US-Rendite, Yen und die Rettungswirtschaft

Die großen US-Indices verzeichnen die höchsten Wochengewinne in den zurückliegenden vier Monaten. Der S&P 500 legt 4,7% zu, der Dow gewinnt 4,9%, der Nasdaq kommt auf 5,2%. Europäische Indices laufen hinterher: Der Dax schafft +2,4%, der EuroStoxx500 bringt es auf +2,8%.

US-Staatsanleihen gaben am Freitag weiter ab. Die Rendite fünfjähriger US-Staatsanleihen überstieg zum ersten Mal seit 2007 die Marke von 4,5%, während 10-jährige Anleihen bis auf 4,34% kletterten. Dann wurde ein Bericht des Wall Street Journal bekannt, wonach einige Fed-Offizielle auf der kommenden FOMC-Sitzung über einen kleineren Zinsschritt im Dezember diskutieren wollen. Die Renditen fielen von ihren Höchstständen ab, die Rendite der zweijährigen schloss bei 4,504% nach 4,610% am Vortag. Die der 10yr-TNotes notierten zum Handelsschluss mit 4,228% knapp unter dem Schluss des Vortages bei 4,232%.

Mit dem neuerlichen Ausverkauf steuern die US-Staatsanleihen auf eine 12-wöchige Verlustserie zu – die längste seit 1984, als der damalige Fed-Vorsitzende Paul Volcker in schneller Folge eine Reihe von Zinserhöhungen durchführte.

US-Aktien hatten den freitäglichen Handel schwach begonnen, mit dem Rückenwind der Nachricht des Wall Street Jounal drehten sie dann zunächst sehr volatil, bevor etwa der S&P 500 mit einem Tagesgewinn von 2,4% ins Wochenende ging.

Die Rendite 10-jähriger deutscher Bundesanleihen stieg zum ersten Mal seit 2011 über 2,5%, nachdem der Bundestag einen Plan zur Aufnahme von bis zu 200 Mrd. Euro zur Bewältigung der Energiekrise gebilligt hatte. Händler stellen sich auf eine Welle von Emissionen in ganz Europa ein, wobei der Markt mit dem Ende der Anleihekäufe durch die EZB noch mehr zu verdauen hat.

Es wird zur Routine: Bald jede Woche wird irgendwo auf der Welt irgendetwas gerettet. Am Freitag hat der Bundestag beschlossen die Gaskunden mit bis zu 200 Mrd. Euro zu retten. In entsprechender Höhe will sich der Bund verschulden – außerhalb des Haushalts, versteht sich. Was wir aus den Rettungsmaßnahmen in Verbindung mit „Corona“ zuerst in den USA gelernt haben: Solches Rettungsgeld wird zumindest zum Teil wieder nachfragewirksam, wodurch es die Inflation weiter antreiben dürfte.

Das gilt prinzipiell auch für den fast panikartigen Aufkauf von Staatsanleihen durch die Bank of England, wobei diese Liquidität, weil ferner von den Verbrauchern, wohl eher die Preise bei Assets antreibt. Gleiches lässt sich zur Bank of Japan sagen: Sie deckelt die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen seit Jahren bei 0,25%. Jetzt ist die Inflation dort auf 3% gestiegen. 2021 lag sie noch bei –0,23%.

Japan – der Yen ist am Freitag zuächst weiter gesunken, Dollar/Yen notierte im Hoch bei fast 152, ein 32-Jahres-Hoch. Dann kollabierte das Währungsverhältnis auf gut 146. Möglicherweise geht das auf eine neuerliche Intervention der BoJ zurück. Auf den Dollar lässt sich das nicht zurückführen, er zeigte sich zum Schluss des japanischen Handelstages fest. Der Yen gilt als Carry-Trade-Währung, wegen des seit Jahren auf nahe Null manipulierten Zinses ist es für Ausländer interessant, sich in Yen zu verschulden.

So lange sich das Rad in diese Richtung weiter dreht, macht der Währungseffekt dieses Geschäft über sinkenden Yen im Falle der Rückzahlung noch zusätzlich interessant. Wenn der Yen nachhaltig an Wert gewinnt, verkehrt sich das aber in das Gegenteil und beschleunigt den Prozess. Für die BoJ muss irgendwann der Punkt kommen, an dem sie intervenieren muss. Sie hat schon einmal Ende September eingegriffen – ohne viel Erfolg. Die Inflation wird durch den schwachen Yen angeheizt, das Land muss einen großen Teil seiner Energie-Rohstoffe importieren. Die meisten Beobachter sehen bei 150 im Dollar/Yen eine absolute Schmerzgrenze.

