Ein Fetisch namens Euro

Am 20. Juli wurde Jacques Delors, einer der “Väter” des Euro, 90 Jahre alt. Der französische Präsident Hollande gratulierte ihm und merkte an, dass zuletzt der europäische Geist wieder vorgeherrscht habe. Er bezog sich damit auf den Verhandlungsmarathon in Brüssel, bei dem die Eurozonen-Führer die griechische Regierung zur Kapitulation gezwungen haben.

Für viele, zweifellos Delors eingeschlossen, scheint sich dieser Geist vollständig in Luft aufgelöst zu haben, schreibt Ann Pettifor. Als Ergebnis des griechischen Debakels und zunehmender wirtschaftlicher Divergenz sieht die Architektur der Eurozone zunehmend wackeliger aus.

Viele erwarten weiterhin einen Grexit, andere rechnen eher mit einem Austritt Deutschlands aus der Eurozone. Steuert die Eurozone auf einen Tag wie im September 1931 zu, als England den Goldstandard quittierte? Ein Exit, der prompt zu einer wirtschaftlichen Erholung führte. Pettifor fragt: Kann das Euro-System wirklich mit dem Goldstandard der 1920er und 1930er Jahre verglichen werden?

1962 betonte ein Luxemburger Bankier, Pierre Werner, in einem Vortrag die Bedeutung einer einheitlichen europäischen Verrechnungseinheit, die in Bezug auf Gold festgelegt werden sollte. Das sollte den Grundstein für ein europäisches Währungssystem legen. 1965 präzisierte er, dass die Geldpolitik das Vehikel zur wirtschaftlichen Integration darstellt. 1970 wurde Werner vom Ministerrat der EU zum Vorsitzenden einer Kommission berufen, die das Geldsystem der EU entwerfen sollte. Die hier erarbeiteten Empfehlungen wurden vom Delors-Komitee, bestehend aus 12 Zentralbankern, weiterentwickelt und 1989 im Delors-Report vorgestellt.

Beide Berichte, der von Werner und der von Delors, replizierten die Architektur des Goldstandards des 19. Jahrhunderts. Hier wie da sollten Regierungen und Zentralbanken keine Kontrolle über die Währungsparitäten haben. Die Väter der europäischen Währungsunion waren dabei besonders konsequent. Sie wollten gleich alle europäischen Währungen abschaffen und durch eine neue, gemeinsame ersetzen, die sich dem Einfluss der Einzelstaaten entzieht.

Der Euro sollte nicht nur als Mittel zu Wertaufbewahrung und Finanztransaktionen dienen, er sollte auch ein mächtiges Symbol der europäischen Einheit werden. Er sollte so nicht nur die Interessen Luxemburger Banker und europäischer Finanzinstitute bedienen, sondern wurde den europäischen Bürgern auch massiv als Symbol für die europäische Einheit verkauft.

Wie Gold im Gold-Standard gewann der Euro einen Fetisch-Status – für die Eliten in Brüssel und Frankfurt, aber auch für die Länder der europäischen Peripherie v.a. im Süden.

Pettifor zitiert Stathis Kouvelakis, der erklärt, welche Fetisch-Qualitäten der Euro für die Griechen hatte: Vor 2008/2010 waren die Länder der südlichen Peripherie am Euro-freundlichsten. Die Mitgliedschaft zeugte von einer gewissen Modernität, sowohl wirtschaftlich wie politisch, man kam sich mit dem Euro wohlhabend und mächtig vor. Mit dem Euro in der Tasche glaubten sich die Griechen auf demselben Niveau wie die Deutschen und die Franzosen. Den Fetisch-Aspekt des Geldes hatte schon Karl Marx betont.

Die meisten Banker des 19. Jahrhunderts haben die Mechanismen eines auf Kredit basierenden Geld-Systems genau verstanden. Das hielt sie aber nicht davon ab, den Gold-Standard voran zu treiben, weil sie sich der Fetisch-Qualität von Gold bewusst waren. Beides, der Standard und sein Fetisch nutzte seinerzeit den internationalen Anleihemärkten.

