Japan – das Menetekel an der Wand

Japan macht uns vor, wohin staatliche Schuldenprogramme und Geldflut führen. Bevor 1990 die Spekulationsblase in Japan platzte, hatte die BoJ durch drastische Zinssenkungen versucht, den Höhenflug des Yen zu stoppen. Mit dem Plaza-Abkommen von 1985 sollte eine Abwertung des Dollar gegenüber Yen und D-Mark erreicht werden, spekulatives Kapital war nach Japan geflossen und hatte Aktien- und Immobilienpreise angeheizt. Der Zusammenbruch der Assetpreise, deren Auftrieb zu einem bedeutenden Teil Kredit-finanziert war, brachte Banken in Bedrängnis, die spekulativ überhitzte Wirtschaft kontrahierte scharf, der weiterhin relativ stabile Yen brachte keine Impulse.

In der Folge verschuldete sich der Staat, um den Nachfrageausfall im privaten Sektor zu kompensieren – von damals unter 70% auf aktuell fast 250% des BIP. Die Zinsen wurden immer weiter gesenkt, das Land mit Geld geflutet – die Geldmenge M0 hat sich in dieser Zeit verdreifacht. Lethargisch entwickelt hat sich hingegen das BIP – mit jahresdurchschnittlich unter einem Prozent bleibt seine Entwicklung in der Gruppe der entwickelten OECD-Länder selbst hinter der von Italien zurück.

Nachdem sich gezeigt hatte, dass all diese Maßnahmen nicht fruchteten, wurde nicht etwa neu nachgedacht. Man schloss messerscharf, dass stattdessen ihre Dosis erhöht werden muss. Mit der nach dem japanischen Ministerpräsidenten „Abenomics“ genannten Wirtschaftspolitik erreichte der Wahnsinn ab Ende 2013 ganz neue Dimensionen. Die Staatsverschuldung wurde exzessiv vorangetrieben, gleichzeitig legte die BoJ ein gigantisches Programm zum Kauf von Staatsschulden und anderen Wertpapieren auf. Es entstand auch ein kleines Strohfeuer-Wachstum – schon sahen viele das Experiment als geglückt an. Aber jetzt entwickelt sich die japanische Wirtschaft wieder so schlecht wie vorher auch, das BIP-Wachstum ist wieder negativ, der Rückfall in eine Rezession droht. Abenomics dürfte gescheitert sein.

Das japanische Beispiel ist eine einzige Kette von Beweisen, dass mit keynesianischen und monetären Maßnahmen den Folgen einer spekulativen Überhitzung bestenfalls vorrübergehend beizukommen ist. Warum lässt sich überbordende Verschuldung nicht mit staatlicher Schuldenpolitik überwinden, warum wirkt die Geldflut nicht nachhaltig?

Einerseits wird mit schuldenfinanzierter Nachfrage des Staates ja nur künftiger Bedarf vorgezogen. Zudem müssen die Schulden bedient werden, was den Spielraum für künftige Stimulierungsaktionen einengt. Andererseits fließt ein Teil der Geldflut ins Ausland ab. Fremdwährungen werten auf, die eigene, in diesem Fall der Yen, wertet ab. Auch das wirkt kurzfristig expansiv, Importware wird für einheimische Konsumenten teurer und durch inländische Produkte substituiert. Aber die Zentralbanken anderer Länder nehmen das auf Dauer nicht hin und arbeiten mit eigenen Zinssenkungen dagegen. Der sich daraus ergebende Abwertungswettlauf stoppt die so erzielte zeitweilig expansive Entwicklung.

Nötig wäre in einem solchen Schlamassel eine massive Investitionswelle in produktive Projekte. Ein niedriges Zinsniveau kann das unterstützen. Wenn allerdings wie etwa in Japan die Altersversorgung vor allem an Kapitaleinkünften orientiert ist, neigen die Verbraucher mit sinkenden Zinsen zu vermehrtem Sparen und folglich geringerem Konsum. Das gilt erst recht bei einer so ungünstigen Alterspyramide wie der in Japan. Zudem: Wenn die Nachfrage ohnehin schon flau ist, wird das billige Geld eher dazu verwendet, bestehende Investitionsprojekte (spekulativ) umzufinanzieren und dazu, Vorhaben mit zweifelhafter Rendite anzugehen. Das erhöht das gesamtwirtschaftliche Risiko und wirkt letztlich nicht wachstumsfördernd – im Gegenteil. Drittens: In einem Umfeld schwacher Nachfrage sind Investitionen hauptsächlich auf die Intensivierung der Arbeit gerichtet, sie haben damit tendenziell negative Auswirkungen auf die kaufkräftige Nachfrage der Verbraucher.

Das sind einige der unerwünschten, eher konjunkturellen Nebenwirkungen der Droge billiges Geld. Eine wichtige strukturelle Nebenwirkung ist die folgende:

Eine wesentliche Motivation der Politik des billigen Geldes besteht darin, den Preisverfall von Vermögensgegenständen aller Art aufzuhalten. Kapital soll nicht entwertet werden, um den Zusammenbruch von Banken zu verhindern, die bei korrekter Bewertung pleite gehen müssten. Damit werden auch von ihnen kreditfinanzierte Unternehmen gestützt und so insgesamt erreicht, dass ineffiziente Firmen am Leben gehalten werden. Die von Schumpeter in den Mittelpunkt seiner Zyklustheorie gestellte kreative Zerstörung überkommener Strukturen wird verzögert.

