Evolution, Wettbewerb, Tod und Corona

Der Begriff der Evolution kennzeichnet einen Prozess in der Natur, bei dem gewisse Arten überleben und andere absterben. Es geht dabei nicht so sehr darum, dass die Arten wie in einem tödlichem „Wettbewerb“ zueinander stehen, in dem die eine Art auf Kosten der anderen überleben will.

Der Drang, zu überleben, ist die Triebkraft der Evolution, sie ist ihre notwendige Bedingung. Dabei stehen alle Arten gemeinsam vor der Herausforderung, sich fortlaufend an von ihnen nicht beeinflussbare, sich permanent verändernde äußere Bedingungen anzupassen. Die hinreichende Bedingung für das Funktionieren der Evolution ist ein großer „Vorrat an Varianten“ in der Gesamtheit der jeweiligen Art und in der Gesamtheit aller Arten, aus dem sich per „Trial and Error“ die zielführenden durchsetzen.

Die Reduktion der Darwinschen Erkenntnis über den Gang der Evolution auf „Survival of the fittest“ ist denn auch aus folgendem Grund auf dem Holzweg: Würde die Evolution nämlich nur das Überleben der Besten sichern, würde die Vielfalt immer weiter eingeschränkt. So würde sich die Evolution auf Dauer selbst „das Wasser abgraben“.

Das Kennzeichen des Gangs der Evolution, das evolutionäre Prinzip, ist vielmehr die Eliminierung derjenigen Arten, die sich am schlechtesten an veränderte Bedingungen anpassen – wenn Sie so wollen „Doom of the unfittest“. Und es folgt auch zwingend: Der Tod ist in der Evolution geradezu eine Voraussetzung für ihr Funktionieren.

Evolutionäre Prozesse bestimmen auch die Entwicklung menschlicher Gesellschaften. Hier spielt neben der erforderlichen Vielfalt auf biologischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene die Vielfalt in kulturellen Aspekten eine wesentliche Rolle. Kulturelle Aspekte, ich subsumiere hier auch die gesellschaftlichen Erkenntnisse, sind ein wesentliches Unterscheidungskriterium zu anderen Formen von Gruppenbildungen, wie etwa Herden, Horden, Rudel und Schwärme im Tierreich. Aus der kulturellen Vielfalt entsteht ein gesellschaftlicher Wille, der wiederum schicksalhafte Bedeutung für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft hat.

Die entscheidende wirtschaftliche Bedingung für die langfristige Sicherung der Existenz eines menschlichen Gemeinwesens ist die effiziente, schnelle Abstimmung von Bedarf (Nachfrage) und Angebot. Dabei muss das Angebot zu den jeweils niedrigsten (volkswirtschaftlichen) Kosten bereit gestellt werden. Das bedeutet insbesondere auch den sparsamen Umgang mit nicht kurzfristig reproduzierbaren Ressourcen.

Will man das Prinzip der Evolution auf den Bereich des gesellschaftlichen Wirtschaftens übertragen, müssen Bedingungen existieren, die die Entstehung und Bewahrung von Vielfalt sicherstellen. Nur aus einem ausreichend großen Vorrat an Möglichkeiten kann dann immer wieder die jeweilig optimale zum Zuge kommen.

Der für eine solch komplexe Aufgabe der Abstimmung von gesellschaftlichem Angebot und Nachfrage geeignete Mechanismus ist aus meiner Sicht der freie Wettbewerb. Der freie Markt ist der Ort, wo der evolutionäre Prozess in der Wirtschaft eines entwickelten menschlichen Gemeinwesens stattfindet.

Im Wettbewerbsprozess überleben diejenigen Anbieter, die mit den von ihnen angebotenen Gütern die Nachfrage zu geringst möglichen Preisen befriedigen und dabei kostengünstiger arbeiten als andere. Dadurch sind sie in der Lage, ihren Marktanteil auszuweiten. Das ist auch so lange im Sinne eines gesamtgesellschaftlich gesehen optimalen Einsatzes der Produktionsfaktoren, so lange sich keine oligo-, bzw. monopolistische Strukturen herausbilden. Eine sich daraus ergebende Marktmacht entzieht dem wirtschaftlichen Auswahl- und Steuerungsmechanismus „Markt“ nach und nach die Grundlage.

