Fed mit Zinsschritt, US-Wirtschaft in Rezession – Aktien jubeln

Die Fed erhöht die US-Leitzinsen um weitere 0,75% auf einen Bereich von 2,25 bis 2,5%. Die US-Wirtschaft ist im zweiten Quartal um annualisiert 0,9% geschrumpft. Zusammen mit den –1,6% aus dem ersten Quartal befindet sich die US-Wirtschaft damit in einer technischen Rezession. Der S&P 500 steigt auf Wochensicht um 4,3%, der NDX schafft +4,4%, der DAX macht 1,7% an Boden gut. Der S&P 500 verzeichnet zudem den höchsten Monatsgewinn seit November 2020.

Was ist da los? Meiner Meinung nach ist die treibende Kraft, die Anleger zurück in Aktien treibt, die Erwartung, dass die Fed alsbald ihre Phase der Leitzinssteigerungen auslaufen lässt. Fed-Chef Powell hatte in seiner Pressekonferenz zum jüngsten Zinsschritt Bezug auf schwächere Makrodaten Bezug genommen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass die Fed dementsprechend ihren geldpolitischen Kurs anpasst. Und, natürlich, "FOMO" (Fear of missing out), Angst, etwas zu verpassen.

Es gibt in der Tat Hinweise für Tempoverlust in der US-Wirtschaft. So ist etwa das reale verfügbare persönliche Einkommen im Juni um weitere 3,19% gesunken im Vergleich zum Juni 2021. Die Zeitreihe hatte im März 2021 ein lokales Maximum ausgebildet, sie steht heute 21% tiefer (nominal –14%). Basiseffekte, die noch im ersten Quartal einen Teil der Schäche erklären konnten, gibt es jetzt nicht mehr.

Die Sparquote ist mit rund 5% mittlerweile auf Werte zurückgegangen wie zwischen Mitte 2008 und Anfang 2010. Ein „normaler“ Wert liegt irgendwo zwischen sechs und sieben Prozent. Vor 2008 lag er für einige Jahre bei rund 3%. Will sagen: Mit viel „Nachschub“ durch weiteres Entsparen sollte man eher nicht rechnen. Die Konsumseite ist für rund 70% des US-BIP verantwortlich.

Die Fed beachtet hinsichtlich Inflationsentwicklung besonders den PCE-Preis-Indikator (PCEPILFE), bei dem die besonders volatilen Preis-Bestandteile für Nahrung und Energie eliminiert sind. Der Index hat im Februar mit einer jährlichen Steigerung von 5,31% ein lokales Hoch ausgebildet und kommt per Juni auf 4,79%. Gegenüber Mai hat er sich allerdings um 0,59% erhöht.

So lange kein erneuter staatlicher Geldsegen auf die Bevölkerung niederregnet, dürfte die reale Einkommensseite der limitierende Faktor für das reale BIP bleiben. Es sei denn, die Inflation tritt den Rückzug an, das würde die reale Kaufkraft verstärken und dem BIP wieder auf die Sprünge helfen. Oder (siehe unten) es werden mehr Schulden gemacht.

Die Breakeven-Raten der fünf- und der zehnjährigen US-Staatsanleihen geben Inflationserwartungen wider. Wenn die zehnjährigen höher liegen als die fünfjährigen, darf man annehmen, dass die Erwartungen stabiler aufwärts gerichtet sind, als im umgekehrten Fall. Momentan haben wir die Situation, dass die fünfjährigen höher notieren als ihr Pendant, also sollte man annehmen, dass die Akteure eine langfristig robuste Inflation eher bezweifeln. Allerdings hat sich der Abstand seit März verringert – die blaue Linie im folgenden Chart zeigt die Differenz (Daten per Ende Juni) (Chartquelle).

Die Renditen haben in den USA nach dem Fed-Beschluss in der zurückliegenden Woche stark nachgegeben. Die 10yr-TNotes haben gegenüber Mittwoch 0,139% auf 2,621% verloren, die Rendite der 2yr-TNotes notiert 0,140% tiefer bei jetzt 2,884% (jüngstes Hoch am 19. Juli bei 3,246%). Die 2yr-TNotes gelten als guter Indikator für die Leitzinsen, was bedeuten würde, dass jetzt nur noch eine Zunahme des Leitzinses um rund 0,5% erwartet würde.

Der Chart der Rendite der 10yr-TNotes zeigt eine deutliche Schulter-Kopf-Schulter-Formation, die sich seit April entwickelt hat. Eine solche Formation gilt als zuverlässiges Umkehr-Signal. Als Nackenlinie kann man den Bereich zwischen 2,76 und 2,80 sehen. Mit dem „Kopf“ bei 3,5% ergäbe sich als Ziel der Formation weniger als 2,1%.

