Aktien – wann stoppt die Musik?

Wir befinden uns mit der Kursentwicklung von Aktien in einer Blase von epischem Ausmaß. Das gilt für ihre Länge, für ihre Größe und für ihre Wachstumsgeschwindigkeit. Nachfolgend bringe ich eine freie Übersetzung von Jeremy Granthams Artikel „Waiting for the Last Dance“.

Jeremy Grantham, Mitgründer von GMO, ist mehr als 50 Jahre im Finanzgeschäft unterwegs und hat in dieser Zeit vier herausragende Phasen im Investment-Geschäft erlebt. Er nennt die Japan-Blase im Jahre 1989, die Tech-Blase von 2000, die Hypothekenkrise von 2008 und … die aktuelle Blase als Endpunkt des 2009 gestarteten Bull-Runs. Mehr noch, Grantham reiht die gegenwärtige Entwicklung mit ihrer extremen Überbewertung, ihrer explosiven Kursentwicklung und ihrem hysterisch-spekulativen Investorverhalten ein in die Riege der größten Blasen der Finanzgeschichte, vergleicht sie mit der Südsee-Blase von 1720, mit 1929 und mit 2000. (Ich hatte mich mit historischen Asset-Blasen hier beschäftigt.)

Grantham schreibt, die gegenwärtige Blase wird beizeiten platzen, egal wie sehr die Fed auch versucht, sie zu erhalten. Das eigentliche Problem für Substanz-orientierte Asset-Manager liegt in großen, über Jahre hinweg andauernden Bullenmärkten. Diese können viele Jahre über dem fairen Wert liegen, sogar zwei, drei oder vier Jahre weit darüber und so die Geduld eines Anlegers strapazieren. Wenn die Preise sehr schnell steigen, typischerweise gegen Ende eines Bullenmarktes, folgt auf Ungeduld Angst, Neid und Hass. Es gibt nichts irritierenderes als die Nachbarn reich werden sehen, so Grantham.

Grantham merkt selbstkritisch an, dass er in der Japan-Blase drei Jahre zu früh ausgestiegen ist. Damals notierte das KGV bei 40 nach einem Allzeithoch von 25. Als die Blase schließlich platzte, stand es bei 65. Ähnlich war es Ende 1997, als das KGV im S&P 500 mit 21 seinen vorherigen Höchststand von 1929 überschritt. GMO stieg aus und musste dann zusehen, wie der Markt auf ein KGV von 35 stieg.

Das einzige wirklich verlässliche Merkmal von späten Phasen der großen Preis-Blasen ist ein verrücktes Anlegerverhalten, vor allem von Seiten der kleinen Anleger. In den ersten zehn Jahren dieses Bullenmarktes, dem längsten in der Geschichte, fehlte eine solche wilde Spekulation. Aber jetzt haben wir sie – in Rekord-verdächtiger Art.

Grantham greift sich Tesla heraus. Die Marktkapitalisierung von Tesla liegt jetzt bei über 600 Mrd. Dollar, mehr als 1,25 Mill. Dollar je verkauftem Auto pro Jahr. GM kommt auf 9.000 Dollar. Man könnte das vielleicht als Einzelfall abtun, aber das ist es nicht. Im großen Ganzen sieht es noch schlimmer aus.

Der "Buffett-Indikator", die gesamte Börsenkapitalisierung im Verhältnis zum BIP, hat seinen Allzeit-Rekord aus dem Jahr 2000 durchbrochen (Chartquelle).

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Im Jahr 2020 gab es 480 Börsengänge (einschließlich unglaublicher 248 SPACs [1] – insgesamt mehr neue Notierungen als die 406 IPOs im Jahr 2000). Es gibt 150 Nicht-Micro-Cap-Unternehmen (Marktkapitalisierung von mehr als 250 Mio. Dollar), die sich in diesem Jahr mehr als verdreifacht haben, dreimal so viele wie in jedem anderen Jahr des vorherigen Jahrzehnts. Das Volumen der Käufe von Call-Optionen auf US-Aktien durch Kleinanleger, die weniger als 10 Kontrakte umfassen, hat sich in 2020 im Vergleich zu 2019 verachtfacht, und 2019 lag bereits weit über dem langfristigen Durchschnitt.