Marx, Schumpeter und andere haben die inhärente Tendenz im Kapitalismus zu solchen Strukturen nachgewiesen. „Je ein Kapitalist schlägt viele tot,“ so hat Marx es formuliert. Mit der Herausbildung von immer wenigeren und immer größeren Anbietern geht eine abnehmende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auf der Angebotsseite einher. Zudem nutzen diese ihre Marktmacht, um die Preise hoch zu halten.

Die gesamtwirtschaftliche Produktion entfernt sich so von ihrem Optimum in dem doppelten Sinne des günstigsten Marktpreises und des optimalen Einsatzes der Produktionsfaktoren. (Dies müsste durch einen festen Ordnungsrahmen (im Unterschied zu permanenten operativen Eingriffen) verhindert werden, der nicht zuletzt im Zuge des Neo-Liberalismus nahezu vollständig beseitigt wurde.)

Auf der Unternehmensseite entstehen so zunehmend Dinosaurier, die immer weniger in der Lage sind, auf veränderte Rahmenbedingungen schnell und konstruktiv zu reagieren. An die Entwicklung etwa von Innovationen schlecht angepasste Unternehmen verschwinden aber nicht mehr, das Schumpetersche Prinzip der schöpferischen Zerstörung als Konsequenz aus dem Wettbewerbsprozess gerät außer Kraft. Diese Entwicklung wurde mit der Etablierung der Greenspanschen Geldpolitik Ende der 1980er Jahre noch begünstigt, jede Rezession mit ihrer bereinigenden Funktion wurde seitdem in Geldflut ertränkt.

Im heutigen Stadium der Herausbildung von oligo- und monopolistischen Strukturen manifestieren sich auf der wirtschaftlichen Ebene drei wesentliche Unterschiede zur Evolution in der Natur:

  • Das Prinzip des Überlebens der Größsten wird beherrschend.
  • Damit einher geht abnehmende Vielfalt.
  • In der Vermeidung der Schumpeterschen schöpferischen Zerstörung wird die produktive Funktion des Todes negiert.

Diese Merkmale kennzeichnen den aktuellen, zur Evolution in der Natur konträren Zustand unseres Wirtschaftssystems. Damit ist es auf Dauer nicht lebensfähig. Es gibt zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren:

(1) Man kann akzeptieren, dass es Unsicherheiten, offene Fragen und Risiken in der künftigen Entwicklung gibt. Und man vertraut darauf, dass eine offene Gesellschaft als Ganzes flexibel genug ist, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Man bejaht aktiv die wichtige Rolle der Vielfalt und man nimmt den Tod (von Unternehmen) nicht als grundsätzlich zu vermeidendes Risiko, sondern als schöpferische Zerstörung, als gesellschaftliche Chance für eine lebendige Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Grundlagen des Gemeinwesens.

(2) Wir beschreiten jedoch als Gesellschaft den zweiten Weg: Das Vielfältige, Lebendige, Kreative, Innovative, Produktive wird zusehends unterdrückt – alles Lebendige wird in seiner Ungewissheit zunehmend als Gefahr angesehen. Es wird versucht, die Zukunft „berechenbar“ zu machen. Dabei werden Modelle oder Sichtweisen zugrunde gelegt, die der großen Bandbreite an Möglichkeiten nicht gerecht werden. Sie sind starr und mechanistisch, „ein-dimensional“. Mit Tunnelblick wird eine Richtung verfolgt und durch allumfassendes Reglement abgesichert. Immer stärkere bürokratische operative Eingriffe lähmen das Geschehen immer mehr. Der „Transhumanismus“ als die extreme Form dieser Einstellung postuliert die Unzulänglichkeit des Menschen, der mit technischen Möglichkeiten entgegengewirkt werden soll. Das ist genau das, was Schwab & Co vom WEF propagieren und dabei allumfassende Kontrolle meinen (siehe hier, hier und hier!).

