Der "verzweifelte" Anleger – ein Mailaustausch

Ich habe kürzlich Post bekommen von einem Privatanleger. Was "Duende del sur" schreibt, betrifft sicher viele, die an den Finanzmärkten aktiv sind.

Aus seiner anfänglichen "Verzweiflung" über die eigene Underperformance im Vergleich zur Börsenentwicklung und der Frage zur Entwicklung des TrackRecord der TimePatternAnalysis entwickelt sich eine, wie ich finde, spannende Sicht auf die Hintergründe solcher Diskrepanz.

Schließlich berichtet "Duende del sur" sehr anschaulich von den Überlegungen zu seinem eigenen "Kochrezept" und endet mit der äußerst interessanten Beobachtung von Kurs-Übertreibungen bei bekannten Waffenschmieden.

Mail von 'Duende del sur'
hallo herr singer,

ich schaue oefters auf ihrer, immer interessanten, seite vorbei und da ist mir aufgefallen, dass der trackrecord seit 2009 praktisch seitwaerts laeuft.

nicht nur bei meinen persoenlichen boersen-geschaeften (technisch und fundamental basiert) sieht es aehnlich aus, ich weiss auch von anderen depots, die aktives trading und absicherung betreiben, dass diese ungefaehr das gleiche schicksal trifft.

das seltsame dabei: es liegt (lag) doch ein ganz klarer und erkennbarer aufwaertstrend (zeitweise noch nicht einmal sehr volatil) bei aktien vor.
davon konnten aber wohl nur die profitieren, die stur durchgehalten haben.

andersherum konnte der trackrecord in wesentlich schwierigeren marktphasen sehr ordentlich zulegen.
da ich nicht annehme, dass sich der ansatz geandert hat, aber das gleiche vorgehen zu anderen ergebnissen fuehrt, muss sich doch seit 2009 etwas an den maerkten geaendert haben.

sie sind nun schon sehr lange dabei und mich wuerde sehr interessieren, ob sie diesbezueglich zu irgedwelche ueberlegungen oder gar schluesse haben.
vielleicht als beitrag fuers blog?

lieben gruss aus …


Antwort von Singer
Hallo "Duende del sur",

schön von Ihnen zu hören. Und ich freue mich natürlich auch über Ihre Anerkennung.

Ihre Beobachtung deckt sich mit der von vielen anderen. Insbesondere diejenigen, die nicht erst seit gestern an den Märkten unterwegs sind, haben zuletzt oft nur geringe Erfolge oder machen sogar Verlust. Andere hingegen, die eher "naiv" vorgehen und/oder erst kurz dabei sind, können sich, bildlich gesprochen, vor Gewinnen kaum retten. Und dann gibt es wohl angeblich solche, die schon seit Jahrzehnten unterwegs sind und sich aktuell keine schönere Börsenumgebung vorstellen können…

Was den auf kurzfristige, hoch gehebelte Positionierungen ausgerichteten TrackRecord der TimePatternAnalysis angeht, so gab es im März 2010 einen ersten Knick in seiner Performance, die Gewinne stiegen im Zeitablauf weniger stark, die Steigung der Gewinnkurve war aber immerhin noch positiv. Der zweite Knick trat im Dezember 2011 auf, von da an sank die Gewinnkurve, es kam zu Verlusten. Seit April/Mai 2013 ist die Trendrichtung nun wieder positiv, es werden wieder Gewinne gemacht.

Die Algorithmik der TimePatternAnalysis ist seit 2004/2005 im Kern unverändert – es gab zwar immer mal wieder einige Änderungen, aber vom Grundsatz her ist es gleich geblieben. Da wir unser System in erster Linie als ein Analyseinstrument sehen und nicht als mechanisches Tradingsystem (was vielleicht besser gewesen wäre…) kamen dann nach Einsetzen einer Verlustserie mentale Faktoren verstärkend hinzu. Aber ich denke nicht, dass sie ursächlich sind.

Die Positionierungen im TrackRecord erfolgten und erfolgen hauptsächlich nach der zyklischen Prognose. In einem beständigen Aufwärtstrend sind Zyklen zunehmend weniger präsent. Das hat die Funktionsfähigkeit dieses Teil der TimePatternAnalysis beeinträchtigt.