Und vielleicht am beunruhigendsten von allem, wie Grantham schreibt: Nobelpreisträger und Langzeit-Bär Robert Shiller, der die Blasen von 2000 und 2007 korrekt und mutig vorhergesagt hat und einer der wenigen von ihm respektierten Ökonomen ist, sichert sich dieses Mal ab. Er wies kürzlich darauf hin, dass sein legendärer CAPE-Asset-Pricing-Indikator (der nahelegt, dass Aktien nahezu so hoch bewertet sind wie auf dem Höhepunkt der Blase von 2000 – Chartquelle) eine weniger beeindruckende Überbewertung im Vergleich zu Anleihen zeigt. Anleihen sind jedoch im historischen Vergleich noch spektakulärer teuer als Aktien (Anmerkung: Das Anleihen-KGV kommt auf gut 90 – siehe den übernächsten Chart).

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Grantham sieht Aktien seit Sommer in einer beschleunigten Aufwärtsbewegung, genau das also, was man von einer Blase im Spätstadium erwarten sollte. Je weiter sich die Preise vom Trend entfernen, mit zunehmender Geschwindigkeit und mit wachsender spekulativer Inbrunst, desto mehr wird deutlich, dass dies tatsächlich das Spätstadium einer Blase ist.

So sehr dieser Bullenmarkt allen anderen ähnelt, so sehr unterscheidet er sich in einer Hinsicht von allen vorherigen großen Blasen. In früheren Blasen waren akkommodierende monetäre Bedingungen mit wirtschaftlichen Bedingungen kombiniert, die zu der Zeit, ob zu Recht oder zu Unrecht, als nahezu perfekt wahrgenommen wurden. Dabei wurde diese Perfektion in eine unbestimmte Zukunft extrapoliert. Wenn dieser Zustand wirtschaftlicher Exzellenz früherer Blase angehalten hätte, wäre der Markt zurecht zu einem gewaltigen Vielfachen des Buchwertes bewertet gewesen.

Die heutige Wirtschaft aber sieht völlig anders aus: Nur teilweise erholt, möglicherweise vor einem Double-Dip, wahrscheinlich vor einer Verlangsamung und sicherlich vor einem sehr hohen Maß an Unsicherheit. Dennoch ist der Markt heute viel höher bewertet als im Herbst 2019. Damals sah die Wirtschaft gut aus, die Arbeitslosigkeit war auf einem historischen Tiefstand. Heute liegt das KGV des Marktes in den oberen paar Prozent der historischen Spanne, die Wirtschaft aber in den unteren paar Prozent. Dies ist völlig ohne Präzedenzfall und ist vielleicht sogar ein besseres Maß für die Spekulationsintensität als jedes SPAC.

Diesmal verlassen sich die Investoren mehr als in jeder früheren Blase auf akkommodierende monetäre Bedingungen und Realzinsen von Null, die auf unbestimmte Zeit extrapoliert werden. Dies hat theoretisch einen ähnlichen Effekt wie die Annahme eines ewigen wirtschaftlichen Aufschwungs: Man rechtfertigt damit niedrigere Renditen und damit entsprechend höhere Vermögenspreise. Aber weder perfekte wirtschaftliche Bedingungen noch perfekte finanzielle Bedingungen können ewig andauern, und genau da liegt der Haken.

Alle Blasen enden mit der allgemeinen Überzeugung, dass die aktuelle noch nicht enden wird, die hohen Preise also halten, …

… weil 1929 die Wirtschaft in ein „dauerhaftes Hochplateau“ eingemündet war.
… weil Greenspans Fed im Jahr 2000 eine dauerhafte Verbesserung der Produktivität vorhersagte und dem Aktienmarkt Unterstützung zusicherte.
… weil Bernanke 2006 glaubte, dass die US-Hauspreise lediglich eine starke US-Wirtschaft widerspiegeln, und wiederum signalisierte: Gewinnen Sie, so ist das ihre Sache; wenn Sie aber verlieren, können Sie auf die Unterstützung der Fed zählen.
… weil dieses Mal die Zinsen für immer bei Null gehalten werden, in der ultimativen Versicherung des bekannten asymmetrischen Marktrisikos durch die Fed, von dem wir abhängig sind.
weil dieses Mal das Mantra gilt, dass künstlich niedrige Zinsen einen Rückgang der Vermögenspreise verhindern können – für immer!

