Stadtfeld: Gemeinsam den Weg aus dem Käfig finden

Martin Stadtfeld ist ein begnadeter Pianist. Ich erinnere mich noch gut an einen Auftritt von ihm in Marburg, es muss um 2010 gewesen sein. Er spielte alle 24 Stücke von Bachs „Das Wohltemperierte Klavier“. Auswendig, in entrückter Konzentration.

Stadtfeld hat bei „Cicero“ im zeitlichen Umfeld der #allesdichtmachen-Inititative die Frage aufgeworfen, ob die Maßnahmen gegen die Pandemie mehr Leid als Nutzen brachten. Seine Antwort: Die findet jeder für sich. Wer aber meint, das Zählen der Toten nur dieser einzigen Krankheit zum sich selbst legitimierenden Maßstab für Bekämpfungsmaßnahmen gegen eben diese Krankheit zu machen, unterstellt, dass solche Maßnahmen immer einen Nutzen haben – je repressiver sie sind, desto nützlicher.

Auf diese Frage gibt es viele Antworten, schreibt Stadtfeld. Aber eines darf nicht geschehen, dass ein solcher „Diskurs vom hohlen Pathos machtberauschter Instagram-Kerzenhalterpolitiker hinweggefegt wird.“ Zwar kämen die Opfer der „Kollateralschäden“ in der Berichterstattung vor, jedoch eher so, wie über Naturkatastrophen berichtet wird. Auch das mit der Kultur sei irgendwie schlimm…

Aber dabei sind es doch politische Maßnahmen, die für die Schäden an der Zukunft und die Zerstörung von Existenzen verantwortlich sind, so Stadtfeld. „Selbst das wäre im Prinzip in Ordnung, wenn dem ein nachvollziehbarer Abwägungsprozess zugrunde liegen würde. Doch genau diese, andere Sichtweisen in die Entscheidungsfindung einbeziehende Gesamtschau fehlt.“ Letztlich entscheide immer der kalte Blick der Virologen, Physiker und Modellierer aus der „Zero-Covid“-Fraktion. Eine Denkschule mit gleichsam religiösen Zügen, die vom gesunden vielfältigen Miteinander einer Gemeinschaft nichts weiß oder wissen will, so Stadtfeld.

Man könne zwar noch über Sinn und Unsinn einzelner Maßnahmen streiten, über Verhältnismäßigkeit, über Konzepte, die Öffnungen ermöglichen sollten. Aber es gehe ihm, Stadtfeld, dabei wie Rilkes Panther, der sich von tausend Stäben umgeben wähnt, und hinter tausend Stäben keine Welt. Wir dürfen darüber debattieren, auf welcher Seite des Käfigs wir künftig wie leben wollen, aber das Ausbrechen aus demselben ist keine Option mehr.

Irgendwann wird uns eine Massenveranstaltung ohne gesundheitliche Sicherheits-Vorkehrungen fast wie eine fahrlässige Tötung vorkommen, schreibt Stadtfeld. Das typisch europäisch-russische Element der Spontaneität von Entscheidung und Empfindungshaftem wird zerstört. Oft sind es aber doch die spontanen Entschlüsse und Gefühlserlebnisse, die das Leben ausmachen. Manchmal sind sie sogar entscheidend – das dürften viele Menschen schon erlebt haben.

Stadtfeld macht die Selbstverständlichkeit sprachlos, mit der Ältere inzwischen sagen: Welch ein Glück, dass ich bessere Zeiten erlebt habe – in der heutigen möchte ich nicht mehr jung sein. Doch eine wahrhaftige Begegnung mit unverhülltem Antlitz sollte das Recht jedes jungen Mensch sein.

Wer aber all das grundsätzlich kritisiert, wer sich sorgt um die europäisch liberale Geisteshaltung, gilt als Leugner, wird als rechts bezeichnet, auch als Nazi. Aber, fragt Stadtfeld, als was bezeichnen wir dann jemanden, der alles Schöne, Spontane, Verrückte hasst, weil es seiner Lebenswirklichkeit widerspricht und ihm unkontrollierbar erscheint?

Stadtfeld zum Schluss: „Es liegt in unserer Hand, der Aufhetzung zu widerstehen und auf unsere Worte zu achten. Worte, die sonst bald nichts mehr wert sind. Vielleicht finden wir dann auch gemeinsam den Weg aus dem Käfig.“

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