Eurokrise – ein weiterer technokratischer Vorstoß

Vor einigen Tagen wurde von bekannten Volkswirten ein „konstruktiver Vorschlag zur Reform des Euroraums“ veröffentlicht. U.a. waren Ifo-Chef Fuest und DIW-Präsident Fratzscher daran beteiligt.

In diesem Papier wird zunächst herausgestellt, dass die derzeit kräftige Konjunkturerholung in der Eurozone nach fast einem Jahrzehnt wirtschaftlicher Stagnation zwar einerseits eine Erleichterung sei, andererseits führe sie aber zu Selbstzufriedenheit in Bezug auf den tatsächlichen Zustand der Eurozone.

Mit Reförmchen sei es nicht getan, heißt es – die Währungsunion leide nach wie vor unter erheblichen Schwächen, vor allem einem instabilen und krisenanfälligen Finanzsektor, hohen Staatsschulden, schlechten Bedingungen für langfristiges Wachstum, sowie unter ökonomischen und politischen Divergenzen. Das Papier stellt richtig fest, dass die Eurozone ein Risikoverbund ist, in dem die wechselseitige finanzielle Abhängigkeit zwischen Staaten und ihren Banken nicht nur einzelne Migliedsstaaten sondern den Währungsverbund insgesamt bedroht.

Das Papier schlägt sechs Reformschritte vor und verspricht bei deren vollständiger Umsetzung als Paket eine maßgebliche Stärkung der politischen und finanziellen Stabilität der Währungsunion, sowie eine Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands in der Eurozone.

Der erste Schritt sieht die koordinierte Einführung einer Eigenkapitalunterlegung vor, die die Konzentrationsrisiken bei Staatsanleihen senken soll. Je mehr sich eine Bank in Staatsanleihen eines Landes, vorzugsweise des Heimatlandes, engagiert, je stärker soll Eigenkaptal zur Finanzierung herangezogen werden. Eine gemeinsame Einlagensicherung soll alle versicherten Bankeinlagen unabhängig vom Sitzland der Banken und dem Zustand des Landes in demselben Maße schützen. Durch Versicherungsprämien mit einer länderspezifischen Komponente sollen Anreize für eine umsichtige nationale Politik geschaffen werden, wobei gemeinsame Mittel erst dann beansprucht werden könnten, wenn ‚nationale Kammern‘ ausgeschöpft wären. Gleichzeitig müssen Mechanismen für die Haftung der Gläubiger von Pleitebanken gestärkt werden. Die Bankenaufsicht muss den Druck erhöhen, bestehende Bestände an faulen Krediten abzubauen. Zudem müssen die Standards zur Regulierung von Banken weiter gestrafft und harmonisiert werden. Um die Kapitalmarktunion voranzubringen, soll die Europäische Finanzmarktaufsicht (ESMA) erweiterte Aufsichtskompetenzen erhalten.

Der zweite Schitt will das bestehende, auf das ‚strukturelle Defizit‘ fokussierte System der Fiskalregeln durch eine einfache Ausgabenregeln ersetzen, die durch ein langfristiges Schuldenabbauziel geleitet werden.

Drittens sollen ökonomische, rechtliche und institutionelle Grundlagen für eine geordnete Schuldenrestrukturierung bei den Ländern geschaffen werden, deren Zahlungsfähigkeit auch durch Hilfskredite mit Auflagen nicht wiederhergestellt werden kann. Bei der Einführung solcher Maßnahmen dürfen aber die Märkte für Staatsanleihen nicht destabilisiert werden. Deshalb soll es keine automatische Schuldenrestrukturierung oder automatische Laufzeitverlängerung der gesamten Staatsschulden im Fall eines ESM-Programms geben.

