Inflation und die Fed in der Zwickmühle

Die Fed hat bisher stets behauptet, die Inflation, die wir gerade erleben mit einem jährlichen Zuwachs des US-CPIs von 5,4% im September, sei nur vorrübergehend. Und sie würde eine Teuerung über ihrer Zielmarke von zwei Prozent eine zeitlang tolerieren, weil der Arbeitsmarkt noch nicht dort ist, wo er ihrer Meinung nach hin soll.

Die Situation am US-Arbeitsmarkt verdient eine gesonderte Betrachtung. Nur so viel: Die Arbeitslosenquote liegt bei 4,8%. Über sechs Millionen Stellen sind unbesetzt, über 7,5 Millionen sind offiziell ohne Job. Weitere knapp sechs Millionen ohne Job erscheinen nicht in der Statistik, suchen aber Arbeit. Die Wirtschaft kommt aus einer (sehr kurzen) Rezession, aber in den zurückliegenden 12 Monaten haben 15 Millionen ihren Job verlassen. In einer Neuanstellung verdienen diejenigen, die zuvor gekündigt hatten, im Schnitt jetzt 5,4% mehr. Der Verlauf der Kündigungen ist in der Tat ungewöhnlich, wie der folgende Chart zeigt (Chartquelle):

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Die Wirtschaft „boomt“, der Arbeitsmarkt läuft in Anbetracht der hohen Zahl offener Stellen heiß. Wenn in einer solchen Situation eine nachhaltige Inflation auftritt, sah sich die Fed in der Vergangenheit stets gezwungen (in der Regel viel zu spät), die Leitzinsen zu erhöhen, um auf die geldpolitische Bremse zu treten. Gleichzeitig hängt die Stabilität des Finanzwesens an monetären Interventionen und das Weiterleben einer rekordhohen Anzahl von nahezu bankrotten Unternehmen hängt von ultraniedrigen Zinsen für neue Kredite ab.

Der Präsident der Fed von St. Louis sieht jeweils eine 50%-ige Wahrscheinlichkeit für beide Inflationsszenarien, temporär, bzw. dauerhaft.

Wenn die Nachfrage hoch bleibt, die Versorgungsketten und damit die Produktion aber fragil bleibt, wird die Inflation hoch bleiben. UND: In einer solchen Situation werden die Unternehmen wenig bis nichts in neue Anlagen investieren, um die Produktion kostengünstiger zu machen (was perspektivisch die End-Preise wieder unter Druck bringen würde). Diese Gemengelage ist das Rezept für Stagflation.

Wenn Stagflation droht, ist die Fed in einer besonderen Zwickmühle. Dann geht es nicht nur einfach darum, eine überschäumende Wirtschaft zu drosseln. Hebt sie in einer Situation wie der aktuellen die Leitzinsen an (verknappt die Geldversorgung), dämpft sie damit die Investitionsbereitschaft zusätzlich. Und bringt, nicht zu vergessen, die Finanzseite der Wirtschaft in Bedrängnis. In besondere Bedrängnis, weil die maroden Unternehmen dann noch weniger Möglichkeiten haben, über billige Investititionen ihrem „beinahe-Bankrott“ zu entkommen.

Der Spread zwischen der effektiven Fed Funds Rate, aktuell bei 0,08%, und der Rendite der zweijährigen TNotes lag Anfang September noch bei 0,13% und damit an der Obergrenze eines seit Mai 2020 etablieren Bereichs. Jetzt liegt er bei 0,315%. Der Spread gilt als recht zuverlässiger Indikator für die zukünftigen Leitzinsen. Die Fed hat für ihre Leitzinsen gegenwärtig einen Bereich von 0 bis 0,25% festgelegt. Der Spread liegt klar darüber und macht aus Sicht der Finanzmarkt-Akteure zumindest einen Zinsschritt von 0,25% wahrscheinlich. Die Differenz der Renditen zwischen 30yr TBonds und 10yr TNotes flacht seit Februar ab von 0,85% auf 0,47% und erreicht damit einen Pegel, der vor wirtschaftlicher Eintrübung warnt.

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Die Rendite der 10yr TNotes liegt aktuell über einer 30-jährigen Abwärtslinie – ein seltenes Ereignis. Das war Mitte 2007 kurzzeitig der Fall, sowie zwischen Anfang 2018 und Mitte 2019. Zwischen Mitte März und Juni 2021 fand ebenfalls ein Ausbruch statt, dessen Größenordnung konnte man gerade noch als Fehlausbruch einstufen – oder als ersten Versuch einer nachhaltigeren Bewegung. Denn aktuell liegt wieder ein Ausbruch in etwa gleicher Größenordnung vor (Wochenchart).

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In der Episode zwischen Anfang 2018 und Mitte 2019 erhöhte die Fed die Leitzinsen mit einer Frequenz von vier kleinen Schritten pro Jahr, gleichzeitig verkürzte sie ihre Bilanz um 500 Mrd. Dollar. Mit anderen Worten: Die Fed hatte seinerzeit zumindest etwas "Boden unter den Füßen". Aktuell liegen die Leitzinsen bei Null und die Fed verlängert ihre Bilanz um einen Betrag von mehr als 1,4 Bill. Dollar pro Jahr – eine völlig andere Situation.

Was soll die Fed tun? Die Leitzinsen auf unter Null senken und/oder noch mehr Liquidität erzeugen? Wenn diese Liquidität zu weiter steigender Inflation führt, wird die Situation noch schlimmer, weil es die Renditen schnell weiter steigen lässt. Gleichzeitig will die Biden-Administration mit Infrastrukturausgaben weitere Schulden machen. Dazu müssen aber die Zinsen niedrig bleiben, sonst kommt eine Schuldenkrise schneller als gedacht.

Was meiner Meinung nach geschieht: Die Fed wird über Umwege neue Staatsschulden in ihre Bilanz nehmen und gleichzeitig über gezielte Käufe, Yield Curve Control genannt, in den Markt eingreifen, um die Rendite der 10yr TNotes zu deckeln. Mit anderen Worten: War der Zins der 10yr-TNotes als das globale Maß für eine risikofreie Verzinsung schon vorher manipuliert, so wird jetzt erst recht weiter daran herum gedreht.

Mit weiteren Folgen: Die gesamte Weltwirtschaft wird noch mehr abhängig von frischer Liquidität. Und da in einer solchen auf Kredit aufgebauten Wirtschaft der Zins eine zentrale Funktion hat, sind mit einem manipulierten Zins auch alle anderen Preise manipuliert (siehe etwa hier und hier!). Sie kommen nicht mehr wie bei einem freien Spiel der Marktkräfte durch Ausgleich von Angebot und Nachfrage zustande. Die Konsequenz: Je mehr der Zins manipuliert wird, je weniger ist damit die aktuelle Realwirtschaft in der Lage, die Lebensgrundlagen der Gesellschaft effizient zu sichern.

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