Genauso war es bei Einführung des Euro. Die Euphorie über seinen überbewerteten Wechselkurs kannte kein Halten, die Importe verbilligten sich, die Kapitalmobilität führte zu verantwortungsloser Kredittätigkeit. Es fehlte eine Moderation von Ungleichgewichten in der Eurozone, deflationäre Tendenzen sind nun die Folge. Die öffentlichen Schuldenpegel steigen, die Schuldenquoten auch – gerade wegen der deflationären Austeritätspolitik (das BIP steht im Nenner der Schuldenquote!). Die globalen Bond-Märkte sind die einzigen, die von diesem System profitieren.

Jetzt schlägt das um in wachsenden politischen Widerstand gegen das Euro-System.

Europa ist am Wendepunkt. Die Maastricht-Kriterien sind ganz offen von allen, nicht nur den südlichen Ländern, torpediert worden. Die europäische Schuldenquote liegt bei 92,9%, „Maastricht“ schreibt 60% als Obergrenze vor. Nach diesem Kriterium müssten alle Mitgliedsländer aus der Eurozone ausgeschlossen werden.

Die nackte Wahrheit ist, schließt Pettifor, dass der Euro ein Produkt utopischer neoliberaler Volkswirte und ihrer Leidenschaft für ein Geldsystem ist, das nur von Marktkräften gesteuert wird und sich jedem staatlichen Einfluss entzieht. Es ist diese Utopie und ihr Niederschlag in Regeln, was wirtschaftliches Versagen, Divergenzen und politische Instabilität in den Mitgliedsländern begründet.

Wegen dieser Utopie ist der Euro, genau wie der Gold-Standard, zum Scheitern verurteilt.

[Ann Pettifor ist Direktorin des “Policy Research in Macroeconomics (PRIME)” und Autorin von “Just Money: How Society Can Break the Despotic Power of Finance”, herausgegeben von Commonwealth Publishing (Januar 2014)]

Der Euro ist der Popanz, der verdeckt, wem die Fehlkonstruktion Eurozone hauptsächlich nutzt, nämlich dem Finanzsystem, genauer den Bondmärkten, dem mit weltweit über 100 Bill. Dollar größten Segment der Finanzmärkte. So richtig Pettifor liegt in der Zustandsbeschreibung, insbesondere auch hinsichtlich des Fetisch-Charakters des Euro, so falsch liegt sie meiner Meinung in der Diagnose. Es ist gerade nicht das von „freien“ Marktkräften gesteuerte Geldsystem, dass das Eurosystem kennzeichnet, sondern die marktfremde, politisch willkürlich gesetzte Klammer namens Euro.
Die Maastricht-Regeln sind lediglich der Nebelvorhang gewesen, der verschleiern sollte, dass dieses System unweigerlich auf Überschuldung zutreibt. Es wurde eine Stabilität vorgegaukelt, die das Papier nicht wert ist, auf dem die Regeln stehen.
Hinzu kommt, dass zu jedem auf buntem Papier, also auf Blanko-Vertrauen basierenden Geldsystem ein Staat als Wertgarant gehört. Der Euro hat keinen solchen Staat, sondern lediglich staatenlose Institutionen als „Backstop“. Damit ist das Vertrauen in ihn untrennbar verknüpft mit einzelnen Personen an ihrer Spitze (siehe "whatever it takes" von Draghi Mitte 2012). Personen sind austauschbar, Länder mit ihrer Volkswirtschaft nicht (oder bei weitem nicht so leicht und schnell). Diese inhärente Instabilität garantiert die besondere Abhängigkeit des Euro vom Finanzsystem.

Siehe auch: "Euro – Wachs oder heiße Kartoffel?"!

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