US-Aktien – Bullen graut vor nichts

Der S&P 500 steigt auf Wochensicht um 4%, der NDX bringt es auf +2,1%, der Dow schafft +5,7%. Für S&P 500 und NDX ist es die zweite Gewinnwoche in Folge, beim Dow die vierte. Der DAX legt um 4% zu. Den Löwenanteil der Wochengewinne haben der S&P 500 mit 2,5%, bzw. der NDX mit 3,2% am zurückliegenden Freitag produziert. Der Dow war schon vorher stark unterwegs, er legt einen Tagesgewinn von 2,6% hin.

Was war der Anlass für diesen starken Tag? Am Vortag war mit 2,6% eine überraschend starke Steigerung des US-BIP im dritten Quartal gemeldet worden. Am zurückliegenden Freitag kamen u.a. die September-Daten für das verfügbare Einkommen (nominal +3,2%, real –2,9% gegenüber dem Vorjahresmonat), sowie für die Verbraucherausgaben (+8,2%) und den Kern-Preis-Index der Verbraucherausgaben (+5,2%) heraus. Letzteres Datum ist gegenüber dem August angestiegen und zeigt damit, dass die Inflation weiterhin dabei ist, durch die gesamte Wirtschaft zu kriechen. Das Verbrauchersentiment für Oktober ist den vierten Monat in Folge angestiegen, das Verbrauchervertrauen ist hingegen zurückgegangen.

Was also war der Anlass für die starke Kursentwicklung? Fragezeichen! In den Tagen zuvor hatte man eher schwache Makrodaten begrüßt, weil sie die Hoffnung nährten, die Fed werde die Leitzinsen bald weniger stark erhöhen. Jetzt scheinen wieder starke Makrodaten gefeiert zu werden. Dazu passt, dass die Gewinnerwartungen für das dritte Quartal im S&P 500 im Jahresvergleich von 2,5% am Vortag über Nacht um 1,6% auf 4,1% gestiegen sind. Fragezeichen!

Ungehört blieb auch die Wortmeldung von US-Finanzministerin Yellen: „Ich möchte ein verlangsamtes Wachstum der US-Wirtschaft sehen. Das gehört dazu, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen.“ Ihr wird daran gelegen sein, Kapital in Staatsanleihen zu locken, angesichts der munter voranschreitenden Staatsverschuldung und dem sich auftuenden Liquiditätsloch.

Die „Technik“ gibt einen Hinweis: Die EMA50 notierte im S&P 500 zu Handelsbeginn bei 3817. Kaum war dieser Pegel nach 15 Minuten Handel überwunden, rannten die Bullen richtig los. Damit dürfte klar sein, dass die hauptsächliche Triebkraft mal wieder die gute alte FOMO war – „Fear Of Missing Out“.

Die beiden folgenden Charts unterstreichen das (Chartquelle). Der erste zeigt die längerfristig ziemlich gedrückte Positionierung bei Aktien. Das gilt erst recht für die fundamentale Einschätzung. Der zweite Chart zeigt den weiter negativen, wenn auch abnehmenden netto Tranding-Flow bei Aktien. Er zeigt aber auch, dass die beiden Seiten Long und Short seit Mitte August stark aufgebläht wurden. Mit anderen Worten: Wir haben jetzt ein labiles Gleichgewicht. Wenn das kippt, setzt es ordentliche Dynamik frei. Der Chart zeigt weiter, dass die Rally ab Mitte Juni eher genutzt wurde, um bullische Positionen zu reduzieren.


Am kommenden Mittwoch tagt das FOMC der Fed. Eine weitere Anhebung der Fed Funds um 0,75% ist bereits eingepreist. Die Geschwindigkeit des aktuellen Straffungszyklus ist die höchste seit 60 Jahren – und es ist noch nicht vorbei. Allerdings haben sowohl die kanadische, als auch die australische Zentralbank zuletzt etwas Dampf aus ihren Zinsschritten herausgenommen. Und die Bank of Japan bleibt bei ihrem ultralockeren Kurs, den sie vor mehreren Jahren begonnen hat. Die EZB hat Nachholbedarf, sie hat die Leitzinsen zuletzt um weitere 0,75% erhöht.

Das Ausmaß der Staatsverschuldung und damit verbunden des Finanzierungsbedarfs wird bald offensichtlich. Durch Zinsschritte und Schrumpfung der Zentralbank-Bilanzen wird den Finanzmärkten Liquidität entzogen. Es entsteht ein Liquiditätsloch – zu einer Zeit, in der die Emission von Staatsanleihen immer weiter steigt.

Seit der Finanzkrise haben die Zentralbanken durch den Kauf von Anleihen überschüssige Liquidität erzeugt. Die Asset-Preise wuchsen dadurch schneller als die Wirtschaft, was dazu führte, dass die Quote der vom privaten Sektor gehaltenen Staatsschulden trotz steigender Staatsverschuldung mehr oder weniger unverändert bleiben konnte. Jetzt aber muss der Privatsektor anfangen, massiv neue Anleihen kaufen, damit der Markt nicht instabil wird. Ansonsten würden die längerfristigen Renditen durch die Decke gehen.

Die Auswirkungen des Liquiditätslochs reichen dabei weit über den Anleihemarkt hinaus. Wenn ein privater Akteur Anleihen kauft, muss er entweder Barmittel einsetzen oder er muss Vermögenswerte verkaufen. Das erste mindert die Nachfrage nach anderen Assets, z.B. Aktien, das zweite sorgt für direkten Preisdruck.

