China: Kein Fest, das nicht zu Ende geht

China hat im Februar ein massives Handelsbilanzdefizit von minus 31,5 Mrd. Dollar verbucht nach einem Überschuss von 27,3 Mrd. Dollar im Januar. Das ist das größte chinesische Handelsbilanzdefizit in einem Jahrzehnt und das erste Defizit seit einem Jahr. Die Exporte wiesen im Februar im Vergleich zum Vormonat einen der schwächsten Zuwächse seit vielen Jahren aus. Gleichzeitig wuchsen Chinas Importe im Februar um fast 40% gegenüber dem Vorjahresmonat. Die chinesischen Exporte in die Eurozone sind in den ersten zwei Monaten dieses Jahres um 1,1% im Vergleich zu 2011 gesunken.

Die Verbraucherpreise stiegen im Februar im Jahresvergleich um +3,2% nach plus 4,5% im Januar. Das ist die niedrigste Zuwachsrate seit 21 Monaten. Die Produzentenpreise blieben im Februar im Jahresvergleich mit 0% flach nach plus 0,7% im Vormonat. Die Zuwachsrate geht hier seit August 2011 zurück.

Die vorstehenden Makrodaten sind nur ein Schnappschuss der zurückliegenden Tage. Aber sie sind konsistent zu einer Reihe schwächerer Daten der vergangenen Monate.

Das Inflationsziel der chinesischen Zentralbank (PBoC) liegt bei 4%. Bei einem aktuellen Leitzins von 6,56% und einem Mindestreservesatz für chinesische Geschäftsbanken von 20,5% hat die PBoC Handlungsspielraum. Den wird sie nutzen. Erst vor kurzem hatte sie die Mindestreservesätze gesenkt.

Die Frage ist, ob die chinesische Führung wie geplant eine „weiche Landung“ bei Zuwachsraten von 7 bis 8% hinbekommt (nach plus 9,2% in 2011 und plus 10,4% in 2010).

Die Weltbank hatte vor kurzem festgestellt, es seien tiefgreifende marktwirtschaftliche Reformen notwendig, um das langfristige Wirtschaftswachstum zu sichern. Ansonsten könnte China in der “Middle-income trap” gefangen sein.

Satyajit Das hat zu diesem Thema einen umfangreichen Bericht verfasst, der unter dem Titel „All Feasts Must Come to an End“ bei Eurointelligence erschienen ist, gekürzt auch bei amerikanischen Internet-Seiten. Nachfolgend eine Zusammenfassung.

Chinas Wirtschaft dürfte in der Zeit zwischen 2007 und 2012 einschließlich um ungefähr 60% wachsen, gleichzeitig haben die entwickelten Länder nur um 3% expandiert. Vor der Finanzkrise wurde China durch seine hohe Anzahl an billigen Arbeitskräften zur globalen Werkbank, etwa 50% des nationalen Outputs wurden exportiert. Das half, die Inflation weltweit gering zu halten.

Gleichzeitig wurde das Land zu einem großen Rohstoff-Importeur. Zwischen 1990 und 2010 stieg Chinas Anteil am weltweiten Kohleverbrauch von 24 auf 50%, die Kohlepreise verdoppelten sich in dieser Zeit. Im gleichen Zeitraum stieg Chinas Anteil am weltweiten Ölverbrauch von 3 auf 10%, die Ölpreise kletterten gleichzeitig um 233%. Profiteure waren die Rohstofflieferanten, vor allem Australien, Kanada, Brasilien und Süd-Afrika.

Chinas Währungsreserven belaufen sich mittlerweile auf über 3,2 Bill. Dollar und finanzieren die Staaten der entwickelten Länder, insbesondere die USA. Die exportierten chinesischen Ersparnisse von etwa 400 Mrd. Dollar jährlich dürften die US-Renditen um etwa 1% drücken.

In den Jahren nach der Finanzkrise trug China zusammen mit Indien und Brasilien einen großen Teil zum weltweiten Wachstum bei. Die Bedeutung, sich bei China verschulden zu können, nahm für die westlichen Länder noch zu.