Viertens soll ein gemeinsamer Fonds eingeführt werden, der durch effektiv gezahlte Beiträge der Mitgliedstaaten finanziert wird und teilnehmenden Mitgliedstaaten des Euroraums dabei hilft, große wirtschaftliche Krisen aufzufangen. Kleinere Konjunkturkrisen werden durch die nationale Fiskalpolitik aufgefangen, erst ab einer zuvor definierten, hohen Schwelle hinsichtlich Einbruch der Beschäftigung wird der Fonds aktiv. Dabei ist sicherzustellen, dass der Fonds nicht zu permanenten Transfers führt, Fehlanreize müssen durch entsprechende Regularien vermieden werden.

Fünftens soll ein synthetisches sicheres Wertpapier für den Euroraum (Euro Area Safe Asset, ESBies/SBBS) geschaffen werden, das Investoren eine Alternative zu nationalen Staatsanleihen bietet, ohne dass dabei eine Solidarhaftung der Mitgliedstaaten entsteht. ‚Sicherheit‘ könnte durch eine Kombination aus Diversifizierung und Vorrangigkeit erreicht werden. Die Einführung solcher Wertpapiere zeitgleich zur Einführung der oben beschriebenen Eigenkapitalunterlegung bei Staatsanleihen würde einen plötzlichen Einbruch der Nachfrage nach Staatsanleihen vermeiden und so zur Finanzstabilität beitragen. Der Eindruck einer Solidarhaftung muss durch sorgfältige Ausgestaltung und vorherige Testphasen eingegrenzt werden.

Sechstens soll die institutionelle Architektur der Eurozone reformiert werden. Zur Verbesserung der Überwachung der nationalen Wirtschaftspolitiken muss die Rolle der Beaufsichtigung (des ‚Anklägers‘) von der Rolle des politischen Entscheidungsträgers (des ‚Richters‘) getrennt werden. Dies soll eine unabhängige Institution für die Überwachung der Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten leisten.

Insgesamt wird also eine Fülle technischer Maßnahmen und komplexer Kontrollmechanismen vorgeschlagen, die einzig von der Angst vor einer Destabilisierung der Märkte für Staatsanleihen geleitet werden. Entsprechende Gremien und die dort versammelten Technokraten ("Finanzräte") erhalten ein enormes Machtpotenzial.

Das Ziel der Vorschläge dieses Papiers ist nur vorgeschoben, über Marktmechanismen zu mehr Risikoteilung zu kommen. In Wirklichkeit wird die Bewältigung der Euro-Krise einem Gremium sogenannter Fachleute anvertraut, deren Wirken alternativlos ist. Den Staaten der Eurozone werden zentrale Kompetenzen entzogen. Mit demokratischen Prinzipien hat das nichts zu tun, ebensowenig mit der Etablierung von Mechanismen freier Märkte. Das setzt die Linie von Kommissionspräsident Juncker fort, der auf dem Höhepunkt der Eurokrise vor einigen Jahren einmal sagte: „Nichts sollte in der Öffentlichkeit geschehen. Wir sollten in der Euro-Gruppe im Geheimen diskutieren. (…) Die Dinge müssen geheim und im Dunkeln getan werden.“

Der zweite hauptsächliche Kritikpunkt bezieht sich auf die Frage der prinzipiell begrüßenswerten Eigenkapitalunterlegung. Die Frage ist aber, woher das Eigenkapital bei den notorisch unterkapitalisierten Banken der Krisenländer kommen soll. Das Papier gibt dazu die Antwort mit dem Verweis auf die Einlagensicherung, über die in der Realität einer schweren Bankenkrise in der südlichen Peripherie die nördlichen Länder zur Kasse gebeten werden. Das ist eine Einführung von Eurobonds durch die Hintertür, über den gemeinsamen Fonds zur Einlagensicherung käme die gemeinschaftliche Haftung. Nichts anderes ist auch der Vorschlag sogenannter ESBies. Ein Nebeneffekt etwa für Bankkunden in Deutschland ist, dass die Einlagensicherung dann auf ein niedrigeres Niveau als heute kommen würde.

Das Papier mit dem vollständigen Titel „Wie Risikoteilung und Marktdisziplin in Einklang gebracht werden können: ein konstruktiver Vorschlag zur Reform des Euroraums“ kann unter diesem Link eingesehen werden.

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