Spanien hat gewählt

Spanien hat ein neues Parlament gewählt. Die beiden etablierten Parteien, die Partido Popular (PP) um Ministerpräsisdent Rajoy und die Partido Socialista Obrero Español (PSOE), mussten herbe Verluste einstecken. Die PP hatte 2011 44,6% der Stimmen erhalten, jetzt kam sie auf gerade einmal 28,7%. Die PSOE erreichte klägliche 22%, sie erzielte ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Ende der Franko-Diktatur (1975). Die erst 2014 gegründete Podemos kam gleich auf 20,6%, die ebenfalls neue Partei Ciudadanos erreichte aus dem Stand 13,9%.

Die Wahlbeteiligung lag mit 73,2% deutlich höher als 2011 (68,9%). Das Wahlergebnis wird darauf zurückgeführt, dass viele Spanier der bisherigen zwei-Parteien-Politik überdrüssig sind. Die PP sieht sich mehr als 2000 Korruptions-Verfahren gegen hochrangige Mitglieder gegenüber, auch die PSOE ist in den Sumpf von Bestechlichkeit und Raffsucht verstrickt. Ministerpräsident Rajoy wird als Technokrat der Macht angesehen, Charisma hat er nicht. Er wird mittlerweile in Spanien auf breiter Front verspottet, Bilder von Begrüssungskussszenen zwischen Rajoy und Merkel sind dabei besonders beliebt. Vielfach wird er als Marionette der deutschen Regierung in Sachen EU-Sparpolitik dargestellt.

Die Spanier haben damit insgesamt ihrer politischen und wirtschaftlichen Elite die Quittung ausgestellt für jahrzehntelange, ungestörte Bereicherung und eine Politik, die zwar Pracht- und Protzbauten hervorbrachte, jedoch keine Modernisierung des Systems. Insbesondere das Bildungswesen wurde sträflich vernachlässigt.

Ich finde es beachtlich, dass die Spanier nicht die rechtsradikalen Parteien aufs Schild gehoben haben – keine konnte ins Parlament einziehen. Das ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die PP den rechten Rand mit seinen immer noch bestehenden frankistischen Strömungen gut abdeckt.

Zwei neue Parteien, eine links der Mitte und eine liberale, erreichen aus dem Stand beachtliche fast 35%. Dies ist einerseits Ausdruck, dass die Spanier kein Zurück in die dunklen Zeiten der Franko-klerikalen Diktatur wollen. Das ist andererseits Ausdruck davon, dass sie von der bisherigen Wirtschaftspolitik unter dem Brüsseler/deutschen Spardiktat genug haben.

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt immer noch bei 21%, die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse, insbesondere die mit Ketten-Zeitarbeit, ist stark angestiegen. Die spanische Wirtschaft ist zuletzt beachtlich gewachsen. Das ist hauptsächlich auf das Tourismus-Geschäft zurückzuführen, in dem besonders viele Niedrig-Lohn-Jobs angesiedelt sind. Unter Führung der PP konnte Spanien den Euro-Rettungsschirm mittlerweile verlassen, unter den es 2012 zur Sanierung bankrotter Banken schlüpfte.

Auch das ist bemerkenswert: Die beiden neuen Parteien sind keine ausgesprochenen Unterstützer nationalistischer Abspaltungen. Die im katalanischen Parlament vertretene Ciudadanos spricht sich sogar ausdrücklich gegen eine Selbstständigkeit der Region aus. Podemos hat in Katalonien und im Baskenland, den beiden spanischen Provinzen mit den stärksten nationalistischen Bestrebungen, ein besonders starkes Ergebnis erreicht.

Es wäre verfehlt, das Wahlergebnis auf Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage zu reduzieren. Die Spanier wollen einen politischen, demokratischen Dialog. Das Parlament soll nicht länger Selbstbedienungladen für eine politische und wirtschaftliche Clique sein. Portugal hatte einige Wochen zuvor die Austeritätsregierung abgewählt, sich dabei aber, nicht untypisch für das Land, mehrheitlich für eine bereits etablierte Partei entschieden. Griechenland hatte im Februar eine neue Kraft gewählt. Auch wenn Syriza sämtliche Wahlversprechen auf dem Altar Brüsseler Erpressung geopfert hat, so zeigt die vor kurzem erfolgte Bestätigungswahl, dass die Griechen den alten Parteien jedenfalls weiterhin nicht vertrauen.

Und so ist das Signal, das von der spanischen Parlamentswahl in Richtung EU und Eurozone ausgeht, dass die Bevölkerung von immer mehr Ländern in Europa einen Wandel wünscht. Einen Wandel, der die Belange der breiten Bevölkerung ernst nimmt. Die neuen Kräfte mögen unerfahren sein und Fehler machen. Aber den etablierten Parteien wird nicht mehr zugetraut, diesen Wandel herbeizuführen.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im spanischen Parlament ist eine Regierungsbildung schwierig. Rajoy sieht als stärkste Kraft seine Aufgabe, eine solche zustande zu bringen. Beobachter halten eine große Koalition für weniger wahrscheinlich, v.a. wegen der persönlichen Animositäten zwischen Spitzenpolitikern von PP und PSOE. Ich bin da nicht so sicher. Auch wenn in einem Prozess der Annäherung an eine große Koalition die Spitzen der etablierten Parteien ausgetauscht würden – das wäre nicht das, was sich viele spanische Wähler vorgestellt haben.

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