Bewegende Inflation

Die US-Inflation stand in dieser Woche im Fokus. Am Donnerstag wurde die Verbraucherpreisinflation mit +7,5% gemeldet. Man hatte jedoch nur 7,3% erwartet. Das ist der höchste Wert in nahezu 40 Jahren.

Normalerweise würde man erwarten, dass der Dollar in einer solchen Situation über steigende Zinserwartungen gewinnt, das Währungspaar Euro/Dollar mithin an Wert verliert. Das geschah zunächst auch, das Währungspaar verlor rund 0,0500 bis auf nahe 1,1380. Dann aber geschah kurz später das Gegenteil, Euro/Dollar schnellte bis auf 1,1490 hoch und hielt sich zunächst etwa auf diesem Niveau. Kurz nach 19:00 unserer Zeit begann ein Absturz, der erst in den frühen Morgenstunden des Freitag bei 1,1375 Halt fand (Chartquelle).

Was war passiert? Gegen 12:00 Ortszeit (19:00 MEZ) sagte der Präsident der Fed von St. Louis, mit den neuesten Inflationsdaten werde er dramatisch mehr zum „Falken“. Er möchte jetzt bis zum 1. Juli den US-Leitzins bei einem Prozent sehen. Die Fed Future Kontrakte folgten sofort und preisten einen Anstieg des Zielbereichs für den Leitzins auf 1% bis 1,25% ein. Das dürfte im wesentlichen auch die plötzliche Stärke des Dollar bestimmt haben (und damit den Schwächeanfall bei Euro/Dollar). Bis jetzt war man davon ausgegangen, dass es bis zum Jahresende maximal einen Zinsschritt pro FOMC-Sitzung geben würde. JPMorgan hatte vor einigen Tagen auch sieben für möglich gehalten.

Bis Ende Juli finden drei reguläre FOMC-Sitzungen statt. Damit muss es auf einer dieser Treffen einen Zinsschritt von 0,5% geben. Das nährte das Gerücht, dass es in den nächsten Tagen eventuell einen „Not-Zinsschritt“ geben werde. Euro/Dollar ging schließlich mit 1,1340 ins Wochenende.

Zuvor waren die vorläufigen Daten zum Verbrauchersentiment veröffentlicht worden. Sie fielen um 5,5 Punkte auf ein zehn-Jahres-Tief. Im Vorfeld war keine wesentliche Bewegung erwartet worden. Die Inflation drücke auf die Verbraucherlaune, hieß es zur Begründung. Das beeindruckte Euro/Dollar nicht besonders, aber der Dow ließ daraufhin Federn (siehe rote Markierung im obigen Chart). Das mag mit dem in geopolitischer Unsicherheit bevorstehenden Wochenende zu tun haben. Die Disposition der Aktionäre war aber schon vorher eingetrübt, weil der Index seine EMA50 schon wieder aufgegeben hatte, die er erst kurz zuvor überschritten hatte. Und so endete die zurückliegende Woche im Verlust, der S&P verlor 1,8%.

Die Entwicklung der zurückliegenden Tage schlägt sich in einer verschlechterten Makrolage nieder – siehe folgenden Chart. Die Fundamentaldaten (blau) halten sich im Boom-Quadranten, haben sich aber im Vergleich zum 26. Januar klar verschlechtert. Die Sentimentdaten (grün) ziehen die Gesamtlage (roter Kreis) nun knapp in den Abschwungquadranten. Die Rezessions-Wahrscheinlicheit nach Makro-Daten kommt auf eins (von drei), unter Einbeziehung von Finanz-Daten auf zwei (von vier). Nach Auswertung von bis 1980 zurückreichenden Merkmalen der Renditestruktur ist eine Rezession in den nächsten vier bis sechs Quartalen wenig wahrscheinlich. Lediglich der Spread am langen Ende zeigt eine leichte „Auffälligkeit“, er liegt mit 0,31% unter dem Warnpegel von 0,5%.

Mittlerweile gibt es im Vergleich zur Situation vor der „Pandemie“ keinen Sparüberhang mehr, auch die Sparquote ist auf ihren Stand von Anfang 2020 zurückgekehrt. Von dieser Seite her ist also kaum mehr ein Nachfrageimpuls zu erwarten. Und wenn die Aktienkurse weiter nachgeben, fühlen sich die kleinen Aktionäre auch weniger „reich“. Sollten sie ihre Bestände an Aktien reduzieren, werden die Erlöse wohl zunächst einmal nicht in größerem Stil ausgegeben – es sei die Verbraucher erwarten eine dauerhaft steigende Inflation. Anderenfalls – siehe oben! Ich denke, man muss in den nächsten Wochen und Monaten genau beobachten, wie sich die Verbrauchsausgaben im Verhältnis zu Sparquote und Sparsumme entwickeln.

Was hat Gold gemacht, seitdem ich es mir zuletzt hier angesehen habe? Der Goldpreis (in Dollar) ist am Freitag mit einem ordentlichen Sprung über sein in den zurückliegenden sechs Monaten entwickeltes Seitwärtsdreieck gesprungen. Das ist erst einmal bullisch zu werten, zumal auch eine Aufwärtslinie überwunden werden konnte. Es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern, die nächsten Tagen müssen zeigen, ob das hält (Chartquelle).

Mag sein, dass die am Freitag zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder steigenden TBond-Kurse geholfen haben. Die Rendite der 10yr-TNotes ist unter den wichtigen Pegel bei 1,95 gesunken. Sinkende Renditen haben üblicherweise einen stützenden Einfluss auf den Goldpreis.