Wären wir stur nach der fraktalen Diagnosefunktion der TimePatternAnalysis vorgegangen (s.u.), hätte das Bild anders aussehen können. Wir haben das kürzlich einmal in langer Nachtarbeit synthetisiert. "Hätte, hätte…" Wir sind für unsere intraday-Aktivitäten, die nicht im TrackRecord erscheinen, die ganze Zeit über basierend auf der fraktalen Diagnosefunktion vorgegangen – die Ergebnisse zeigen in die gleiche Richtung wie das, was wir im Nachhinein synthetisiert haben.

Ich hatte vor einiger Zeit mit einem Trader eine längere Korrespondenz zu dem Thema. Er handelt nach klassischer Charttechnik, Chartformationen, gleitenden Durchschnitten, Stochastik, MACD usw. Er hat an zahlreichen Beispielen gezeigt, dass diese Instrumente, mit denen er früher gute Ergebnisse erzielte, nicht mehr richtig funktionieren.

Ja, es stimmt, wer stur durchgehalten hat, sich um keinerlei Details gekümmert hat, hätte außerordentliche Erfolge erzielen können. Man kann auch sagen, je vorsichtiger jemand zu Werke gegangen ist, je mehr er auf kurzfristigere Instrumente gesetzt hat, je weniger Erfolg konnte er erzielen. Und das, wie sie richtig schreiben, in Zeiten geringer Volatilität und klaren übergeordneten Trends.

Wenn sie sich die Zeitpunkte der "Knicks" in der Performance des TrackRecords ansehen, dann fällt auf: Frühjahr 2010 war das erste Griechenland-Debakel. Im Dezember 2011 hatte sich die EZ-Krise so verschärft, dass die EZB erst einen LTRO (im Dez 2011) und dann noch einen (im Feb 2012) ausgab. Im Sommer dann das Statement von Draghi, alle zu tuin, um den Euro zu retten. Im Frühjahr 2013 schlugen sich deutlichere Erholungszeichen auf der Makroseite nieder.

Ich denke, der Zusammenhang ist folgendermaßen:

Aufgrund der Liquiditätsflut (EZB mit anderen Mittel wie die Fed, aber immer recht eng synchronisert) klafften die makroökonomische Basis und deren Widerspiegelung in Kursverläufen immer weiter auseinander.

"Mohamed El-Erian, Pimco sagt, Anleihen, Aktien, egal welcher Markt, alle seien künstlich hochgetrieben worden. Die Zentralbanken verfolgen weltweit ihre wirtschaftlichen Ziele, Wachstum und Jobs und halten dabei bewusst zu lange an der Geldflutung fest. Dadurch bedienen sie den “animalischen Instinkt” der Investoren und zwingen sie, getrieben durch ein Mix aus Gier, Hoffnung und Unsicherheit, mehr Risiken einzugehen als gerechtfertigt wäre." (Quelle: http://www.timepatternanalysis.de/Blog/2013/04/21/konsolidierung-voraus/)

Das entzieht v.a. den weit bekannten gebräuchlichen technischen Gesichtspunkten nach und nach die Grundlagen. Die Kursentwicklung geschieht normalerweise in einem zyklischen Prozess, in dem sich die unterschiedlichen Akteure abgleichen. Darauf ist im Grund das ganze technische Instrumentarium ausgerichtet, wie Oszillatoren und gleitende Durchschnitte mit ihren signalgebenden Schnittpunkten. Das verunsichert Anleger, die mit diesen Instrumenten umgehen, sie können die Kursbewegungen nicht mehr nachvollziehen, ersticken förmlich in Fehlsignalen.

Seitens der Notenbanken wird versucht, durch billiges Geld den Banken Gewinnmöglichkeiten zu verschaffen, mit denen sie sich refinanzieren können. Daher spielen momentan auch Bewertungsaspekte keine Rolle, es ist ziemlich egal, ob die Bewertungen hoch sind oder nicht. Auch das trägt dazu bei, dass die erfahreneren Anleger mit ihrer "traditionellen" Sichtweise immer unsicherer werden.

