Auf die Party folgt der Kater

EZB-Chef Draghi hat am zurückliegenden Dienstag auf einem Notenbankforum in portugiesischen Sintra gesagt, er erwarte für die kommenden Quartale eine anhaltende Wirtschaftsschwäche. Sollte sich der Wirtschaftsausblick dann nicht aufhellen, sei eine zusätzliche Lockerung der Geldpolitik nötig.

Ein noch tieferer Einlagenzinssatz für Banken (aktuell -0,4%) würde die ohnehin schwache Profitabilität der Euro-Banken zusätzlich belasten. Und so betonte Draghi besonders, dass es noch erheblichen Spielraum für Anleihenkäufe durch die Notenbank gibt (und dachte dabei wohl v.a. an diejenigen seines Heimatlandes Italien…). Was Wunder, dass auf die Wiederaufnahme des Anleihenaufprogramms gesetzt wird. Die Renditen von Staatsanleihen sind weltweit im Sinkflug, in einigen Ländern Europas liegen sie auf historischen Tiefs (Chartquelle).

Daraufhin trieb die Hoffnung auf weitere Liquiditätsflut die Aktienkurse aufwärts. Da konnte auch die „Konjunkturprognose Sommer 2019“ des ifo nicht mehr schocken. Darin hieß es, die deutsche Wirtschaft habe sich bereits seit Anfang letzten Jahres merklich abgekühlt, das exportorientierte verarbeitende Gewerbe befinde sich mittlerweile in einer Rezession, lediglich binnenorientierte Branchen, wie auch das Dienstleistungsgewerbe, hielten noch die Konjunkturfahne hoch. Für das laufende Jahr wird mit einer Zunahme des preisbereinigten BIP um 0,6% gerechnet. In dieselbe Kerbe schlug die Meldung hinsichtlich der ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland. Der Wert ist im Juni mit -21,1 Punkten stark eingebrochen, nach -2,1 im Vormonat. Die Konsensschätzung war mit -5,6 deutlich weniger pessimistisch.

Charttechnisch hat Draghi im DAX alles richtig gemacht. Seine Wortmeldung kam zur rechten Zeit und verhinderte, dass sich bärische Ansätze weiter entwickeln konnten. Mit einem Gewinn von zwei Prozent, dem drittbesten Tagesergebnis im laufenden Jahr, sprang er nach der Draghi-Meldung am zurückliegenden Dienstag über den Widerstand bei etwa 12300 Punkten. Der S&P 500 folgte am Nachmittag und stieg nach der Eröffnung um ein Prozent.

Einen Tag später verkündete die Fed, sie werde die Leitzinsen im Bereich von 2,25 bis 2,50% unverändert lassen. Das war auch so erwartet worden. Aber sie deutete künftige Zinssenkungen an und verwies auf Unsicherheiten im wirtschaftlichen Ausblick, sowie zunehmende Spannungen im Handelsstreit mit China. Sie werde in geeigneter Form reagieren und die hereinkommenden Informationen genau analysieren, hieß es. Das war insofern eine Änderung gegenüber früheren Statements, als dass jetzt nicht mehr von „geduldig“ beim Abwägen des künftigen geldpolitischen Kurses die Rede war. Die Fed hatte in den Wochen zuvor schon unter Dauerfeuer von US-Präsident Trump gestanden, der wiederholt zwitscherte, sie habe keine Ahnung, die Zinsen seien viel zu hoch, die Inflation sei „wunderbar“ niedrig.

Die langfristigen Renditen der US-Staatsanleihen zeigen, dass die Fed in ihrer Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung weit hinter dem tatsächlichen Zustand her läuft. Diese signalisieren, dass die kurzfristigen Zinsen gesenkt werden müssten. Das gilt insbesondere, seit die Inflation keinen Auftrieb mehr zeigt. Per Mai kommt die CPI-Inflation auf 1,8%, der von der Fed besonders beachtete PCE-Preis-Indikator (ohne Nahrung und Energie) erreicht im April nur 1,57%.

Ende 2018 hatte die Fed für 2019 noch zumindest zwei Zinserhöhungen ins Auge gefasst und sah für ihr Vorhaben der Bilanzverkürzung kein Ende in Sicht. Jetzt rechnen die Märkte für das laufende Jahr mit bis zu drei Zinssenkungen und die Fed wird per September ihre Bilanz bei dann etwa 3,5 Bill. Dollar einfrieren. Dann seien normalen Bedingungen erreicht, heißt. Was daran normal ist, weiß nur die Fed, vor 2008 lag die Bilanzsumme weit unter einer Billion Dollar.

Wie es um die globale Wirtschaft bestellt ist, wird anhand der Einkaufsmanagerindices im verarbeitenden Gewerbe deutlich. Die von Deutschland und der Eurozone befinden sich bereits im kontraktiven Bereich unterhalb der Schwelle bei 50, die Tendenz bei anderen Ländern weisen in dieselbe Richtung (Chartquelle).