Carry-Trade-Kredite sind ein wichtiger treibender Faktor bei der Entwicklung des Yen, wenn auch nicht der einzige. Untersucht man die Intermarket-Beziehungen zwischen Yen/Dollar, Yen/Euro und Euro auf der einen Seite und die von US- und Euro-Aktien, sowie von Rohstoffpreisen (CRB-Index) andererseits, so komme ich zu dem Bild, dass Aktien und Yen sich im laufenden Jahr recht gleichläufig entwickelt haben. Das war über weite Strecken in den zurückliegenden Jahren schon so, ausgeprägter bei US-Aktien, daran hat sich auch im laufenden grundsätzlich nichts geändert. S&P 500 und Euro/Dollar liefen ab Mitte 2015 bis November 2020 gut synchron, seit Anfang diesen Jahres gilt das wieder. Rohstoffe und Yen verhielten sich in der Vergangenheit schon immer etwas volatiler zueinander, aber insbesondere zu Yen/Dollar war die Beziehung ebenfalls bis weit in 2021 recht gleich gerichtet. Im laufenden Jahr gilt das jedoch nicht mehr.

Der Yen ist sicher nicht ausschließlich von ausländischen Krediten getrieben. Dennoch hat die Entwicklung Auswirkungen auf internationale Kurse/Preise von Aktien und anderen Vermögensgegenständen, weil Anleger ihre Engagements mit solchen Krediten hebeln. Das gilt insbesondere im Kontext der hohen US-Zinsen. Man sollte die Liste der Ereignisse, die die Fed zur Kapitulation veranlasst, um den Yen ergänzen.

Dollar/Yen zuletzt mit klarer relativer Stärke gegenüber dem Euro/Yen (Zinsdifferenz!?):

Bemerkenswerter Gleichlauf zwischen der Rendite der 10yr-TNotes und Dollar/Yen unterlegt den engen Zusammenhang zwischen US-Zinsen und japanischer Währung:

Aus der jahrelang betriebenen Politik der Null- und Negativzinsen kann die Fed nicht so einfach aussteigen. Eine Folge dieser eigentlich schon seit Greenspan als Chef der Fed (1987) betriebenen Geldflut-Politik sind Zombie-Unternehmen – Firmen, deren operatives Ergebnis kaum mehr als die Kreditkosten erwirtschaftet. Beobachter schätzen, dass es sich dabei um rund ein Viertel der Unternehmen handelt, und nicht um die Kleinsten. Wenn die durch die steigenden Zinsen (und steigenden Kosten für Rohstoffe und Vorprodukte) ins Straucheln kommen, dürfte es für die „Rettungswirtschaft“ noch einiges zu tun geben. Und genau in diesem Zusammenhang spielt der Yen eben auch eine große Rolle. Yen-Kredite in Zusammenhang mit Finanz-Assets sind nur ein Teil, es gibt auch noch „normale“ Unternehmens-Verschuldungen in Yen.

Während des Inflations-induzierten Bär-Marktes in den 1970ern war das Aktien-KGV zeitweise einstellig. Heute haben wir ein KGV von 27 oder 20, je nachdem, ob man es um Inflation bereinigt (Shiller-CAPE) oder nicht. Es wäre zu einfach, den heutigen Stand des S&P 500 einfach zu halbieren, bis das KGV einstellig wäre. Die Rahmenbedngungen sind nicht vergleichbar. Andererseits ist das Gesamtrisiko der überall entstandenen Blasen bei Assets heute viel höher als seinerzeit. Also vielleicht doch irgendwann der S&P 500 wieder bei 2000?

Mittlerweile machen sich Risse in der US-Wirtschaft bemerkbar. In jedem der fünf zurückliegenden Quartale sind die privaten Bruttoinvestitionen in den Hausbau zurückgegangen. Die Daten zeigen die Entwicklung bis zum zweiten Quartal, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Im zweiten Quartal betrug der Rückgang beachtliche 17,8% gegenüber dem Vorjahr. In der Studie „Housing IS the Business Cycle“ wird gezeigt, dass die Investitionen in den privaten Wohnbau ein gutes Frühwarnsignal für eine aufkommende Rezession liefern. Auch der Verlauf der wirtschaftlichen US-Frühindikatoren zeigt Schwäche. Das Beige Book der Fed weist ebenfalls auf zunehmenden Pessimismus im Geschäftsleben hin.

