Target2: Reallokation aller schlechten Risiken beim Eurosystem

In einem Artikel „Anmerkungen zum Target2-Streit“ befasste sich Prof. Dr. Stefan Homburg, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover, mit eben diesem Thema. Der Artikel stammt aus dem ifo Schnelldienst 16/2011, ist aber hinsichtlich der Einordnung von Target2 in die ökonomische und politische Euro-Schulden-Landschaft nach wie vor hochaktuell.

Homburg beschreibt zunächst anhand von praktischen Beispielen die Mechanismen dieses ausgeschrieben „Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer“ genannten Systems und kommt sodann zu dem Schluss:

„Target2 erlaubt aber nicht nur eine prinzipiell unbegrenzte Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten, sondern hat einen weiteren Anwendungsfall, nämlich die Finanzierung von Kapitalflucht (…). Dieses Szenario passt auf Spanien und erst recht auf Irland. In beiden Fällen haben sich private Gläubiger aus dem Staub gemacht und ist die EZB an ihre Stelle getreten. Ökonomisch kam es damit zu heimlichen Bailouts in bisher unbekanntem Ausmaß. (…)

Zusammengefasst reflektieren Target2-Salden realwirtschaftliche Forderungen oder Verbindlichkeiten. Ein Target2-Guthaben repräsentiert eine Nettoforderungsposition des betreffenden Landes, hinter der Ansprüche privater Sparer stehen. Umgekehrt repräsentiert eine Target2-Verbindlichkeit entsprechende Schulden des betreffenden Landes, sei es des Staates selbst oder seiner Einwohner und Unternehmen. Anders als Nettoforderungspositionen aufgrund privater Transaktionen sind Guthaben und Schulden im Target2-System ökonomisch nicht koscher, weil sie nicht auf Markttests und harten Kreditwürdigkeitsprüfungen beruhen, sondern auf der Usance des Eurosystems, alle Papiere zu akzeptieren, deren Rating oberhalb von D liegt. Es ist doch ganz einfach: Reagieren private Investoren elastisch auf Risiken, während das Eurosystem aus politischen Gründen unelastisch reagiert, dann findet im Markt eine Reallokation statt, an deren Ende alle schlechten Risiken beim Eurosystem liegen. Genau dies ist in den vergangenen Jahren geschehen."

Davon ausgehend untersucht Homburg das Risiko für Deutschland und stellt fest, dass im Prinzip das gesamte deutsche Target2-Guthaben auf dem Spiel steht. Zwar haftet Deutschland auf dem Papier zunächst „nur“ für 27% der Verluste des EZB-Systems. Je mehr Länder aber nicht mehr in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen, je weniger relevant ist dieser Prozentsatz am Ende.

Die Target2-Salden sind laut Homburg ökonomisch nichts anderes als Eurobonds, denn auch für die Schulden im Target2-System haben alle Mitgliedstaaten im Verhältnis ihrer EZB-Anteile einzustehen. „Dieser Aspekt ist außerordentlich wichtig und zugleich beunruhigend, weil die demokratisch legitimierten Volksvertreter Eurobonds abgelehnt haben, während diese auf der Hinterbühne bereits in riesigem Umfang existierten.“ Ähnliches gilt für den bald kommenden ESM: Er vergibt als Zweckvermögen Kredite an Problemstaaten, für die alle Mitglieder der Eurozone im Verhältnis ihrer EZB-Anteile einstehen müssen.

Und weiter: „Erst die Erkenntnis der Äquivalenz von Target2, Eurobonds und ESM erlaubt es, die jüngeren Konflikte zwischen den Regierungen der Eurozone auf der einen Seite und der EZB auf der anderen zu deuten: Die EZB stützt das Vorhaben eines ESM, weil sie insgeheim hofft, ihr Target2-Problem dorthin abzuschieben; sie will diese Schulden nicht am Hals haben. Ihre Hoffnung wird sich aber nicht erfüllen, denn die Regierungen sind ihrerseits nicht daran interessiert, die Target2-Schulden in ihren Einflussbereich zu übernehmen und dadurch gegenüber dem Steuerzahler sichtbar zu machen. Die Regierungen wollen vielmehr mit dem ESM einen parallelen, über das Target2-System hinausgehenden Haftungsverbund schaffen, der ihr wichtigstes Recht, das Recht zur
ungehemmten Verschuldung, auf lange Zeit stabilisiert.“

Homburg schreibt weiter, die beschriebenen Fehlentwicklungen hätten vermieden werden können, wenn die Target2-Salden hätten periodisch ausgeglichen oder zumindest durch vollwertige Sicherheiten unterlegt werden müssen. (Anmerkung: Dies ist z.B. beim FedWire-System der US-Zentralbank der Fall, wo zwei Mal im Jahr für einen Ausgleich der Salden gesorgt wird. Siehe hier!)

Würde man die Salden aber jetzt glatt stellen wollen, würde das Leistungsbilanzüberschüsse bzw. Kapitalimporte der Problemstaaten in dreistelliger Milliardenhöhe voraussetzen. Auch Forderungen, dass künftig nur noch vollwertige Sicherheiten akzeptiert werden dürfen, ist unrealistisch. Denn welche Sicherheiten können griechische oder irische Banken und Notenbanken denn beibringen, fragt Homburg und gibt sich selbst die Antwort: „Doch nur jene, die sie selbst akzeptiert haben, also Papiere jeder Bonität oberhalb bereits eingetretener Insolvenz.“

Sein Fazit: „Der Hinweis Hans-Werner Sinns auf die Gefahren, die sich im Target2-System zusammengebrauen, ist voll und ganz berechtigt. Volkswirtschaftlich sind die Target2-Salden äquivalent zu den (abgelehnten) Eurobonds und auch äquivalent zum (derzeit diskutierten) ESM. Indem das Eurosystem Ramschanleihen als Sicherheit akzeptiert, hat es die Errichtung des ESM vorweggenommen, einen gigantischen Haftungsverbund geschaffen und gegen die Grundregel guter Notenbankpolitik verstoßen, wonach geldpolitische Maßnahmen keine Umverteilungswirkungen haben sollten und von finanzpolitischen Maßnahmen streng zu trennen sind."

Die Forderungen der Deutschen Bundesbank aus Target2 sanken im Dezember 2011 um fast 32 Mrd. Euro auf gut 463 Mrd. Euro. Im November war der Target2-Saldo um fast 138 Mrd. Euro angewachsen – oder plus 42,3%.

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