Fed-Chef Powell behauptet wie seine drei Vorgänger auch, dass die von ihnen aufgeblasenen Vermögenspreise durch den Vermögenseffekt wiederum die Wirtschaft unterstützten. Aber dann kam die Aktienhausse von 2000 und die Immobilienhausse von 2008 mit ihrem jeweils folgenden Anti-Vermögenseffekt. Der kam, als man ihn am wenigsten brauchen konnte und verstärkte die bereits eingetretene Schwäche der Wirtschaft noch.

Moral Hazard konnte den Niedergang der Tech-Blase nicht aufhalten, der NASDAQ fiel um 82%, die Wirtschaft kam in eine Rezession. Im Jahr 2008 kam es über einen Absturz der US-Immobilienpreise zu einem Verlust von über acht Bill. Dollar, eine anschließende Schwäche der Wirtschaft, einen Anstieg der Risikoprämien und einen weltweiten Rückgang der Vermögenspreise. Alle Versprechungen waren am Ende nichts wert, mit einer Ausnahme: Die Fed tat, was sie konnte, um die Scherben aufzusammeln und den Märkten zu helfen, sich auf die nächste Runde steigender Preise einzustellen.

Und hier sind wir wieder und warten auf den letzten Tanz und schließlich darauf, dass die Musik aufhört, so Grantham. Auch das aktuelle Mantra wird sich als Trugschluss herausstellen. Beim Investieren wiederholt sich nichts perfekt, schon gar nicht Investitionsblasen. Jede Form des irrationalen Überschwangs ist anders; man kann nur nach allgemeinen inneren Merkmalen suchen.

Und Grantham weiter: Es fühlt sich an, als befinden wir uns irgendwo zwischen Juli 1999 und Februar 2000. Die beste Schätzung, wie lange diese Blase noch leben kann, ist das späte Frühjahr oder der frühe Sommer – zeitgleich mit der breiten Einführung des COVID-Impfstoffs. Zu diesem Zeitpunkt ist das dringendste Problem der Weltwirtschaft gelöst. Die Marktteilnehmer werden aufatmen, sich umschauen und erkennen, dass die Wirtschaft immer noch in einem schlechten Zustand ist, die Stimulierung in Kürze mit dem Ende der COVID-Krise zurückgefahren wird und die Bewertungen absurd sind.

„Buy the rumors, sell the news“. Aber denken Sie daran, dass das Timing des Platzens von Blasen eine lange Geschichte der Enttäuschungen hat, schreibt Grantham.

Der Hauptgrund, warum das Timing so schwierig ist, liegt darin, dass die großen Bullenmärkte nicht zusammenbrechen, wenn sie mit einem großen unerwarteten Negativereignis konfrontiert werden. Solche Ereignisse neigen dazu, scharfe Abwärtsbewegungen und schnelle Erholungen zu verursachen. Sie sind aber singulär-technisch und gehören nicht zum Auf und Ab der großen Blasen. Die großen Bullenmärkte drehen typischerweise ab, wenn die Marktbedingungen sehr günstig sind, nur subtil weniger günstig als gestern. Das ist der Grund, warum ihr Ende immer verpasst wird.

Noch etwas weist auf das Ende eines Bullmarktes hin: Ein zunehmend feindseligerer Ton in Bezug auf Bären – das ist ein klassischer Vorläufer des ultimativen Bruchs. Ein weiteres messbares, notwendiges Merkmal einer späten Hausse ist eine Beschleunigung der Preisentwicklung in der letzten Etappe. Die US-Indizes sind in nur neun Monaten um 69% (S&P 500) und um 100% (Russell 2000) gestiegen. Und es könnte noch weiter laufen, so Grantham.

