Target2 kocht hoch

In der vergangenen Woche hat Bundesbank-Präsident Weidmann in einem Brand-Brief an EZB-Chef Draghi seine Besorgnis über das in den zunehmenden Target2-Salden schlummernde Risiko zum Ausdruck gebracht. Die Bundesbank hat aus dem Verrechungssystem der Eurozone nun Forderungen in Höhe von fast 550 Mrd. Euro angehäuft. Weidmann regt die Besicherung der deutschen Forderungen an. Wolfgang Münchau findet das heute in seiner FT-Kolumne „unglaublich extrem“.

Die EZB-Spitze ist in Aufruhr – Weidmanns Einlassung sei ein "verheerendes Signal", heißt es. Die Bundesbank räume damit erstmals ein, dass sie „ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone nicht ausschließt".

Weidmann legt nach: Er äußerte sich im „SPIEGEL“ kritisch hinsichtlich des jüngsten LTROs, die Konditionen seien "sehr generös" geraten. Weiter sagte er: „Das Programm vermittelt kurzfristig Ruhe, aber es ist eine Ruhe, die trügerisch sein könnte." Ihn treiben vor allem die tief gelegten Sicherheitsanforderungen um, die die Geschäftsbanken erfüllen mussten, um an EZB-Kredite zu kommen. „Die Notenbanken des Eurosystems nehmen substantielle Risiken in ihre Bilanz, die im Grenzbereich ihres Mandats liegen", sagte er.

Die Bedeutung der Target2-Salden des EZB-Systems wurde zuerst vor einem Jahr von Prof. Sinn, ifo-Institut, und seinem Co-Autor Timo Wollmershäuser publiziert. Dies geht auf ein Hinweis von Helmut Schlesinger zurück, von 1991 bis 1993 Präsident der Deutschen Bundesbank. Eine gute Erörterung der Risiken findet sich hier. Die Bundesbank hatte die Target2-Thematik anfangs als unbedeutend und als lediglich statistische Größe unter den Teppich zu kehren versucht.

Die internen Forderungen zwischen den Notenbanken der Eurozone enden spätestens dann in einer Katastrophe, wenn die gemeinsame Währung auseinanderbricht. Sollten deswegen die Forderungen eines Tages nicht einzubringen sein, könnte Deutschland auf Verlusten von bis zu einem Fünftel seines BIP sitzen bleiben.

Die ausufernden Target2-Salden sind Ausdruck eines nicht mehr ordnungsgemäß funktionierenden Banken-Sektors, schreibt Münchau richtig. Vor 2007 sind Leistungsbilanz-Ungleichgewichte durch die Geschäftsbanken finanziert worden. Danach sind die nationalen Zentralbanken Zug um Zug in diese Rolle eingetreten.

Münchau wundert sich: Niemand scheine zu begreifen, dass es gerade eines der Unterscheidungsmerkmale zwischen einer Währungsunion und einem System fester Wechselkurse ist, dass sich Leistungsbilanzungleichgewichte nicht automatisch ausregeln. Und er kommt zu dem Schluss, man müsse die Wurzeln des Problems angehen. Eine sei der anhaltende deutsche Leistungsbilanzüberschuss. Das ist so, als ob jemand sagt, er gehe sein Eheproblem an, indem er sein Eheproblem angeht.

Die Wurzel der Leistungsbilanzungleichgewichte in der Eurozone liegt nicht im deutschen Überschuss. Die Wurzel liegt zuerst in der jahrelangen ungleichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedsländer und dann in der Tatsache, dass dies unter bestimmten Bedingungen zu immer größeren innergemeinschaftlichen Krediten führen kann. Da man bei der Konstruktion der Eurozone nur an „schönes Wetter“ gedacht hatte, hatte diesen Fall niemand je im Auge. Oder vielleicht doch und man hat gerade deswegen keine Vorkehrungen getroffen?

Sei es, wie es ist: Man hätte nur in die USA zu schauen brauchen. Dort ist über das FedWire-System eine Bremse eingebaut: Die Feds der einzelnen Distrikte müssen im sechsmonatigen Turnus ihre Salden glatt stellen. Wenn man in der Eurozone ein vergleichbares System implementiert hätte, gäbe es heute kein Target2-Problem. Und das PIIGS-Problem wäre viel früher aufgebrochen – und damit besser beherrschbarer.

Per Target2 werden Mittel von Nord nach Süd transferiert. Mit Target2 haben wir längst einen Mechanismus wie Eurobonds, die Transferunion hat längst begonnen. Münchau stellt richtig fest, dass solche Ungleichgewichte, wie sie die Target2-Salden widerspiegeln, hochgradig negative wirtschaftliche Effekte haben, gleichzeitig favorisiert er Eurobonds.

Target2 ist ein Mechanismus, der sich jeder bewussten politischen Kontrolle entzieht. Er stellt einen Selbstbedienungsladen dar, bei dem Kredite äußerst zinsgünstig und für den Darlehensgeber unkündbar vergeben werden.

Wenn innerhalb einer Währungsunion wirtschaftlich schwache Teile gefördert werden sollen, dann ist das eine politische Aufgabe, die im Rahmen bewusster und gewollter Umverteilung von Ressourcen erfolgen muss. Dies darf aber nicht im Wege automatischer Mechanismen geschehen. Damit sind wir beim Knackpunkt: Eine Währungsunion ohne zumindest eine Fiskal-Union kann nicht funktionieren. Der im Dezember beschlossene Fiskalpakt aber ist längst zur Lachnummer verkommen.

Nachtrag:
(16.10.12) Vor einigen Tagen ist eine Streitschrift von Prof. Schünemann zu Target2 erschienen, in der er neben verfassungsrechtlichen Bedenken auch das Strafrecht berührt sieht. Bundeskanzlerin und Bundesminister hätten selbstverständlich den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren, ihre Nachlässigkeit könnte daher den Straftatbestand der Untreue erfüllen. Falls die Bundesregierung die Tragweite der EZB-Beschlüsse allerdings nicht überblickt, fehlte es am subjektiven Tatbestand. Dann aber rückt der Vorstand der Deutschen Bundesbank ins Visier, der seiner Pflicht, die Bundesregierung zu beraten, nicht nachgekommen ist.

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