Real steigen die Renditen allerdings seit der zweiten Hälfte November, seit diesem Zeitpunkt nimmt die Inflationserwartung basierend auf den zehnjährigen nominalen und realen Renditen ab. Sie hatte seinerzeit 2,75% erreicht, das ist Maximum seit Beginn der „Pandemie“. Man muss aber bis vor 2013 zurückgehen, um einen vergleichbaren Wert zu finden.

Vermutlich ist die Inflationserwartung daher kein Motiv für den Ausbruch des Goldpreises, eher sind es die geopolitischen Spannungen, die zum Wochenende hin hoch gekocht sind.

Was das „atypische“ Verhalten des Währungspaars Euro/Dollar angeht, so könnte dies ein Warnzeichen dafür sein, dass Carry-Trade-Kredite in Euro aufgelöst werden. Kann sein, kann nicht sein. Aber die Wahrscheinlichkeit hierfür steigt, wenn erstens im Euroraum steigende Renditen zu erwarten sind, bzw. wenn das Zinsdifferential zwischen USA und Eurozone abnimmt und wenn zweitens die Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der mit solchen Krediten finanzierten Assets steigt. Der erste Punkt mag noch keine unmittelbare Bedeutung haben, aber der zweite Punkt trifft sicherlich zu.

Demzufolge entkoppeln sich die Verläufe von S&P 500 und etwa dem Währungspaar Euro/Dollar. Wie der folgende Chart zeigt, liefen sie seit Jahresbeginn 2021 invertiert zueinander, in besonders ausgeprägtem Maß seit Mitte 2021. Seite Ende November 2021 lockert sich der Zusammenhang, der S&P 500 sinkt, Euro/Dollar läuft flach, bzw. tendiert aufwärts.

Geht man zurück bis Anfang 2018, so hatte die Relation sinkender Euro/Dollar – steigender S&P 500 übergeordnet Bestand bis Ende 2019. Das sind einige wichtige Intermarket-Aspekte, die den Hintergrund bilden. Es ist vielleicht etwas spekulativ, aber eine Erklärung für die Abwärtsbewegung von Euro/Dollar parallel zur Aufwärtsbewegung beim S&P 500 könnte die betändige Aufnahme von Carry-Trade-Krediten in Euro sein. Ab Mai 2020 wurden diese Zug und Zug in der Corona-Unsicherheit mit Lockdowns & Co glatt gestellt. Als sich um die Jahreswende 2020/2021 der Nebel lichtete (auch in Zusammenhang mit dem Wechsel der US-Präsidentschaft), begann das Spiel von neuem.

Beim Stichwort Inflation lohnt auch immer ein Blick auf „Dr. Copper“. Bei Kupfer (hier Kupfer-Index von Goldman Sachs) hatte sich ja wie bei Gold ein Seitwärtsdreieck formiert. Im Kontext der Veröffentlichung des US-CPI kam es zu einem Fehlausbruch über dessen Oberseite, der am Freitag in einer langen Kurskerze nahezu ohne Dochte revisiert wurde (Chartquelle).

Auch das legt zumindest als Momentaufnahme nahe, dass Inflation momentan nicht das ist, was die Akteure an den Finanzmärkten besonders umtreibt. Mag sein, dass auch der kurzfristig erstarkende Dollar den Kupferpreis belastet.

Zusammenfassend ist das beherrschende Thema zwar kurzfristig wohl die Geopolitik. Allerdings hatte diese die Börsen bisher nicht sonderlich daran gehindert, ihr eigenes Spiel zu spielen. Vielleicht ändert sich das jetzt, aber solche Einflüsse haben normalerweise nur eine zeitlich begrenzte Auswirkung (es sei denn, die Welt geht unter – und dann ist auch egal). Wichtiger ist, auf welche Disposition innerhalb der Finanzmärkte solche externen Faktoren treffen.

Und da scheint es mir so zu sein, dass die Inflation aktuell nicht das entscheidende Thema ist, – u.a. eben deshalb, weil die Inflationserwartung seit Ende November rückläufig ist. Wohl aber ist es die Frage der Rendite-/Zinsentwicklung. Zugleich beherrscht seit dieser Zeit auch durch Intermarket-Beziehungen angezeigte Unsicherheit die Aktienmärkte. Die ist in der makroökonomischen Entwicklung wohlbegründet, auch wenn vielleicht eine Rezession noch nicht gleich um die Ecke kommt. Die Erfahrung lehrt, dass die Zentralbanken regelmäßig zu spät dran sind mit dem Gegensteuern gegen eine sich überhitzende Konjunktur, die sie mit ihrem Geldsegen erst richtig angefeuert haben. Dann treffen (zu) schnell steigende Zinsen auf eine erlahmende Konjunktur – und dann ist der nächste „Abschwung“ nicht mehr weit.

Die kurzfristige Markt-Mechanik zeigt weiterhin keine belastbaren Indizien für eine solidere bullische Bewegung bei Aktien. Der Dow und der S&P 500 hatten in den zurückliegenden Tagen ihre EMA50 jeweils nur kurzzeitig überstiegen, parallel dazu hatte der VIX die seinige unterschritten. Die Technik ist insgesamt fragil und lehnt sich jetzt zur bärischen Seite hin.

Der S&P 500 hat am Freitag an seiner EMA200 (4412, leicht steigend) geschlossen. Ich hatte vor einiger Zeit schon auf den Bereich zwischen ~4380 und ~4540 hingewiesen, der für den Index jetzt bedeutsam ist. Er hatte zweimal verucht, nach oben weg zu kommen, das ist beide Male an der EMA50 gescheitert. Jetzt dürfte eher die Unterseite getestet werden. Sollte diese nicht halten, käme sofort der Pegel bei 4300 in den Fokus, der am 21. Januar erreicht wurde und danach einige Tage lang unter Beschuss kam. Hält die Zone nicht, würde sich der S&P 500 schnell bei ~4060 wiederfinden (Chartquelle).

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