Von Griechenland nach Italien: Jetzt geht es an das Tafelsilber

Die Regierungen von Frankreich und Deutschland planen nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Unabhängigkeit der deutschen Bundesbank auszuhebeln. Ziel sind ihre Gold- und Devisenreserven. Das im Rahmen der jüngsten G20-Sitzung aufgetischte Thema verschwand wegen des Widerstands der Bundesbank zwar rasch wieder unter demselbigen, soll aber schon morgen erneut Gegenstand von Beratungen der Euro-Gruppe sein.

Zunächst sollen mehr als 50 Mrd. Euro der Devisenreserven des Systems der europäischen Zentralbanken an eine Zweckgesellschaft des EFSF verpfändet werden. Darüber soll der IWF per Sonderziehungsrechte verfügen können und damit Rettungsprogramme finanzieren.

Hintergrund ist die Sorge, der EFSF-Rettungsschirm könnte schon wieder zu klein sein. Der Fokus ist auf Italien geschwenkt. Auf der G20-Sitzung wurde das Land unter die Aufsicht des IWF gestellt. Hinzu kommt, dass das politische Desaster der Eurozone an der Wirksamkeit der EFSF-Hebelei zweifeln lässt (siehe "Nachtrag" unten!).

Werden die Pläne umgesetzt, würde der bundesdeutsche Haftungsanteil am EFSF um rund 15 Mrd. Euro steigen – wohlgemerkt ohne Beteiligung des Bundestags, der erst vor kurzem dem Steuerzahler eine –angesichts der gleichzeitig beschlossenen Hebelei unrealistische- EFSF-Haftungsobergrenze von 211 Mrd. Euro versprochen hat.

Und sie wären wohl nur der Anfang. Es locken: Goldreserven von insgesamt fast 400 Mrd. Euro, sowie Devisenreserven im Volumen von gut 580 Mrd. Euro. Der deutsche Anteil daran beträgt knapp 132 Mrd. Euro an Gold und gut 180 Mrd. Euro an Währungen.

Während das Bundesverfassungsgericht strenge Auflagen hinsichtlich der Mitwirkung des Bundestags an allen Eurozonen-Rettungsschirmen gemacht hat, laufen die großen Summen längst unter der Hand ohne seine Beteiligung an ihm vorbei:

Die EZB hat mittlerweile rund 180 Mrd. Euro an europäischem Staatsanleihen-Müll in den Büchern, davon 40 bis 50 Mrd. Euro an direkt gekauften und weitere etwa 90 Mrd. Euro an als Sicherheit hinterlegten Griechen-Papieren. Und über das europäische Zahlungsverkehrssystem Target2 sind die Forderungen der Bundesbank gegen das Euro-System auf 450 Mrd. Euro angeschwollen. Allein im August und September stiegen die Verbindlichkeiten der Banca d’Italia um über 80 Mrd. Euro an – Zeichen der Kapitalflucht aus dem Land des illustren Berlusconi.

Das Eigenkapital der EZB beträgt mickrige rund 11 Mrd. Euro – Peanuts angesichts der Risiken. Die Bundesbank haftet für die EZB mit einer Quote von 27%. Allein bei den Target2-Verbindlichkeiten der Euro-Südschiene (mit Irland) bei Deutschland, den Niederlanden und Finnland in Höhe von 630 Mrd. Euro mit 170 Mrd. Euro haftet die Bundesbank, also der deutsche Steuerzahler, in einer ähnlichen Größenordnung wie bei der EFSF.

Target2 wirkt ähnlich wie Eurobonds, erklärt Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut, weil sich Länder mit Leistungsbilanzdefiziten hierdurch automatisch refinanzieren. Die Schuldensünder sind so vom Zwang zum Abbau von Ungleichgewichten befreit, ein weiterer falscher Anreiz im Euro-System.

Das Gerede der europäischen Spitzenpolitiker von der „Alternativlosigkeit des Euro“ fördert das Erpressungspotenzial der Schuldenmeister in der Eurozone. Gleichzeitig wächst auch der Unmut über Transferzahlungen in den „Geberländern“. Umso mehr Eile müssen Merkel & Co an den Tag legen.

Der Vorstoß von Griechenlands Ministerpräsident Papandreou, sein Volk zu den Rettungsmaßnahmen der Eurozone zu befragen, währte genau einen Tag. Er wurde von Merkel & Co zurückgepfiffen – wo kämen wir denn hin, wenn jetzt auch noch das Volk bei der Rettung der Finanzindustrie mitspricht. Um nichts anderes geht es bei all den Rettungsschirmen.

Eigentlich müsste man von Rettungsringen sprechen, denn das Wasser kommt in der Eurozone von unten, nicht von oben. Und es fehlt nicht viel, dann steht es ihr bis zum Hals.

Der nächste Pleitekandidat ist schon ausgemacht: Italien mit Schulden von 1,9 Bill. Euro und einer BIP-Schuldenquote von über 120 Prozent. Die EZB kauft fleißig italienische Staatsanleihen und kann doch nicht verhindern, dass die Zinsen für Zehnjahresanleihen jetzt, nach den Beschlüssen des EU-Gipfels vom 27. Oktober, auf über 6 Prozent gestiegen sind; vor einem Monat waren noch 5,86 Prozent zu bezahlen.

Wie realistisch ist die Rettung Italiens?

