S&P 500 – das alte Spiel?

Der S&P 500 verzeichnet jetzt sechs Gewinn-Monate in Folge. In dieser Zeit gab es sechs Rücksetzer, die allesamt an der EMA50 Halt fanden und ziemlich zügig wieder gekauft wurden. Der Index bewegt sich jetzt 304 Tage über der EMA250 (EMA50w), die Serie zuvor hatte 271 Tage Bestand.

Am zurückliegenden Freitag ist der Index erneut ein Stück weit eingeknickt. Als Anlass wird angegeben, dass die Prognosen großer Tech-Unternehmen hinsichtlich ihrer Umsatzentwicklung im zweiten Halbjahr niedriger ausfallen als erwartet. Außerdem dürften Gewinnmitnahmen zum Halbjahresschluss eine gewisse Rolle gespielt haben. Und schließlich endet jetzt die Periode, in der in den USA „Pandemie“-bedingt die Obergrenze der Verschuldung ausgesetzt war. Das dürfte den weiteren Pump-Plänen der Regierung republikanische Steine in den Weg legen.

Schließlich wird angemerkt, dass die Delta-Variante für Ungemach sorgen könnte. Sie infiziert zunehmend auch Geimpfte. Abgesehen davon ähnelt der Verlauf der „neuen Fälle“ dem von vorigen Jahr, was angesichts der aufgelaufenen hohen Aktiengewinne die Neigung zu Gewinnmitnahmen fördern dürfte (Chartquelle).

Die erste Schätzung des US-BIP für Q2 ist etwas schwächer ausgefallen als erwartet. Die Sparquote ist im Juni etwas zurückgegangen, die Konsumausgaben sind leicht angestiegen, die verfügbaren Einkommen sinken den dritten Monat in Folge, der von der Fed besonders beachtete PCE-Preis-Indikator (Kernrate) ist mit 3,54% im Jahresvergleich deutlich angesprungen. Die Frage, ob die zuletzt gesehene Inflationsbewegung vorrübergehend ist, wie der Fed-Chef am zurückliegenden Mittwoch erneut verkündete, wird die Akteure noch eine zeitlang beschäftigen.

Wiederholt sich das Spiel, dass jeder „Dip“ zügig gekauft wird?

Der Dow Jones Transport Index läuft seit Mitte Juni divergent zum Dow Jones Industrial Average (dem „Dow“). Diese Nicht-Bestätigung des Dow ist laut Dow-Theorie ein Warnzeichen. Phasen solcher Divergenzen traten ab Mitte 2019 vermehrt auf. Seit Anfang November 2019 nahm die Divergenz zwischen beiden Indices deutlich zu, sie endete in der zweiten Hälfte Februar 2020.

Ein weiteres Schwächezeichen liefert die Auswertung einiger technischer Indikatoren (Stochastik, MACD, RSI) in verschiedenen Aktienmärkten. Diese “technische Qualität” (TQual) nimmt seit über einem Jahr im übergeordneten Trend ab (gelbe Linie). Zugleich hat sich die längerfristige Volumenstruktur seit Mitte Juni deutlich verschlechtert.

Ein weiteres Warnzeichen kommt von der Gegenüberstellung der Kursperformance von SmallCap- und LargeCap-ETFs. SmallCaps zeigen seit Anfang Juli relative Schwäche im Vergleich zu LargeCaps. Das ist oft ein frühes Zeichen nachlassender Risikobereitschaft. Man bevorzugt dann LargeCaps, weil sie liquider sind und sich in schwächeren Marktphasen kursschonender verkaufen lassen.

Noch bestätigt allerdings die relative Performance von breitem Markt und Dividenden-Aktien einen Wendepunkt nicht – als defensiv angesehene Dividenden-Titel zeigen weiterhin eine relativ schlechtere Kursentwicklung. Erst wenn sowohl LargeCaps als auch Dividenden-Werte eine relativ bessere Entwicklung als ihre jeweiligen Gegenparts zeigen, ist das Bild einer Risikoscheu komplett.

Der Indikator von SmallCaps/LargeCaps warnte ab dem 4. Februar 2020 vor adverser Entwicklung, derjenige hinsichtlich breitem Markt/Dividendenaktien folgte am 17. März 2020. Der letztgenannte Indikator gab am 20. April 2020 vorläufige und Mitte Juni 2020 nachhaltige Entwarnung.

Wie hoch ist also die Wahrscheinlichkeit, dass auch der nächste “Dip” im S&P 500 wieder zügig gekauft wird?