Die nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über das Ausmaß dieses Liquiditätslochs. Der Umfang der Staatsschulden, die in den kommenden Monaten vom Privatsektor aufgenommen werden müssen, ist größer als zu jedem anderen Zeitpunkt außerhalb der Weltkriege und der Finanzkrise.

Und was ist, wenn der private Sektor nicht ausreichend Staatsanleihen kaufen will? Nun, dann springen die Zentralbanken ein, sie haben ja in den zurückliegenden Jahren gelernt, wie es geht. Und ich gehe davon aus, dass zur Vorbereitung dieser Wende einige Fed-Offizielle genau deshalb angefangen haben, von einem gemäßigteren Tempo beim Leitzins zu reden. Die Vermögensverwaltung BlackRock hat ihre Kunden schon darauf eingestimmt, dass Fed-Chef Powell am kommenden Mittwoch Andeutungen in dieser Richtung macht („pivot language“). Für das FOMC-Treffen im Dezember wird gemäß des Fed-Watch-Tools der CME bereits mehrheitlich mit einem Zinsschritt von lediglich 0,5% gerechnet.

Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Fed in einigen Monaten neue Anleihekäufe startet, so bleibt die Frage, ob der private Sektor dann eher auf den Kauf von Anleihen oder den Kauf von Aktien setzt. Momentan sind Staatsanleihen stark gedrückt, ihr Abstieg begann im August 2021, seit Anfang August 2022 hat er sich beschleunigt. Das „faire KGV“ der 10yr-TNotes liegt aktuell bei knapp 25. Das Aktien-KGV kommt auf gut 20, das Shiller-CAPE (bereinigt um Zyklik und Inflation) erreicht knapp 29. Das lässt Anleihen schon jetzt interessant aussehen, erst recht, wenn man die Risiko-Prämien berücksichtigt.

Tom McClellan hat untersucht, welche wirtschaftlichen Zahlenreihen eine gute Prognose hinsichtlich des Starts einer Depression liefern. Er gebraucht den klassischen Begriff „Depression“ für alle Phasen, in denen die Wirtschaft schrumpft. „Rezession“ bezeichnet dabei den ersten, „Erholung“ den zweiten Teil. Die Depression endet, wenn das vormalige Niveau überschritten wird. Aus seinen Überlegungen ergibt sich, dass eine Depression mit einem signifikanten Anstieg der Arbeitslosenquote zusammenfällt. Bestärkt wird das Signal, wenn der Rendite Spread der 10yr-TNotes zu den 1Yr-TNotes negativ wird (Chartquelle).

Eine Depression, um den den Begriff von McClellan aufzunehmen, kann sowohl auf der Ebene der Finanz-, als auch der Realwirtschaft eingeläutet werden. Aus meiner Auswertung einiger US-Rendite-Merkmale ergibt sich seit April ein aktives Warnsignal. Das hat einen Vorlauf von vier bis sechs Quartalen.

Die Auswertung verschiedener US-Makrodaten aus der Realwirtschaft ergibt eine Warnstufe von 1 (von 3). Die oberen vier Teilcharts zeigen im folgenden Bild in ihrer jeweils unteren Hälfte den Depressions-, bzw. Kontraktionsteil im Konjunkturzyklus (rechts Rezession, links Erholung). Punktuell befinden sich die Makrodaten damit noch weiter in (nachlassender) Expansion. Mit den am zurückliegenden Freitag veröffentlichten Makrodaten hat sich das Bild sogar kurzfristig wieder verbessert (blauer Punkt). Der Chart wird laufend auf der Startseite aktualisiert.

Börsen sind kein Ökonomenkongress. Der S&P 500 hat am zurückliegenden Freitag 38er-Retracement des Bull-Run zwischen März 2020 und dem Jahreswechsen 2021/2022 bei 3880 als Sprungbrett genommen und ist bis zum eminent wichtigen statischen Pegel bei 3900 angestiegen. Hier hat der Index auch 50% des Abstiegs seit Mitte August wieder wett gemacht. Mag sein, dass jetzt noch einmal getestet wird, ob die EMA50 hält, vielleicht gibt es auch nur einen kleinen Rücksetzer in diese Richtung.

An der Unterseite müsste zunächst 3800 durchbrochen werden, was aktuell nicht sehr wahrscheinlich ist. Das Umfeld an Marktindikatoren unterstreicht die kurzfristig bullische Sicht. Das gilt auch für die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis. Zusammengenommen ergibt sich ein recht solides bullisches Bild. An der Oberseite steht als nächstes Bullen-Ziel der Bereich um die runden 4000 auf dem Programm. Darüber kommt die EMA200 bei aktuell rund 4050 ins Visier.

Wenn da nicht der kommende Mittwoch mit seiner FOMC-Sitzung wäre. Hier kommt es darauf an, ob Fed-Chef Powell die Aussicht auf eine baldige Verlangsamung des geldpolitischen Kurses herausstellt. Bleiben die Aktionäre im Zweifel zurück, könnte das schnell zu Gewinnmitnahmen führen. Die könnten sich ausweiten, wenn sich Powell der Bemerkung von Finanzministerin Yellen anschließt, die fordert, dass das Wirtschafts-Wachstum runter muss.

Alles zusammen genommen, dürfte es um die FOMC-Sitzung herum einige turbulente Tage bei Aktien geben, aber vermutlich werden fallende Aktienkurse aktuell eher als Kaufgelegenheit gesehen. Auch die Saisonalität stützt diese Annahme.

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