sich ein extrem bullisches Bild (oberer Chart). Lineare bärische Merkmale sind praktisch nicht mehr existent, bullische liegen bei 80%, einem historischen Hoch. Eine belastbare Wende im bullischen Bild ist noch nicht zu sehen, möglich, dass die spekulative Übertreibung noch bestehen bleibt. Denkbar, dass die Bullen auf die kommende FOMC-Sitzung hin zocken.

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Das Chartbild des S&P 500 zeigt den Index mittlerweile über der EMA200 (4022, waagerecht). Er notiert genau an einer mehrfach bestätigten Abwärtslinie vom Jahresanfang. Auf der Oberseite kommt der bedeutsame Pegel bei 4160 in den Blick. Möglich, dass sich die Bullen bis dorthin vorwagen. Ich halte jedoch nach wie vor eine Handelsspanne zwischen 4100 und 3900 für wahrscheinlicher.

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Der ISM-Index für November ist unter die Marke von 50 gefallen, die Expansion von Kontraktion trennt. Die Sub-Indices für Preise und neue Aufträge verstärken ihre kontraktive Tendenzen. Die übrigen Stimmungs-Indices zeigen ebenfalls einen soliden, abwärts gerichteten Trend. Hinzu kommt, dass die Sparquote mit 2,3% wieder so tief notiert wie Mitte 2005. Die Verbraucher verfügen damit über kein nennenswertes Polster mehr, um ihre Nachfrage weiter zu steigern. Umgekehrt dürften sie bei irgendwelchen negativen Entwicklungen umgehend Ausgaben sicherheitshalber reduzieren.

Beides spricht nicht gerade für stabiles künftiges Wachstum. Im Gegenteil: Schlägt das Klima am Arbeitsmarkt um, dürfte das schnell zu einer Kontraktion des BIP führen. Und schon haben wir die Rezession, die sich auf der Ebene der Rendite-Merkmale schon längere Zeit ankündigt. Das dürfte meiner Meinung auch eher der Grund für einen zahmeren geldpolitischen Kurs der Fed sein: Sie will nicht mit vollem Zins-Karacho in diese Phase hineinrauschen.

Insgesamt eine gefährliche Situation, auch, weil die Bewertungen nach wie vor hoch sind.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle]

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