Eine weitere verheerende strukturell-ordnungspolitische Folge ist, dass der Zins seine Funktion verliert. Wenn der in einer Kredit-orientierten zentral wichtige Preis für Geld so manipuliert wird, dass er seine Aussage hinsichtlich Zeitpräferenzen verliert, wird die Tür in Richtung zentraler Planwirtschaft aufgestossen. Eine Kette weiterer Manipulationen ist die zwangsläufige Folge und führt in eine zentrale Verwaltungswirtschaft.

„Japan“ können Sie durch nahezu jedes entwickelte industrialisierte Land ersetzen. Natürlich unterscheiden sich die einzelnen Länder in vielen konkreten Einzelheiten, die allgemeine Linie ist jedoch überall gleich. Japan ist „uns“ nur um einiges voraus – ein etwas zweifelhafter Verdienst.

Der Diskontsatz, zu dem die japanische Zentralbank Geld verleiht, liegt seit Herbst 1995 nahezu bei null. Im Januar diesen Jahres ließ Bankchef Kuroda durchblicken, dass das QE-Programm das Ziel einer Wirtschaftsbelebung nicht erreicht hat und senkte den Zinssatz schließlich auf –0,1%. Daraufhin entwickelte der Yen Stärke, Kapital floß zurück, gegen Dollar steht er wieder so hoch wie vor 18 Monaten. Der Nikkei fiel nach Eintritt in den negativen Zinsbereich zunächst innerhalb weniger Tage um mehr als 15%, seitdem bewegt er sich sehr volatil.

Die Einführung negativer Zinsen in Japan wird nun als Beleg gesehen, dass selbst ein so agressives Konkursverschleppungsprogramm wie die Abenomics nichts fruchtet. Diese Befürchtung setzt sich schleichend auch hinsichtlich der EZB und ihrer Geldpolitik durch und lässt die Wachstumsaussichten zunehmend kritischer aussehen. Greift dies weiter um sich, dann dürfte auch der Euro unter Aufwertungsdruck kommen, weil dann auch auf Euro lautende Carry-Trade-Kredite aufgelöst werden. Solche Stärke wäre der ohnehin fragilen Konjunktur in der Eurozone, insbesondere in einem so Export-orientierten Land wie Deutschland, alles andere als förderlich. Und so steht zu erwarten, dass sich die gegenüber US-Aktien schon deutliche relative Schwäche des DAX dann schnell weiter verstärkt.

Die PMIs der meisten Länder zeigten im April Schwäche. Sie notieren zwar in der Regel noch (knapp) im Expansionsbereich, aber die Tendenz weist nach unten. Das gilt auch für eine Reihe von Makrodaten. Ganz aktuell wird die Zahl neu geschaffener Stellen in den USA (non-farm) für April heute schwächer gemeldet als erwartet. Das war nach ADP-Report und „Erstanträgen“ zu erwarten gewesen und wenn Aktien keine ausgeprägt negative Reaktion zeigten, so liegt das daran, dass nun wieder die Hoffnung erstarkt, die Fed möge mit ihrer Zinspolitik noch moderater als moderat fortfahren. Der nächste Zinsschritt wird jetzt erst im September erwartet, zuvor war damit im Juni gerechnet worden.

Der IWF hat kürzlich seine globalen Wachstumserwartungen ein weiteres Mal abwärts revidiert. Selbst die wirtschaftlich immer noch relativ soliden USA haben in den zurückliegenden beiden Quartalen lediglich ein BIP-Wachstum von durchschnittlich einem Prozent erreicht. Die Wirtschaften vieler Emerging Markets zeigen sich gedrückt durch tiefe Rohstoffpreise und schwache Nachfrage aus den industrialisierten Ländern.

Das „Nebenziel“ der QE-Politik in den entwickelten Ländern, die Asset-Preise hoch zu halten, führt zu zunehmender Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Wohlstand. Die vermögenden Bevölkerungsteile mit ihrer geringeren Konsumquote profitieren, das verstärkt auch die oft beklagte Sparschwemme, die wiederum das Spiegelbild der geringen Investitionsneigung ist. Das Konsumpotenzial der Verbraucher in Schichten mit hoher Konsumquote hingegen schrumpft und macht die Entwicklung der Nachfrage anemisch.

Die Ungleichheit der Vermögensverteilung ist auch der Boden dafür, dass sich immer mehr Bürger immer weniger mit ihrem Gemeinwesen identifizieren. Das lässt zentrifugale politische Kräfte sprießen. Die an der Macht befindlichen Politiker sind in einer solchen Situation im Interesse ihrer Wiederwahl noch weniger geneigt, sinnvolle, wenn auch zunächst vielleicht unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, um das Ruder herumzureißen. Strukturelle Reformen verursachen nun einmal zuerst Kosten, bevor sie sich mittel- bis langfristig auszahlen (jenseits einer vierjährigen Regierungsphase…).

Mit dem politischen Schlingerkurs verstreicht ungenutzt Zeit, in der sich die schädlichen wirtschaftlichen Wechselwirkungen weiter verstärken. In dieser politischen Pattsituation sind alle Hoffnungen auf die sogenannten „unkonventionellen Maßnahmen“ der Zentralbanken gerichtet. Die aber haben, wie oben dargestellt, bestenfalls kurzfristig positive Effekte mit mittel- und langfristig immer stärkeren negativen Nebenwirkungen.

In der Bewältigung der Folgen der Finanzkrise erweist sich die Politik als handlungsunfähig. Die Zentralbanken agieren mit „unkonventionellen Maßnahmen“, die immer fatalere Nebenwirkungen nach sich ziehen, je länger sie angewandt werden. Japan dient als Blaupause für die weitere Entwicklung – im besten Fall droht jahrzehntelange Stagnation bis Depression. Im besten Falle…

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