Die Bank of America hat festgestellt, die mittlere Erholungszeit nach ein-Tages-Einbrüchen im S&P 500 aktuell so kurz ist wie noch nie. Häufig vergehen nur wenige Tage zwischen einem Einbruch und einem neuen Allzeithoch (h/t Jeroen Blokland).

Wir befinden uns in der üblicherweise etwas unruhigen, unbestimmten Sommer-Phase im Aktiengeschäft, in der sich kurzfristige Fehlsignale häufen. Diese Phase endet üblicherweise Anfang September mit dem “Labour Day” in den USA. Oft dreht sich dann der Trend der Sommermonate und es ist mit einer Umkehrung der Kursentwicklung zu rechnen.

Die wirtschaftliche Erholung scheint nicht nur in den USA ihre höchste Zuwachsrate “nach Corona” erreicht zuhaben. Asiatische Märkte haben mittlerweile nach MSCI Asia ex Japan ihre Jahresgewinne aufgegeben. Die Gewinnentwicklung scheint ebenfalls im zweiten Quartal ihre Spitze “nach Corona” erreicht zu haben. Für die USA wird im S&P 500 im Jahresvergleich ein Gewinnzuwachs von 89,8% erwartet. Darin ist natürlich ein starker Basiseffekt enthalten. Deutlich gestiegene Einkaufskosten und Liefrengpässe dürften die Aussichten zusätzlich eintrüben.

Weitere Superlativen gefällig? Amazon machte in vier Monaten mehr Gewinn als die Allianz im ganzen Jahr. Alphabet, der Mutterkonzern von Google, setzte mit dem Verkauf von Anzeigen 2020 knapp 147 Mrd. Dollar um – mehr als das Doppelte des Gesamtumsatzes der Medien- und Unterhaltungsindustrie der Bundesrepublik im Jahr 2019. Apple verdiente in den zwölf Wochen von April bis Juni 2021 mehr als Bertelsmann im ganzen Jahr umsetzen wird. Allein die fünf größten Technologieunternehmen der USA sind heute fünfmal so viel wert wie der gesamte deutsche Aktienindex. Mit dem Geld der Börsenbewertung von Apple könnte man 16 mal die Volkswagen AG aufkaufen (nach Steingarts Morning Briefing).

Durch die Unterstützungszahlungen der Regierung Biden ab März dürften nach Schätzungen der Deutschen Bank 170 Mrd. Dollar zusätzlich an die Börse fließen (Quelle). Im Juni haben Individualinvestoren netto für 28 Mrd. Dollar Aktien und ETFs gekauft, das ist der höchste Zufluss seit zumindest 2014 (Quelle). Wenn von Individualinvestoren seit April jeden Monat ein ähnlich hoher Betrag in Aktien und ETFs geflossen ist, würde die von der Deutschen Bank veranschlagte Summe noch für drei, vier Monate reichen. Das gesamte Aktienvermögen der US-Bürger wird übrigens auf gut 37 Bill. Dollar geschätzt. (Nach „Tickende Zeitbombe an den Aktienmärkten…“.)

Das Shiller-KGV kommt auf über 38, nur Anfang 2000 war es mit knapp 45 noch höher. Bei solch elaborierter Bewertung reichen oft nur kleine Anlässe, um Gewinne vom Tisch zu nehmen. Und Anlässe gibt es reichlich, allem voran die Topp-Bildung beim Wachstum von BIP und Gewinnen. Liquidität an der Seitenlinie allerdings und die unbedingte Bereitschaft der Zentralbanken, insbesondere der Fed, herbeizuspringen, wenn Ungemach droht, sind Punkte, auf die auch viele professionelle Akteure setzen.

Vermutlich ist die Zeit noch nicht gekommen, sich mit Verve auf die Bärenseite zu schlagen. Und vermutlich wird es irgendein völlig unerwartetes Ereignis sein, das als Katalysator für eine nachhaltigere Korrekturbewegung dient. Charttechnisch von Bedeutung sind im S&P 500 die EMA50 und die gleichauf liegende Unterseite des aktuellen Aufwärtskanals. Darunter kommt die EMA200 bei knapp 4000 ins Spiel Chartquelle).

Nachtrag:
(3.8.21) Der folgende Chart von Kailash Capital (h/t Jeroen Blokland) zeigt den Verlauf der Marktkapitalisierung von Aktiengesellschaften mit einem Preis/Umsatz-Verhältnis über 20. Sie steht jetzt bei 4,5 Bill. Dollar, in der dotcom-Blase waren 3,6 Bill Dollar erreicht worden. Das Preis/Umsatz-Verhältnis für US-Aktien ingesamt kommt auf 3,1.

Ein weiterer Mosaikstein im zunehmend Blasen-artigen Bild an den Aktienmärkten.

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