Risiken? Welche Risiken?

In der Anlegergemeinde heißt es gern, wenn ein Risiko von vielen (marktbestimmenden) Akteuren gesehen wird, ist es „eingepreist“ und spielt für die Kursentwicklung nur noch eine untergeordnete Rolle. Demzufolge geht es bei der Frage, welche Faktoren Kurse stark beeinflussen, darum, welche bedeutenden Risiken zu gegebener Zeit wenig beachtet werden.

Merrill Lynch hat amerikanische Fonds-Manager befragt. Demnach ist die „fiscal cliff“in aller Munde, auch die europäische Schuldenkrise ist bekannt. Welche sogenannten „tails risks“ weniger beachtet werden, zeigt der Chart.

Die Analysten von Merrill Lynch zählen eine Bond-Markt-Blase zu den bisher wenig beachteten Risiken. Das wird gestützt durch den starken Zufluss in Anleihe-Fonds seit 2009 (siehe Chart!). Das entspricht dem „risikolosen“ Geschäftsmodell zahlreicher Finanzinstitute: Man nehme einen nahezu kostenlosen Zentralbank-Kredit auf und kaufe damit Anleihen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Bond-Blase gleich morgen platzt – auch deshalb, weil die Fed mit ihrer Politik dafür sorgt, dass die Spreads einstweilen klein bleiben. Daher ist auch das Risiko hier gegenwärtig gering, aber es dürfte sich ein deutliches Gefahrenpotenzial aufbauen.

Die Kursentwicklung von ETFs auf Unternehmensanleihen und Emerging Markets untermauert das Bild einer kommenden Anleihenblase.

Basierend u.a. auf der Kursentwicklung bei Anleihen, wurde der nachfolgend abgebildete „Fear-Indikator“ entwickelt. Er zeigt eine seit Juli anhaltende Phase niedrigen Risiko-Sentiments, zuletzt seit der zweiten Hälfte September bis vor einigen Tagen durchgehend auf Extrem-Niveau. Übergroße Sorglosigkeit ist stets ein Warnzeichen vor rauhen Zeiten.

Die Argumentation, dass die wenig beachteten Risiken diejenigen sind, die das künftige Kursgeschehen besonders bestimmen, ist einleuchtend. In der jüngeren Vergangenheit gab es allerdings eine zunehmende Neigung der „Märkte“, politische Probleme herunterzuspielen, nur um sich dann umso „konsternierter“ zu zeigen, wenn die Politik in kritischen Situationen keine Lösung fand. Man denke an April 2010, als Griechenland zum ersten Mal pleite ging, man denke an Juli/August 2011, als Demokraten und Republikaner sich dabei verhakten, die Schuldenobergrenze aufzusprengen. In beiden Fällen war das Risiko Monate vorher bekannt, richtig reagiert wurde aber erst Tage vorher (Chart des S&P 500 von Incrediblecharts).

Aus diesem Grunde sollte man vorsichtig sein mit dem Argument, die „fiscal cliff“ sei hinreichend bekannt und daher eingepreist. Sie dürfte keineswegs „gegessen“ sein, sondern sollte noch (weiterhin) für heftige Kursausschläge sorgen.

Wenn man generell fragt, was abgesehen von (unerwarteten) Risiken Katalysator für heftige Kursbewegungen sein kann, so ist entscheidend, wann marktbestimmende Akteure für sich entscheiden, Gewinne mitzunehmen. Beginnen diese, sich heraus zu schleichen, bleibt das nicht lange unbemerkt, andere schleichen hinterher, dann wird es schließlich am Ausgang eng. Mit dieser Thematik befasst sich eine Studie von Xavier Gabaix, H. Eugene Stanley, Parameswaran Gopikrishnan und Vasiliki Plerou. In „A Theory of Large Fluctuations in Stock Market Activity” wird eine Theorie präsentiert, die überschießende Volatilität in relativ illiquiden Märkten von den Handelsaktivitäten großer institutioneller Investoren her erklärt. Das bestärkt auch, dass die Analyse des Verlaufs des Handelsvolumens eine bedeutende Rolle spielen sollte.

Der Blick auf den S&P 500 zeigt, dass der Index an einem sehr kritischen Punkt steht. Die aktuell im Test stehende Aufwärtslinie hat die Kursbewegung seit September 2011 gestützt. Sie ist selbst eine Parallele einer Aufwärtslinie aus März 2009.

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