Seit 2013 laufen Makrodaten und Kurse wieder stärker parallel, wenn auch mit riesengroßem Abstand zueinander. Da ist es kaum Zufall, dass technische Ansätze wieder besser funktionieren – die "innere Technik" funktioniert wieder besser.

So lange der Geldfluss anhält, so lange gehen die wirklich großen Player an den Finanzmärkten mit ihm. Und so lange steigen die Kurse noch. Leider verfügen wir als Außenstehende (aus gutem Grund…) über keine guten zeitnahen Informationen hinsichtlich des Liquiditätsflusses. Ganz kurzfristig kann man sich zwar den IRX (Liquiditäts-"Parkplatz") ansehen, aber der ist sehr volatil. Dann gibt die verschiedenen Geldmengenaggregate und zugehörige Multiplikatoren. Aber wenn sich da eine nachhaltige Wende (hin zu einer Seitwärtsphase) abzeichnet, ist es schon ziemlich spät für eine Reaktion. Hinzu kommt, dass diese auch von anderen Faktoren beeinflusst werden (es soll ja auch noch eine Realwirtschaft geben…). Dadurch ist der kausale Zusammenhang zu Asset-Entwicklungen eben auch nur locker ("Schlupf" einige Wochen bis Monate – wichtig auch die Menge des zwischenzeitlich von den Profis akkumulierten Materials, das bei Versiegen des Geldflusses kursschonend unter die Leute gebracht werden muss).

Trotzdem lohnt ein Blick auf die Geldmengenentwicklung – z.B.: http://research.stlouisfed.org/fred2/series/WMZMNS
Achten Sie auf die Seitwärtsphasen und was dann der SPX gemacht hat!

Professionelle Großinvestoren verfolgen noch eine Reihe von speziellen Spreads bei Anleihen.

Ich kann also Ihre Beobachtungen voll und ganz unterschreiben. Die Märkte (Aktien v.a.) sind v.a. seit Ende 2011 in ihrer "inneren Technik" (Zusammenhang zum Makrofundament und dem normalen zyklischen Anpassungsprozess) instabil, in ihrer "äußeren Technik" (Chartverlauf) sehen sie, getrieben von billiger Liquidität stabil aus (was trügerische Sicherheit schafft).

Letzten Endes ist diese Situation nur zeitweilig – gerade weil sie so hohes Unsicherheitspotenzial in sich trägt. Was aber genau "zeitweilig" heißt, ist schwer zu sagen. Vanguard z.B. geht von steigenden Aktienkursen bis gegen Ende des Jahrzehnts aus (siehe im Blog!). CoBa-Krämer glaubt auch, dass es noch einige Jahre so geht. Irgendwann, wenn das "zeitweilig" vorbei ist, gibt es einen Crash.

Von der historischen (makroökonomischen) Hintergrund-Situation her ist das wahrscheinlich vergleichbar mit dem Crash 1987, der der Erholung nach 1982 folgte. Danach wäre die Situation dann bereinigt und man steht wieder auf technisch soliden Füßen.

Bis dahin könnte es für Trader, die nach normaler, geläufiger Technik (und den entsprechenden Signalen) handeln, schwierig bleiben, Geld zu verdienen. In solchen Phasen verdient der Geld, der genau die Geldflüsse kennt und mfr bis lfr unterwegs ist (und sich vor gar nichts graut, so lange die Geldflut ungebremst weiter geht).

Einen indirekten Proxy für Geldfluss haben wir in der fraktalen Diagnose der TimePatternAnalysis, die Ähnlichkeit der Kursverläufe zu linearen Mustern und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die weitere Kursrichtung. Wir veröffentlichen ja hierzu täglich einen Chart auf der Startseite. Zugegebenerweise ist das so nicht so einfach zu interpretieren – wir arbeiten an einer eingängigeren Darstellung.

Ja, so viel mal als lockere Gedankensammlung zu dem Thema.

Schön, dass Sie einen Blogbeitrag dazu anregen. Ich denke schon länger darüber nach, aber ich glaube, ich brauche noch etwas Zeit, um das alles in eine richtige, konsistente Form zu bringen. Vielleicht haben Sie noch weitere Anregungen dazu aus Ihrer Sicht?

