Obamas historische Rede

US-Präsident Obama hat gestern Abend wieder eine der regulären Jahresanfangs-Reden zur Lage der Nation gehalten. Er hat dabei alle rhetorischen Register gezogen – und darin ist er wahrlich gut. Wallstreet brauchte nach der Lehman-Pleite einen solchen Redner, der die Leute ruhig stellen konnte, sie hat seinen Wahlkampf mit Millionen-Spenden unterstützt, und – sie hat ihn bekommen.

Was ist geworden aus all den hoch fliegenden Plänen vor seiner Wahl, aus „Change“, „Change“ und noch mal „Change“? (Fast) nichts.

Klar, die Republikanische Partei blockiert ihn, wo sie kann. Mit Erfolg, sie hat die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Das ist für einen solchen Redner wie Obama gut. So kann er sich hinstellen und auf den angeblich Schuldigen zeigen, der all seine schönen Pläne verhindert hat. Und davon ablenken, dass er seine Ziele nicht verwirklicht hat.

Obama hatte in seiner „State of the Union“-Rede vor einem Jahr den Fokus auf den Arbeitsmarkt gelegt und ein ehrgeiziges Job-Programm ausgerufen. Rund eine halbe Billion Dollar sollte es kosten, Millionen von Arbeitsplätzen sollte es schaffen. Die Republikaner blockieren auch hier. Abgesehen davon macht ein dreiviertel Jahr vor der Präsidentschaftswahl der Start eines solchen Programms keinen Wahlkampf-taktischen Sinn, weil es mehr Zeit benötigt, bis sich eventuelle Wirkungen zeigen.

Zudem gehen IWF und Weltbank in ihren aktuellen Prognosen davon aus, dass das globale Wirtschaftsumfeld nicht gerade günstig aufgestellt ist für die Schaffung von Abertausenden neuer Jobs. Die Fed hat sich mit ihren aktualisierten Projektionen an diese Sicht der Dinge angehängt und ihren Ausblick gegenüber dem von November 2011 weiter reduziert.

In dieser Situation hat Obama seinen politischen Schwerpunkt verschoben. Der Arbeitsmarkt steht nicht mehr oben an, jetzt spielt er „Occupy“-Bewegung, hängt sich an ausgewählte Inhalte dieser Bewegung an. Er macht sich zum Sprachrohr für die amerikanische Mittelklasse, die nicht nur durch die Finanzkrise und deren Folgen in Bedrängnis geraten ist. In gewisser Weise knüpft er mit dieser Taktik genau an seinen „Change“-Wahlkampf an.

Es kann gut sein, dass er damit ein weiteres Mal Erfolg hat. Auch deshalb, weil die Republikaner mit ihren Tea-Party-Gestalten zwar für Proteststimmen zwischen den Präsidentschaftswahlen gut sind. Für mehr aber auch nicht.

Wenn dann im November kein Umzugswagen vor dem Weißen Haus hält, wird es ernst. Obama hat sich zwar in der Schuldenkrise des Landes bis zur Präsidentschaftswahl hin Zeit gekauft. Aber dann dürfte Schluss sein mit steigender Verschuldung. Der Staat muss mehr einnehmen und wird es sich bei der Mittelschicht holen und er muss Ausgaben kürzen.

Obama muss seine Wählerschaft zwingend enttäuschen – wie bei „Change“ vor vier Jahren. Natürlich wird er wieder seine rhetorischen Kanonen in Stellung bringen. Das kann ihm erneut ein wenig Luft verschaffen. Aber irgendwann ist der Tag der Wahrheit. Und dann helfen keine noch so schönen Reden mehr. Abgesehen davon, dass das beim zweiten Mal sowieso nicht mehr so gut funktioniert.

Das Drehbuch kann man möglicherweise in „Debt – The first 5.000 years“ weiterlesen. Dass sich Obama für den dort beschriebenen „mesopotamischen“ Weg entscheidet, nämlich die Gleichbehandlung aller Schuldner mit dem Ergebnis, auch Schulden der "kleinen Leute" zu annullieren, ist mehr als unwahrscheinlich. Wenn Obama aber den „imperialen Weg“ geht und darauf besteht, dass Schulden heilig sind und nicht manipuliert werden dürfen (bei den "kleinen" Leuten), dann entsteht aus der ungleichen Behandlung von Kreditnehmern und Kreditgebern -manchmal über Generationen hinweg- eine revolutionäre Lage, wie Graeber, der Verfasser dieses Buches über die Geschichte der Schulden, schreibt.

Graeber steht mit seiner Auffassung nicht alleine. Der US-Ökonom Michael Hudson, der im Mai 2006 bereits den Zusammenbruch der Immobilienblase in den USA vorhergesagt hatte, hält die Occupy-Bewegung für „prärevolutionär“. Und auch George Soros hat in jüngerer Vergangenheit mehrfach vor Straßenkämpfen in Amerika gewarnt.

Und so hat der gestrige Auftritt Obamas möglicherweise weitreichende Konsequenzen: Er wäre im wirklichen Sinne "historisch", obwohl zunächst alles wie eine übliche politische Rede aussieht.

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