Angst

Im Interview mit der FAS (12.8.12) stellt der Angstforscher und Soziologe Frank Furedi fest: „Angst ist ein großes Thema geworden. Es gibt geradezu ein inflationäres Bedrohungsbewusstsein…“ Uns werde signalisiert, bei neuen Problemen die schlechtest mögliche Entwicklung zu erwarten. Der Begriff „Risiko“ werde neu besetzt, wer etwas wage, gewinne nicht mehr. Wir seien heute von einer „folgenschweren Hypersensibilität gegenüber Veränderungen geprägt.“

Furedi datiert den Beginn dieser Entwicklung auf die späten 1970er Jahre. Bedingt durch zahlreiche Enttäuschungen seien in dieser Zeit das menschliche Urvertrauen in eine positive Zukunft und die Fähigkeit verloren gegangen, Risiko aus einer experimentellen Perspektive zu betrachten. Entstanden sei eine „fatalistische Gesellschaft, die nicht glaubt, dass sie ihre eigenen Probleme lösen kann.“

Risikoaversion führt zu Verantwortungsaversion, sagt Furedi. Die Kultur der Angst habe eine bestimmte Art von Politikern hervorgebracht, die „nichts entscheiden, ungern Verantwortung übernehmen und sich nach allen Seiten absichern.“

An dieser Diagnose ist viel Wahres. Mag sein, dass der Grundstein einer solchen Entwicklung in den späten 1970er Jahren gelegt wurde, als das Thema Umweltzerstörung aufkam. Die entscheidende Beschleunigung dieser Entwicklung sehe ich aber zu Beginn des neuen Jahrtausends. Die Terror-Anschläge und die Reaktion der westlichen Welt hierauf dürften dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, ebenso wie ihre sich damals abzeichnende Wachstumsschwäche. Und die Finanzkrise gab einen weiteren Schub.

Furedi schlägt den Bogen zur Eurokrise: Die Verantwortungsaversion der Politiker bewirkt, dass sie zunehmend stärker auf Sachzwänge abstellen. „Alternativlos“ wird in ihren Mündern zum Modewort. Das aber führt zu inhaltlicher Entleerung, besser gesagt zu Ideen- und Phantasielosigkeit. Alle redeten nur noch davon, wie viel gespart werden muss und unter welchen Bedingungen Hilfsgelder verschoben werden. Dabei müsste darüber diskutiert werden, wie die Wirtschaft neu organisiert werden kann, um die Probleme in den Griff zu bekommen. So kann die Schuldenkrise nicht gelöst werden, sagt er.

Ich füge hinzu: Die in Deutschland immer lauter werdenden Rufe der etablierten Politiker nach einer Volksabstimmung über die Euroretterei passt in diese Kultur der Verantwortungsaversion.

So weit, so gut und richtig. An zwei Punkten gleitet Furedi allerdings in sozio-psychologisierende Sphären ab. Zu einen behauptet er, die Bankenkrise sei das Ergebnis gerade risikoaversen Handelns, weil ihr Ausgangspunkt neue Finanzprodukte gewesen seien, mit denen Banken ihr Geschäftsrisiko zu minimieren suchten. Zum anderen sieht er einen Grund für die Verselbständigung der Angst im Fehlen eines gesellschaftlichen Konsens über moralische Werte. Das führe zu Unsicherheit und mache Angst.

Der Bezug zur Wirtschaft ist mir wichtiger: Angst ist aus Sicht der Medien eine interessante Einnahmequelle. Angst macht manipulierbar, empfänglich für Skandalgeschichten, Überzeichnungen. Aufbauschende Kampagnen verunsichern weiter – die Angst nährt die Angst (und die Kassen der Medienkonzerne).

Angst macht auch blind – der Bürger lässt seine Gedanken gefangen nehmen, er denkt und handelt im Affekt oder erstarrt in Lethargie. Das macht ihn für die Politik manipulierbar. Der Staat spricht dem solchermaßen paralysierten Bürger verantwortungsbewusstes Handeln ab, hält ihn nicht mehr für mündig. Daraus wird unter den Schlagworten „Qualität“ und „Sicherheit“ der Vorwand abgeleitet, dass der Staat alles bis ins Kleinste reglementieren muss.

In der Schulden-, bzw. Euro-Krise geht das Angst-Thema aber noch weiter. Mit der Drohkulisse eines wirtschaftlichen Kollaps erreicht die Politik (bisher), dass die Bürger es geschehen lassen, die Banken mit ihren Steuergeldern erneut zu retten. Denn im Kern ist die Eurokrise eine Bankenkrise.

Mag sein, dass manche Politiker vom Angst-Bazillus genauso befallen sind wie der Rest der Gesellschaft und subjektiv „ehrlich“ an die „Alternativlosigkeit“ ihrer einfallslosen Rezepte hinsichtlich Euro-Krise glauben. Objektiv nutzt die „Kultur der Angst“ nur den Empfängern der Rettungsgelder, letztlich dem „systemrelevanten“, völlig überdimensionierten europäischen Bankensystem.

Eine solche „Kultur der Angst“ ist immer auch eine Umgebung, in der politische Extreme einen Nährboden finden. Hierzu passen antidemokratische, Putsch-artige Strömungen „von oben“, wie sie sich etwa im jeder Kontrolle entzogenen ESM zeigen.

Siehe auch: "Das Einzige, vor dem wir uns fürchten sollten, ist die Kultur der Angst selbst"

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