EZB – der nächste Sündenfall

Die EZB hat gestern, am 8. Juni 2016, mit dem Ankauf von Unternehmensanleihen begonnen. Ihr Ziel ist es dabei, die Zinsen der Anleihen drücken. Dadurch sollen sich die Kreditkonditionen der Unternehmen verbessern, das soll sie dazu bewegen, mehr zu investieren und das soll die Konjunktur ankurbeln. Am ersten Tag des Programms hat die EZB nach einem Bericht von Bloomberg u.a. Anleihen von Siemens, der Brauerei AB Inbev, von Renault, sowie von VW und Continental gekauft.

Die Bedingungen für den Kauf sind dabei folgende: Es werden nur Anleihen von Unternehmen mit guter Bonität (Investment-Grade-Rating, mindestens "BBB-") und einer Restlaufzeit von 6 Monaten bis 30 Jahren, sowie einer Rendite über dem EZB-Einlagenzins (aktuell -0,4%) gekauft. Das Unternehmen muss seinen Sitz in der Eurozone haben, die Anleihe muss in Euro notieren. Pro Anleihe darf die EZB maximal 70% des gesamten Volumens halten. Bankanleihen werden nicht gekauft.

Die EZB kann im Rahmen dieses Programm Unternehmensanleihen am Primärmarkt erwerben, also direkt bei der Ausgabe vom Unternehmen, aber auch am Sekundärmarkt tätig werden, auf dem Investoren handeln. Die das Programm durchführenden Notenbanken aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, Finnland, Italien sind für jeweils mehrere Länder zuständig. So kauft die Bundesbank z.B. Anleihen von Unternehmen mit Sitz in Deutschland und in den Niederlanden.

Das Volumen des Programms ist offen. Beobachter schätzen, dass monatlich zwischen drei und zehn Mrd. Euro ausgegeben werden. Die EZB will ihre Käufe anteilsmäßig am Volumen aller in Europa aufgelegten Unternehmensanleihen ausrichten. Welche Anleihen sie im Bestand hat, wird erstmals am 18. Juli bekanntgegeben und das dann wöchentlich aktualisiert. Das verfügbare Anlageuniversum wird auf 770 Mrd. Euro geschätzt.

Das erklärte Ziel der EZB ist es ja seit längerem, die Zinsen zu drücken – nicht nur bei Staatsanleihen, sondern eben jetzt auch bei denen von Unternehmen. Das hat zur Folge, dass die Liquidität auf dem Markt für Anleihen von Firmen mit gutem Rating stark abnimmt. Schon die Ankündigung des Anleihenkaufprogramms im März ließ die Renditen vieler Unternehmensanleihen deutlich sinken, sie haben sich im Vergleich zu Vorjahr teilweise halbiert. Privatanleger, Versicherungen oder Pensionsfonds, die auf eine ordentliche Verzinsung angewiesen sind, werden so in risikoreichere Anleihen oder andere riskantere Assets gedrückt. Dadurch werden auch deren Renditen tendenziell sinken.

Das spiegelt sich z.B. in einem ETF wider, der die Kurse von Versicherungen im EStoxx 600 abbildet. Sie bewegten sich seit Herbst 2011 zunächst kontinuierlich nach oben. Im Mai 2015 setzte eine Übertreibung nach oben ein, Mitte Januar wurde der Aufwärtskanal nach unten verlassen. Die seit März etablierte Kursformation lässt nicht erwarten, dass sich die Preise bald wieder erholen. Offenbar werden die Entwicklungsmöglichkeiten von Versicherungen nun schlechter beurteilt.

Die Kreditvergabe in der Eurozone ist trotz Niedrigzinsen nicht wirklich in Schwung gekommen, jetzt soll es dieses Programm richten. Über diesen Weg soll auch die Konjunktur Fahrt aufnehmen. Wachstumsmotoren, kleine und mittlere Unternehmen fallen jedoch bei diesem Programm hinten herunter. Für die allermeisten KMUs ist die Finanzierung über Anleihen nicht lohnend oder gar nicht möglich, sie sind auf private Finanzierung oder auf Bankkredit angewiesen.