Mag sein, dass solche Zeichen die Aktienbullen zuletzt ermutigt haben. Was fehlt, sind Hinweise auf Brüche im Arbeitsmarkt. Bisher sind die von mir verfolgten Makroindikatoren nicht im Rezessionsmodus, wie der regelmäßig auf der Startseite aktualisierte Chart zeigt. Das gilt auch für die Auswertung des National-Activity-Index der Fed von Chicago (CFNAI).

Indes warnt die Auswertung von Merkmalen der Zinsstruktur, dass es innerhalb der nächsten vier bis sechs Quartale zu einer Rezession kommen dürfte. Was die Erträge bei Aktien angeht, so befinden sie sich im Rezessionsmodus. Die Kredittätigkeit nimmt andererseits seit einigen Monaten wieder zu, sie war im ersten Quartal erlahmt. Im September sind die gesamten Ausleihungen im Jahresvergleich um 11,6% gestiegen, die im Geschaftsbereich sogar um 14,1%. Insgesamt ein recht inkonsistentes Bild.

Die Aktienbullen dürften vermutlich sehnsüchtig auf weitere schlechte Makronachrichten warten, um Hoffnungen auf eine baldige Abkehr von der straffen Zinspolitik zu nähren.

Der S&P 500 hat in der zurückliegenden Woche die Abwärtslinie aus Mitte August überwinden können und notiert jetzt auch über seiner EMA14. Die EMA50 liegt aktuell bei rund 3800 etwa gleichauf mit dem 38er Retracement des Bull-Run von März 2020 bis zur Jahreswende 2021/2022. Das, bei etwa 3800, dürfte der nächste bullische Anlaufpunkt sein. Es ist zugleich ein wichtiger Test, Anfang September ist der Index an der Überwindung der EMA50 gescheitert (Chartquelle).

Die von mir beachteten Marktindikatoren zeigen bullische Avancen. Seit einigen Tagen zeigt die Auswertung von MACD, RSI und Stochastik bei großen Aktienindices eine solide bullische Tendenz. Die Volumenverteilung befindet sich in Akkumulation, per se ein bullisches Zeichen. Aich die Marktbreite nach TRIN entwickelt sich bullisch.

Die auf der Startseite täglich aktualisierten fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis zeigen einerseits, dass bärische Merkmale bei Aktienindices deutlich schneller ab-, als bullische zugenommen haben. Das nicht unnormal nach einer bärischen Episode, ist aber aktuell besonders ausgeprägt. Zunächst spricht aus dieser Sicht nichts dagegen, dass die Expansion bei Aktien noch anhält.

Auf der Unterseite dürften die Bären den Bereich bei 3600 im Auge haben. Wird er gebrochen, sind auch schnell wieder die jüngste Tiefs bei 3500 erreicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bullen noch vorne bleiben, ist größer – wichtig ist, dass der Bereich bei 3800 zügig genommen und verteidigt wird. Das dürfte starke Anschlusskäufe auslösen.

Nachtrag:
(23.10.22) Bei The Market Ear ist zu lesen: „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass dieser Aufschwung noch ein wenig andauern wird. Die Positionierung im Allgemeinen ist nahe an einem Extrem, CTA– und Rückkäufe könnten/werden signifikant sein, die saisonalen Daten sind unterstützend und es gibt auch ein allgemeines Gefühl, dass wir begonnen haben, eine ‚Wall of worry’ zu erklimmen, bei der Aktien andere Anlageklassen und die sich verschlechternde Makrolage ignorieren, und diese Situationen haben die Tendenz, weiter zu laufen. Hinzu kommt, dass wir im Jahr 2022 noch nicht wirklich eine verrückte Bärenmarktrallye erlebt haben. Der Sommerlauf war eher normal – Bärenmarktrallyes können heftig werden. Wir halten daher an unserem ‚Bounce Call’ fest, mit der Option, dass sich dies zumindest in eine ‚Halloween-Halleluja’-Rallye und vielleicht sogar in eine heftige und absurde Jahresendschmelze verwandeln könnte.“

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