Deutschland – arm dran?

Die EZB hat jetzt ihren lange erwarteten Bericht „The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey“ veröffentlicht. Die Studie sollte ursprünglich bereits im März erscheinen. Beobachter hatten die Verzögerung mit der Zypern-Krise in Zusammenhang gebracht.

Die Studie zeigt in der Tat brisanterweise, dass Deutschland den geringsten Netto-Median-Wohlstand in der Eurozone aufweist, Zypern hingegen den zweithöchsten. Die Studie basiert auf Umfragedaten bei 60.000 Haushalten aus 2009 und 2010. Hier die Rangfolge (h/t Eurointelligence):

Was sind die wesentlichen Gründe für diese beachtenswerte Rangfolge? Da ist zunächst die Verteilung hinsichtlich Immobilieneigentum, dem wichtigsten Faktor beim Haushaltsvermögen. Deutschland hat hier mit 44% die geringste Quote in der Eurozone. In Frankreich liegt der Anteil derer, die im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung leben, bei 57,9% und in Spanien sogar bei gut 82% (Chart-Quelle).

Es gibt einige statistische Unsicherheiten zu beachten, etwa bei der Frage, wie ein Haus in Spanien oder Zypern relativ zu einem in z.B. Deutschland bewertet wird. Zudem tendieren offizielle Datenerhebungen bei einem Platzen der Immobilienblase dazu, die Werte höher darzustellen als es der Realität entspricht. Einen Eindruck davon, wie hoch solche Abweichungen werden können, bekommt man, wenn man zusätzlich zum Preisniveau betrachtet, wieviel Transaktionen überhaupt stattfinden. In bestimmten Regionen Portugals und Spaniens z.B. sind die Preise seit Jahren stabil hoch, aber es wird kaum ge- und verkauft.

Nicht eingeschlossen sind in der Betrachtung der EZB auf der Netto-Vermögensseite zudem Pensionen, bzw. Pensionsansprüche.

Weiter gilt der Medianwert zwar als politisch besonders relevant, aber nach dem arithmetischen Mittel schneidet etwa Deutschland mit knapp 200.000 Euro Vermögen pro Haushalt klar besser ab. Das wiederum weist auf eine starke Ungleichmäßigkeit der Vermögensverteilung hin – je größer die Abweichung der beiden Werte, je ungleichmäßiger ist die Verteilung (Chart-Quelle).

Deutschland hat viele Jahre damit zugebracht, sein Preis- und Kostenniveau gegenüber den anderen Eurozonen-Ländern zu deflationieren. Andere, v.a. in der südlichen Peripherie, haben inflationiert. Nach einer solchen, mehr als zehn Jahre andauernden Phase würde man allerdings für Deutschland schon erwarten, dass auf der Vermögensseite mehr „hängen bleibt“ und nicht nur ein zweifellos hoher Lebensstandard. Die Erklärung der Bundesbank hierzu lautet vereinfacht: Wer ein Haus besitzt, unterwirft sich einer Art Zwangssparen und baut früher und mehr Vermögen auf.

Die EZB-Studie stellt auch die Annahme in Frage, dass die deutschen Haushalte höhere Sparguthaben und höhere Finanz-Assets besitzen als die in den südlichen Nachbarländern. Der typische zyprische Haushalt verfügt über 22.000 Euro an Finanz-Assets, doppelt so viel wie in Frankreich und fast fünf mal so viel wie in Griechenland. Ein deutscher haushalt kommt auf 17.000 Euro.

Andererseits haben aktuelle Daten von EuroStat gezeigt, dass das BIP pro Kopf in Deutschland als Maß für Einkommen in 2010 mit 29.000 Euro das höchste der Eurozone war. Es liegt bei fast 120% des EU-Durchschnitts, Griechenland kommt auf 87%, Italien auf 101%, Spanien auf 99%.

Die Brisanz der EZB-Studie ist klar: Partiell erweist sich die Erzählung vom notleidenden Süden und dem wohlhabenden Norden als Märchen. Fünf Monate vor der Bundestagswahl stützt das die Positionen derjenigen, die einen höheren Beitrag der einheimischen zur „Rettung“ ihrer eigenen Länder fordern. Je nach Einstellung liefe das auf noch höhere Sparanstrengungen der Staaten oder stärkere Beteiligung der Haushalte an der Banken-Sanierung nach dem Vorbild Zyperns hinaus.

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