Solvente Großkonzerne, die ohnehin schon beste Kreditkonditionen haben, können sich nun noch günstiger finanzieren. So können sie ihre Marktmacht noch weiter ausbauen. Da sie jedoch am wenigsten innovativ sind, profitieren die Wachstumskräfte davon nicht. Das Vorhaben von Bayer, Monsanto zu übernehmen, erscheint vor dem Hintergrund dieses neuen EZB-Programm in einem besonderen Licht – das Geschäft würde noch leichter finanzierbar.

Was machen solche Konzerne mit dem Geld, das sie aus neuen Anleihen generieren und deren Verzinsung dank EZB noch niedriger ist, als sie ohnehin schon wäre? Kreditfinanzierte Übernahmen sind das eine. Produktive Investitionen sind angesichts des schwachen Wachstum der Wirtschaft weniger wahrscheinlich und wenn, dann werden Rationalisierungen bevorzugt. Das stärkt aber nicht gerade die Nachfrage der Konsumenten und damit das Wirtschaftswachstum. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass mit dem Geld solcher neuer Anleihen eigene Aktien zurückgekauft werden mit dem Ergebnis einer steigenden Verschuldung großer Unternehmen.

Schließlich besteht die Gefahr, dass marode Unternehmen Anleihen emittieren und sie an die EZB verkaufen, wie ifo-Präsident Clemens Fuest kritisiert. Solche Unternehmen werden dadurch zunächst am Leben gehalten. Abgesehen davon, dass das investierte Geld im Pleitefall weg ist, wirkt es alles andere als wachstumsfördernd, Unternehmen mit einem nicht mehr zeitgemäßen Geschäftsmodell künstlich am Leben zu halten.

Eines dürfte die EZB bei ihrem neuen Programm auch im Hinterkopf haben, aber nicht sagen. Da die Finanzierungsbedingungen in der Eurozone günstiger sind als etwa in den USA (und durch das Programm noch günstiger werden), bringt das über den Carry-Trade-Effekt den Euro unter Druck. Die deutsche Industrie dürfte das begrüßen.

Wirtschaftsprofessoren und Unternehmer haben Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen das Vorhaben der EZB eingereicht. Sie argumentieren u.a., dass viel Geld der Steuerzahler auf dem Spiel steht. Für das Anleihenkaufprogramm haften die nationalen Notenbanken entsprechend ihres EZB-Anteils, die Bundesbank mit 27%.

Die EZB gibt vor, mit ihrem Anleihenkaufprogramm für Unternehmen das Wachstum anzukurbeln. Der Effekt wird dadurch nicht eintreten, die Konzentration wird weiter gefördert und Großunternehmen mit schwachen Geschäftsmodellen alimentiert. Das wirkt letztlich wachstumsdämpfend. Anleger aus dem privaten Sektor, wie etwa auch Versicherungen und Pensionsfonds, werden in riskantere Assets gedrängt. Dadurch steigt das Risiko an den Finanzmärkkten insgesamt weiter an.

Ergänzung:
Der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Folkerts-Landau, nennt das neue EZB-Programm einen "Akt der Verzweiflung". Die EZB trete als großer Spieler auf einem kleinen Markt auf. "Am Ende hat man vor allem eines: mehr Schulden," heißt es.

Nachtrag:
Die Société Générale prognostiziert, dass zu den grössten Nutzniessern des neuen EZB-Programms ausländische Emittenten am Euro-Bondmarkt gehören. Wichtiger als die Finanzierungskosten sind die wirtschaftlichen Aussichten, die sich kaum verbessert haben. Selbst wenn die Renditen noch weiter sinken, wird keine substanzielle Zunahme im Emissionsvolumen von Unternehmen der Eurozone erwartet, das zwischen 2012 und 2015 bei jährlich 120 Mrd. Euro lag.

Im vergangenen Jahr war knapp ein Viertel der von amerikanischen Schuldnern emittierten Obligationen in Euro denominiert. Der Anteil nimmt zu, seit sich die Renditedifferenz (Spread) zwischen europäischen und US-Anleihen ausdehnt – die relativ niedrigen Finanzierungskosten im Euroraum locken Emittenten aus den USA und aus Grossbritannien an (Chartquelle).

Ein detaillierte Analyse des EZB-Kaufprogramms für Unternehmensanleihen finden Sie auch hier.

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