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA wirft seine Schatten voraus. Wenn Trump seine Handelsdrohungen umsetzt, um seine Wähler bei der Stange zu halten, dürfte das die Weltwirtschaftsleistung 2020 laut IWF um mindestens eine halbe Billion Dollar reduzieren. Das wäre nicht einmal ein Prozent. Wenn dabei aber die seit drei Jahrzehnten entwickelten und eingefahrenen globalen Lieferketten reißen, wird es bei dem zunächst einmal relativ geringen Betrag nicht bleiben.

Gegenwärtig setzen die großen Anleger an den Finanzmärkten wieder darauf, dass im Handelsstreit USA-VR China doch noch ein Kompromiss erzielt werden kann. Die Hoffnungen richten sich auf das G20-Treffen am kommenden Wochenende in Japan, in dessen Rahmen es zu einem Treffen von Trump und Xi kommen dürfte.

Als Drohkulisse im Hintergrund steht dabei, dass China sich zur Vergeltung für US-Sanktionen im Handelsstreit in massiver Form von US-Staatspapieren trennen könnte. Das wiederum würde die Fed veranlassen, die Geldschleusen besonders kräftig aufzureißen. Nachdem der Euro mit der deutlichen Abschwächung der Wirtschaft in der Eurozone seit Jahresbeginn an Wert verloren hat, ist mit der Ankündigung der EZB von weiteren geldpolitischen Lockerungen in dieser Woche hier zunächst einmal die Luft heraus. Nach der Fed-Sitzung kommt jetzt der Dollar unter Druck.

Die Akteure an den Märkten feiern, die Liquiditätshausse ist wieder da. Die Zentralbanken wetteifern mit billigem Geld auch darum, wer im Interesse ihrer Exportwirtschaft die schwächste Währung zu bieten hat. Der zinsseitige Anlagenotstand sorgt für Inflation an den Aktienmärkten. So lange die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen so unsicher sind wie momentan, dürfte der Effekt des billigen Geldes realwirtschaftlich allerdings hinsichtlich der Belebung privater Investitionen wenig bewirken. Abgesehen davon sind die Zinsmargen so gering (wie die Zinsstruktur bis zehn Jahre Laufzeit zeigt), dass die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe nicht eben überschäumt. Dann bleiben nur staatliche, kredit-finanzierte Anreize. Wenn die zunehmende Staatsverschuldung dann wenigstens zielgerichtet den Ausbau der Infrastruktur im Blick hätte… Vermutlich aber werden wieder eher Wahlgeschenke verteilt.

In diesem Kontext ist es nur allzu folgerichtig, dass der Goldpreis steigt. Er notiert in Dollar knapp an 1400, so hoch wie seit August 2013 nicht. Das Edelmetall hat besonders auf die jüngsten Zinssenkungsphantasien reagiert. Auch ein schwächerer Dollar sorgte in der Vergangenheit häufig für einen Anstieg des Goldpreises. Zusätzliche Unterstützung erfährt der Goldpreis derzeit auch von starker Nachfrage aus den Schwellenländern. Indien hat z.B. im Mai fast 50% mehr Gold eingeführt als vor einem Jahr. Und die chinesische Zentralbank erhöhte zuletzt ihre monatlichen Goldkäufe ebenfalls um 50%.

Nachdem der Goldpreis Mitte August 2018 das 68er Retracement des Aufwärtsimpulses aus Mitte November 2008 (bis Mitte August 2011) bei 1164 respektiert hat, konnte sich ein Aufwärtstrend etablieren (dicke grüne Linie). Ende Mai 2019 wurde das 50er Retracement (bei 1300) überwunden. An der Oberseite ist jetzt das 38er Retracement im Fokus (1444). Kurzfristig dürfte die Preisentwicklung überkauft sein, daher wäre eine Schwächephase in den kommenden Tagen nicht ungewöhnlich. So lange dabei der Pegel bei knapp 1350 respektiert wird, wäre das Chartbild weiter bullisch einzuschätzen. Das gilt auch übergeordnet, so lange die Aufwärtslinie aus Mitte August als dynamische Unterstützung hält (Chartquelle).

Zum Ausblick auf den S&P 500 siehe hier!

Nach jeder tollen Party folgt der Kater. Die Zentralbanken haben brav geliefert, was die großen Akteure haben wollten. Wie für Gold gilt auch für andere Asset-Preise: Über den Tag hinaus dürften jetzt Gegenbewegungen zu den zuletzt eingeschlagenen Handelsrichtungen einsetzen. Bei Aktien steht das G20-Treffen Ende der nächsten Woche im Fokus.

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