Große Anlagegesellschaften können niemals ihr ganzes Gewicht hinter eine bärische Ausrichtung stellen. Deren beste Strategie ist klar und einfach, immer extrem bullisch. Das ist gut fürs Geschäft und intellektuell anspruchslos. Sie kommt den meisten Anlegern entgegen, die Optimismus einer realistischen Einschätzung vorziehen, wie man bei COVID so anschaulich gesehen hat. Warten Sie also nicht darauf, dass die Goldmans und Morgan Stanleys bärisch werden, rät Grantham.

Der heutige Markt weist wie so oft bei Blasenhochs extreme Wert-Disparitäten je nach Assetklasse, Sektoren und Unternehmen auf. Die billigsten umfassen traditionelle Value-Aktien auf der ganzen Welt. Value-Aktien haben ihr relativ schlechtestes Jahrzehnt bis Dezember 2019 hinter sich, gefolgt von dem schlechtesten Jahr 2020, mit einer Differenz zwischen Growth- und Value-Performance von durchschnittlich 20 bis 30 Prozentpunkten für ein Jahr! In ähnlicher Weise befinden sich die Aktien der Schwellenländer an einem ihrer drei mehr oder weniger gleichwertigen, relativen Tiefstände gegenüber den USA der letzten 50 Jahre. Nicht überraschend sieht Grantham in der Überschneidung der beiden Ideen Value und Emerging Chancen für eine profitable Anlage. US-Wachstumsaktien sollte man hingegen meiden.

So weit der Artikel von Grantham.

Kurzer Kommentar zu einzelnen Punkten:

  • Bezüglich Shiller-Cape und Buffett-Indikator sollte man sich nicht an absoluten Werten orientieren, sondern die langen aufwärts gerichteten Trends berücksichtigen. Demzufolge wäre beim Buffett-Indikator erst bei 200 ein mit 2000 vergleichbarer Peak erreicht (aktuell 176,6). Der Spitzenwert des KGV nach Shiller aus 2000 (~45) läge heute bei etwa 50, wenn man mit dem langfristigen Trend korrigiert. Aktuell liegt das CAPE-KGV bei 34,92. Also ist bei beiden noch Luft nach oben…
  • Citi Research hat einen “Euphoria/Panic”-Index, der auf einigen Stimmungsindikatoren aus den Finanzmärkten basiert (h/t John Mauldin). Seit 1987 hat der Markt typischerweise ein Topp markiert, wenn der Index die „Euphorie“-Linie erreicht hat – mit zwei Ausnahmen. Die eine ist der Tech-Boom der Jahrtausendwende, als der Index fast drei Jahre in der Euphorie-Zone zubrachte. Die andere ist aktuell…
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  • Um die Illusion eines ewig anhaltenden Booms bei Aktien aufrecht zu erhalten, werden immer negativere (bis hin zu nominal negativen) Realzinsen und eine möglichst hohe Inflation gebraucht (siehe hier!). Beides zusammen ist auf Dauer schwer vorstellbar, so lange Bargeld dominiert.
  • Die „Greater fool theory“ hält die Kurse so lange oben, so lange die kapitalkräftige Mehrheit glaubt, ihre Assets immer noch teurer verkaufen zu können (an den nächsten Blödmann). Ein wichtiges Kennzeichen ist dafür eine Volumen-seitige Distribution bei zumindest nicht sinkenden Kursen (aktuell sehen wir Akkumulation).
  • Da in US-Regierung und Fed Leute mit Erfahrung, Egoismus, Machtinstinkt usw. sitzen (oder zumindest solche Hintermänner haben…), werden sie aktuell eher früher als später geneigt sein, Aktienkurse fallen zu lassen, wenn der Aufwand zu groß wird, um sie zu halten. Schließlich hat man dann hinsichtlich der nächsten US-Präsidentenwahl noch fast vier Jahre Zeit, um alles wieder aufzupolieren.
Fußnoten:

  1. Special Purpose Acquisition Company, ein Mantel für den Zweck, private Firmen zu übernehmen, um sie so schneller an die Börse zu bringen, als es in einem regulären IPO-Prozess möglich wäre. [↩]

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