Die Herrschenden dieser Gesellschaft und ihre Lakaien wittern überall Gefahren. Man will den Status quo mit aller Macht erhalten. Der Kontrollwahn ist psychologisch gesehen letztendlich Ausdruck der Angst vor einer unerwünschten Entwicklung, im Endeffekt vor dem Tod. Wilheim Reich sieht im Kontrollwahn eine tief sitzende Angst vor Hingabe (an das Leben). Wo die Angst vorherrscht, bleibt die freie Entfaltung auf der Strecke, erstarrt das Leben. Je stärker der Kontrollwahn, die Negation alles Lebendigen, in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Klimas rückt, je mehr ist das ein Anzeichen für eine evolutionär anfällige, schwache Gesellschaft. Die Gesellschaft gerät in einen Zustand der kollektiven Zwangsneurose – genau das, was wir gerade mit Corona erleben.

Das alles begünstigt Leute in Machtpositionen, die selbst lebensfeindlich sind, die moderne Pest greift um sich. Der Teufelskreis nimmt seinen Lauf. Klaus Theweleit bezeichnete 1980 den „Kampf gegen alles, was Lust und Genuss ist“ als „das Kernstück der faschistischen Propaganda.“

Das Agieren der Regierungen im Zeitalter von Corona führt zu beschleunigter Konzentration auf der Angebotsseite, kleine und mittlere Unternehmen kommen in immer stärkere Bedrängnis. Der Abbau der demokratischen Rechte engt letztlich auch die Vielfalt der Gedanken, Ideen, sowie wissenschaftlichen Sichtweisen ein und ermöglicht die soziale Isolation der Bürger. Mit der Alternative „Gesundheit oder Freiheit“ wird eine Gesundheitsdiktatur errichtet, in der die Gesundheit als das höchste gesellschaftliche Ziel verkauft wird (dabei sollte sie Mittel zum Zweck eines besseren, freieren Lebens sein). Es wird unterstellt, dass jeder krank/ansteckend ist, es sei denn, er beweist mit Tests oder Impfung das Gegenteil. So wird die Voraussetzung für beliebige Ausgrenzung geschaffen. Mit ihrer durch die „Corona-Maßnahmen“ drastisch gestiegenen Verschuldung geraten die Nationalstaaten in immer stärkere Abhängigkeiten von den Kreditgebern, den großen Akteuren im Finanzwesen. Das stellt sicher, dass die Politik nach deren Pfeife tanzt.

Von Wilhelm Reich stammt die schöne Bemerkung: „Das Lebendige beansprucht nicht Macht, sondern Geltung im menschlichen Leben. Es ruht auf den drei Pfeilern der Liebe, der Arbeit und des Wissens.“

[Herzlichen Dank an K.H. für seine Anregungen und seine weiterführenden Gedanken, auf die ich noch zurückkomme]

Ergänzung:
Lesenswert hierzu auch von Rudolph Bauer „Vernunft in Quarantäne. Der Lockdown als Zivilisationsbruch und Politikversagen“, pad-Verlag, Bergkamen 2021, ISBN 978-3-88515-326-9, 88 Seiten – eine Besprechung gibt es hier.

Nachtrag:
(14.8.21) Nassim Taleb hat sich in seinem Buch "Antifragile: Things that gain from disorder” mit dem Thema "Zerbrechlichkeit" beschäftigt. Er arbeitet drei Kernpunkte heraus:

  • Zerbrechliche Systeme gehen unter Stress kaputt, antifragile werden besser
  • Damit ein System antifragil sein kann, müssen die meisten seiner Teile zerbrechlich sein
  • Antifragile Systeme funktionieren, weil sie zusätzliche Kapazitäten aufbauen, wenn sie unter Stress geraten

Der Prozess der natürlichen Evolution ist ein gutes Beispiel für "antifragile Systeme".

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