Das faire KGV nach Fed-Modell liegt aktuell bei fast 38, sinkt die Rendite auf 2,1%, entspräche das etwa 48. Verglichen mit dem aktuellen KGV von fast 21 (nach Shiller/CAPE 31) wäre dann für Aktien noch „Luft“ nach oben. Aus dieser Sicht spricht nicht viel dagegen, dass per Jahresende die alten Höchststände wieder erreicht werden. Das ist natürlich übel spekulativ, aber es ist nicht ganz ungewöhnlich, dass mit Beginn einer technischen Rezession (zwei negative Quartale in Folge) die Aktienkurse einen Boden finden und dann erst einmal kräftig steigen ("FOMO" eben).

Meine Auswertung der Makrodaten (Chart wird täglich auf der Startseite veröffentlicht), sowie auch wesentlicher Merkmale der Renditelandschaft meldet zwar Warnzeichen hinsichtlich einer aufziehenden Rezession – mehr aber auch nicht. Die Kreditaufnahme hat im Juni im Jahresvergleich sogar wieder deutlich zugelegt, insgesamt um 9,7%, die Darlehen aus dem Bereich „Commercial and Industrial“ um 7,8%. Das gilt in einer völlig von Schulden abhängigen Wirtschaft meist als gutes Zeichen…

Dass eine Rezession aus aktueller Sicht eher milde ausfallen sollte (falls es mehr werden sollte als eine technische Rezession), legt auch das als Produkt aus der Zahl der Arbeitsplätze und der Wochenarbeitszeit gebildete „real-time“ BIP nahe. Wie der folgende Chart zeigt, hat es eine recht gute Vorläuferfunktion für das reale BIP. Der Indikator (blau) notiert zwar leicht abnehmend, aber deutlich über dem realen BIP (rot) (Chartquelle).

Damit ergibt sich aus meiner Sicht: Bullische Marktteilnehmer stützen sich momentan darauf, dass bei der Phase der Zinsschritte ein Ende absehbar ist. Die Renditen befinden sich in einer Abwärtskorrektur. Allerorten wird gehofft, dass die Spitze bei der Inflationsentwicklung erreicht, bzw. überschritten ist. Insbesondere hofft man auch auf einen weiterhin stabilen Arbeitsmarkt.

Ich finde das Eis ziemlich brüchig, auf dem diese Bullen stehen. Vielleicht ist es auch nur die Einstellung, dass es nicht mehr viel schlimmer kommen kann. Weniger brüchig finde ich das momentan angesichts der Risiken überall auch nicht. Denken Sie auch an den chinesischen Immobiliensektor und den schwelenden Taiwan-Konflikt. Ob das (mental) tatsächlich ausreicht für einen Boden? Ja, für einen Boden. Aber wohl nicht für den Boden, einen, der längerfristig hält.

Der S&P 500 hat mittlerweile seine EMA50 überzeugend überwunden. Sie steigt aktuell bei 3967 an. Der Index schloss am zurückliegenden Freitag bei 4130,29. (Das war mein best-case Szenario). Unmittelbar darüber liegt eine harte Widerstandszone: Bei 4146 notiert das 50er Retracement des Abwärtsimpulses aus Ende März, darüber liegt bei ~4160 ein wichtiger Pegel. Bei 4190 notiert die EMA200 (waagerecht). Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Index diese Zone im Handstreich nimmt, es sei denn Putin und Selensky heiraten. Womöglich ist das aber für die Akteure an den Finanz-Märkten auch keine besonders gute Nachricht. (Chartquelle)

An der Unterseite sind demzufolge diese Marken von Bedeutung: Bei 4022 liegt das 38er Retracement des vorgenannten Abwärtsimpulses, darunter notiert die EMA50 (3968). Dann kommt bei 3926 ein statischer Support. Zubeachten sind auch die Retracements des Aufwärtsimpulses vom 14. Juli, die mit genannten Pegeln mehr oder weniger zusammenfallen.

Das insgesamt zunächst bullische Bild wird auch gestützt von den fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis. Der entsprechende Chart wird täglich auf der Startseite aktualisiert.

Ergänzung: Von den aktuell schnell fallenden Renditen dürfte Gold profiteren. Der Preis des gelben Metalls ist seit dem jüngsten Tief am 20.7.22 bereits um 75 auf 1766 Dollar angestiegen.

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