Die erste Phase des offenen Ausbruchs der Finanzkrise traf China hart. Dagegen wurde Ende 2008 zunächst ein relativ bescheidenes Anreizpaket gesetzt – Volumen etwa 600 Mrd. Dollar, Laufzeit zwei Jahre. Der Hauptanteil der Anreizpolitik wurde über die großen, meist staatlich kontrollierten Banken abgewickelt. In 2009 und 2010 betrug der Umfang neuer Kredite etwa 40% des BIP, die ausstehenden Darlehen stiegen in den zurückliegenden beiden Jahren um 50% an. Davon gingen etwa 90% in Gebäude, Fabriken, Maschinen und Infrastruktur von Staatsbetrieben. 2010 kamen die Investitionsausgaben mit 2,6 Bill. Dollar auf 58% des BIP. Nach Weltbank stammt nahezu das gesamte chinesische Wachstum seit 2008 aus staatlich gesteuerten Ausgaben.

Die gesamten ausstehenden Kredite summieren sich in China auf 130 bis 140% des BIP. Ein signifikanter Anteil der Schulden der Provinzregierungen ist über Immobilien abgesichert oder sonst von Immobilenpreisen abhängig.

Im Februar hat die chinesische Regierung ihre Banken angewiesen, 1,7 Bill. Dollar an fälligen Krediten von Provinzregierungen zu verlängern, da man davon ausging, dass es bei Rückzahlung, bzw. Refinanzierung Schwierigkeiten geben würde. Durch solches hinhalten und verlängern wird der Tag der Wahrheit aber nur verschoben. Schlechte Schulden dürften signifikante finanzielle Ressourcen binden und den einheimischen Verbrauch konterkarieren.

Ende des vorigen Jahrtausends hatten schon einmal kreditfinanzierte Überinvestitionen zu einer schweren finanziellen Krise geführt, deren Auswirkungen bis ins Jahre 2004 reichten. Damals allerdings blieben die Konsequenzen für das Wachstum gering, da die Nachfrage aus den industrialisierten Ländern hoch war. Jetzt aber ist die Situation anders – die wichtigsten Handelspartner Chinas werden entweder gar nicht oder nur sehr langsam wachsen.

Eine kurzfristig wirksame Maßnahme, die Banken zu entlasten, besteht darin, den Spread zwischen Guthaben und Soll-Zinsen hoch zu halten. Das verbessert ihre Profitabilität, führt aber dazu, dass Einkommensteile von Haushalten und Unternehmen auf Banken umverteilt werden. Daraus resultiert sinkendes Konsumwachstum – gerade zu einem Zeitpunkt, wenn die externen Wachstumsimpulse nachlassen.

Längerfristig sind die Folgen von schuldenfinanzierter Überinvestition ungenügende Rentabilität bis hin zu netto Verlusten bei Projekten. Das reduziert letztlich volkswirtschaftliches Wachstum. So auch in China: Der Hauptteil des Investitionen geschah im Infrastruktur-Bereich (Schiene, Straße, Flughäfen). Der Ausbau fand sehr schnell statt, demzufolge ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass etliche Projekte sich am Ende als nicht produktiv erweisen. Künstlich niedrige Zinsen begünstigen Fehlinvestitionen. Es ist von Geisterstädten und Geister-Einkaufsvierteln die Rede. Mehr als 60 Millionen Häuser und Appartements sollen leer stehen, gekauft aus Spekulation auf steigende Immobilienpreise, dabei zum Teil unfertig, um Steuern zu sparen.

Keine Frage, in China hat sich eine Immobilienblase entwickelt – zusätzlich gibt es Anzeichen von spekulativem Fieber. In zahlreichen Städten fallen die Preise für neue Wohnungen seit einigen Monaten. Auch bei Gewerbeflächen herrscht inzwischen ein Überangebot. Die Rolle von Schattenbanken bei der Immobilienfinanzierung wächst.

Analysten melden zudem eine sinkende Effizienz chinesischer Investitionen. Man geht davon aus, dass aktuell mit einer Verschuldung von 6 bis 8 Dollar noch eine BIP-Anhebung um einen Dollar erreicht wird. Vor 20 Jahren brachten ein bis zwei Dollar an Schulden dasselbe Ergebnis. Zum Vergleich: In den USA waren vor dem offenen Ausbruch der Finanzkrise 4 bis 5 Dollar erforderlich, um einen Dollar BIP-Zuwachs zu erreichen.