Reinhart und Rogoff nennen in ihrem Buch “This time is different” aus langfristigen historischen Untersuchungen eine kritische Schwelle: Liegt die (Brutto-)Staatsverschuldung bei über 90 % des BIP, helfen weitere Schulden, auch wenn mit ihnen streng nach Keynes investive konjunkturbelebende Projekte finanziert werden, nicht mehr aus der Misere heraus. Umschuldung/Restrukturierung ist eine nahezu zwingende Folge. Danach wäre Italien bereits „reif“.

Eine andere Daumenregel besagt, ein Land hat dann nur noch geringe Chancen, aus der Schuldenfalle zu entkommen, wenn es 30% oder mehr der jährlichen Steuereinnahmen für Zinsen aufwenden muss. Bei einem Anteil von 40% ist eine Schuldenrestrukturierung mit damit verbundenen Abschreibungen kaum zu vermeiden.

Die 30%-Schwelle wäre bei der aktuellen Steuerquote von 29% dann erreicht, wenn der Durchschnittszins bei sieben Prozent liegt, hat der Vermögensverwalter Flossbach von Storch ausgerechnet. Erfahrungsgemäß steigen die Renditen nach Erreichen dieses Pegels schnell weiter an. Die 40%-Schwelle ist unter Zugrundelegung der aktuellen Zahlen von Schulden- und Steuerquote bei neun Prozent erreicht.

Wenn Italien, wie vom IWF vorhergesagt, mit im Mittel 2,6% nominal wächst, müsste es ein Budget-Überschuss (ohne Schuldendienst) von 1,9% des BIP erzielen, damit die Verschuldung nicht weiter wächst. Fiele die Wachstumsrate auf 1%, müsste der Überschuss auf 3,6% steigen, um die Verschuldung nicht anwachsen zu lassen. Die Realität sieht so aus: Italien wird im laufenden Jahr um 0,7% real wachsen, die Neuverschuldung wird bei 4% liegen, nächstes Jahr rechnet die EU-Kommission immer noch mit 3,2%.

Mit diesen Zahlen ist Italien tatsächlich akut gefährdet. Wenn es hart auf hart kommt, wäre der Brocken jedoch zu groß für die EFSF. Dann müsste die EZB einspringen. Die hatte Anfang August bereits begonnen, italienische Bonds zu stützen. Zwar hatte das zunächst Wirkung – die Rendite fiel bis fünf Prozent. Doch das war nur von kurzer Dauer.

Seit 1. November ist der Italiener Draghi Präsident der EZB. Auf der ersten Zinssitzung seiner Amtszeit am zurückliegenden Donnerstag wurde überraschend eine Senkung um 0,25 auf 1,25% beschlossen. Draghi begründete den Zinsschritt mit einer drohenden milden Rezession. Beobachter werten den Schritt so kurz nach dem Amtswechsel aber eher als Signal für einen Strategiewechsel, einer tendenziellen Abkehr von der reinen Orientierung an der Preisstabilität. Hin zu? Hin zu einer stärker an den Interessen der Eurozonen-Politiker orientierten Geldpolitik.

Draghi ließ einstweilen offen, ob er der Fed folgen werde und das Bond-Ankaufprogramm massiv ausweiten wird (aktuell etwa 180 Mrd. Euro in den Büchern). Die Fed hat etwa 1,6 Bill. Dollar an TBonds bilanziert.

Mancher Beobachter sieht mit Draghi das Tor zur Inflation weit aufgestoßen. Ein großvolumiger Ankauf italienischer Staatsanleihen durch die EZB hätte schwerwiegende Folgen für die Preisstabilität und die Stabilität des Euro, wird gewarnt. Ein Blick in die USA zeigt aber, dass der Zusammenhang zwischen dem Ankauf eigener Staatsanleihen und Inflation so schlagend nicht ist.

Das Fazit nach der „endgültigen Rettung“ der Eurozone in der Mitte der vorigen Woche, ihrem „Untergang“ mit der Ankündigung einer Volksabstimmung in Griechenland, sowie ihrer „erneuten Rettung“ nach Rücknahme derselben, sowie den „weitreichenden Beschlüssen“ der G20: Die Krise der Eurozone geht weiter, sie dürfte sich mit dem beschlossenen EFSF-Hebel und dem Machtwechsel in der EZB nun immer schneller entwickeln. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Tafelsilber der Eurozone in Gestalt der Gold- und Devisenreserven unter den Hammer kommt.

Die Schuldenkrise offenbart immer deutlicher auch ihr politisches Gesicht: Weitreichende Entscheidungen werden nur noch in Hinterzimmern getroffen. Parlamente geben bestenfalls die Kulisse ab. Geltendes Recht wird mit Füssen getreten. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Volksbefragungen werden als kontraproduktiv abgelehnt. Mit Demokratie hat das schon lange nichts mehr zu tun.

Nachtrag: Die Tatsache, dass jetzt nach Wegen gesucht wird, die Gold- und Devisenreserven des Euro-Systems (der Bundesbank) anzuzapfen, dürfte auch ein Hinweis darauf sein, dass die Hebelei des EFSF grandios zu scheitern droht. Wer gibt sich auch bei der jetzt besonders deutlich gewordenen politischen Verfassung der Eurozone beim Kauf von Staatsanleihen mit einer Garantie von lediglich 20% zufrieden, dem Inhalt der Hebelung?

Nachtrag: Der Refinanzierungsbedarf von Italien beträgt aktuell für 2011 243 Mrd. Euro; für 2012 sind es 230, für 2013 221, für 2014 222 und für 2015 sind es 219 Mrd. Euro. Und das bei einem 2010er BIP von 1,55 Bill. Euro.

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