Erst einmal einen schönen Abend und herzliche Grüße aus dem frühlingshaften Deutschland!

Klaus Singer


Antwort von 'Duende del sur'
hallo herr singer,

ich danke ihnen sehr fuer ihr mail.

da habe ich ja foermlich in einen bienenstock geschossen!
an eine solche ausfuehrlichkeit hatte bei der fragestellung gar nicht gewagt zu denken.
ich finde fuer einen blogbeitrag reichen die beobachtungen und schluesse vollkommen.

wie man sich in solchen zeiten einigermassen rational verhalten soll, waere eine ganz andere und ebenso interessante frage….
falsch waere ja nun richtig und angesichts fehlender alternativen, alternativlos, sage ich nur, bleibt wohl nicht viel anderes uebrig als mit dem ueberladenen zug zu fahren, oder mit dem gepaeck am bahnhof zu bleiben, wobei man dort noch geafahr laeuft beklaut zu werden.

gewissermassen freut es mich, dass ich mit meinen koffern nicht allein dastehe.

in dieser alternativlosigkeit habe ich mir mein ganz privates kochrezept zurechtgelegt: ein wenig gepaeck auf den zug mit dem bewaehreten lokfuehrer stellen (berkshire b shares, ist noch aus jeder krise mit gewinn gefahren) und den konkreten, wenn auch nicht gerade preiswerten erste klasse dividendenwagons, wie z.b. reynolds, boss, gerneral mills, hawesko. (geraucht, gekleidet, gegessen und gesoffen wird ja immer) und hoffen, dass die bruecke haelt…als notbremse halte ich ein dax short-etf parat, der verwaessert aber bisher doch immer alles.

ich weiss noch nicht, ob es am ende spaghetti mit ketchup oder ein 5 sterne menu wird, oder ob ich mir das ganze genau so gut haette sparen koennen.
interessanterweise konnte man bis vor kurzem mit solchen langweilern-aktien (ausser boss) kein blumentopf gewinnen, derzeit ziehen sie aber recht deutlich an, waehrend gehypte fantasiewerte wie facebook, twitter, ubiquity, tesla, federn lassen.
rotiert da was, oder ist es nur zufall ? die evidenz ist bei 4 werten nun nicht die groesste, ich habe nur leider nicht die zeit das genauer zu untersuchen.

meist kommt das ende schneller als man denkt, gerade wenn der film lange gedauert hat.
wenn viele zweifler angesichts permasteigender boersen unter erklaerungs- und performancedruck kommen, und aller vernunft zum trotz doch einsteigen (so wie ich selbst z.b.), oder durch andere, forschere fondsmanager ersetzt werden, war da nicht was bei pimco?, koennte die veranstaltung schon in der letzten phase sein.

ein ganz anderes damokles-schwert ist mir auch noch aufgefallen:
die nach umsatz geordneten groessten welt-waffenhersteller No. 2 lockheed, No. 3 boing und No. 4 northrop sind in parabolische bewegung uebergegangen.
wer auch immer diese waffen gekauft hat, er hat das sicherlich nicht zum spass gemacht.

ein groesserer konflikt waere dem ballon sicher nicht zutraeglich.

Vielleicht, oder hoffentlich zu weit hergeholt.

"Duende del sur"


 
Anmerkung:
Zum Thema "Liquidität" gibt es z.B. den meist recht aussagekräftigen TED-Spread:

Der TED-Spread ist die Differenz zwischen dem Dreimonats-Libor und der Rendite für 13-wöchige US-TBills (IRX). Er zeigt an, wie sich die Liquidität der Banken entwickelt. Mit zunehmender Liquidität steigt auch das Angebot am Geldmarkt, der Spread sinkt. Umgekehrt führt ein Rückgang der Liquidität zu einem steigenden Spread. Wenn Banken der weiteren Entwicklung im Bankensystem misstrauen, verkaufen sie Assets und schichten in TBills (“Parkplatz”) um.
Der TED Spread steigt in der Regel auch bei einer Zunahme der Inflation.

(Siehe auch hier!)

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