Die Europäische Handelskammer hat in einem Bericht 2009 Überkapazitäten bei Stahl, Aluminium, Zement, Chemie, Raffinerie und Windkraft herausgestellt. Z.B. lag 2008 Chinas Stahl-Kapazität bei 660 Millionen Tonnen gegenüber einem Bedarf von 470 Millionen Tonnen. Die Differenz entspricht der gesamten Stahlfertigung der EU. Chinas Zement-Überschusskapazität ist größer als der gesamte Verbrauch der USA, Indien und Korea. Seit 2008 ist der Ausbau der Kapazitäten noch weiter fort geschritten. Wenn diese Überkapazitäten im Inland keine Auslastung finden, drängen sie früher oder später auf den Weltmarkt.

Chinas Erholung nach dem offenen Ausbruch der Finanzkrise war kein Wunder, sondern Ergebnis einer „Botox-Wirtschaft“, wie Satyajit Das schreibt. Dabei kamen China die in einer solchen Situation hilfreichen Merkmale einer zentralen Planwirtschaft zum Zuge.

Jetzt sieht sich China aber zwei signifikanten Problemen gegenüber: Die Schwäche der beiden größten Handelspartner, der EU und den USA, bedeutet eine schwächere Entwicklung des Exports, gleichzeitig entwickeln sich die inländischen Seiteneffekte eines schuldengetriebenen Investitionspolitik.

Seit 2008 dürfte sich denn auch ein Teil von Chinas Wachstum als Illusion erweisen. Denn wenn bis zu 25% der Kredite, mit denen seither das Wachstum des Landes getrieben wurde, notleidend sind, bzw. werden, führt das bei einem Anteil neuer Kredite von etwa 40% des BIP zu Abschlägen von insgesamt 6 bis 10% des BIP.

Daher ist sehr fraglich, ob China die hohen Wachstumsraten beibehalten kann. Daraus ergeben sich soziale und politische Herausforderungen. Privater Verbrauch und Investitionen müssen neu justiert werden. Die Wirksamkeit weiterer staatlicher Anreize ist in einer solchen Umgebung unsicher.

Kommt es in China also zu einer „harten“ oder „weichen“ Landung?

Eine weiche Landung unterstellt, dass die Blasen im Investitions- und Immobilienbereich weniger stark oder gut beherrschbar sind; das Wachstum lässt langsam nach, ohne übermäßige soziale und politische Spannungen zu verursachen. Das impliziert allerdings: Peking hat ausreichende finanzielle Kapazität, um das Wachstum durch lockerere Geldpolitik und Kreditausweitung zu stützen; gleichzeitig kann die Regierung z.B. durch Restriktionen bei Immobilien-Transaktionen die Preise hier hoch halten; China kann ferner den heimischen Verbrauch ankurbeln und ihn an Stelle der Investitionen zur Haupt-Triebkraft des Wachstums machen; zudem kann die Überschusskapazität im Zuge der Erholung der Weltwirtschaft nach und nach absorbiert werden.

Diesem optimistischen Szenario steht eine harte Landung entgegen. Sie unterstellt, dass die Asset-Blasen schnell und unkontrollierbar platzen; die Probleme im chinesischen Bankensystem überschlagen sich; der Zusammenbruch des Wachstums schlägt sich in sozialen und politischen Unruhen nieder. Belastend käme noch hinzu, wenn das globale Umfeld schwach bleibt und Verluste bei ausländischen Investitionen verursacht.

Das Ende eines von Schulden und Investitionen getriebenen Wachstumszyklus ist typischerweise zerstörerisch, schreibt Satyajit Das. Japans Erfahrung lässt grüßen: Die Wirtschaft des Landes wuchs in den 1960er Jahren um 10%, in den 1970ern um 5%, in den 1980ern um 4% und stagniert seitdem in Deflation der ehemaligen Kreditblase.

…getreu einem alten chinesischen Sprichwort: „Es gibt kein Fest, das nicht zu Ende geht.“

Oder auf gut Deutsch: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“

Artikelbild: Wikipedia

Nachtrag:
(21.3.12) Eine sehr ausführliche, englisch-sprachige Untersuchung zum Thema, wie es in China weitergeht, findet sich bei "Also sprach Analyst". Titel: China economy: 2012 and beyond

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