Chaos an den Märkten

„Die Erholung verläuft frustrierend langsam”, so fasste US-Notenbank-Chef Bernanke den Ausblick auf die Konjunktur der USA am vergangenen Mittwoch zusammen. Und fügt hinzu: „Wir haben keine präzise Erkenntnis, warum diese niedrigere Wachstumsrate so beharrlich ist.“

Die Fed senkt Ihren BIP-Forecast für 2011 auf 2,7 bis 2,9 % (zuvor 3,1 bis 3,2 %). Für 2012 wird die Prognose auf 3,3 bis 3,7 % herabgesetzt. Das ist die zweite Revision innerhalb weniger Monate, im Januar hatte die 2011er Prognose noch zwischen 3,4 und 3,9 % gelegen. Wenn die Fed so weitermacht, landet sie gegen Jahresende bei der Vorhersage von Stagnation…

Bernanke weiß also angeblich nicht, warum es klemmt. Das zu sehen, ist nicht schwer: Vor allem die schlechten Daten auf dem Arbeitsmarkt zeugen von einer Schwächephase. Die offizielle Arbeitslosenquote wird bei rund 9 % gemeldet, nach Yale-Professor Robert Shiller kommt sie eher auf 16 %, John Williams von Shadowstats rechnet jenseits der 20 % vor. Was auch wichtig ist: Die Arbeitsplätze, die neu geschaffen werden, sind entweder schlecht bezahlt und unqualifiziert oder finden sich im regierungsnahen Bereich. Sie sind damit vergleichsweise unproduktiv, insbesondere in absoluten Zahlen.

Aber nach Fed-Sicht alles kein dauerhaftes Problem: Die aktuelle Schwächeperiode sei weitestgehend vorübergehend, sagte Bernanke. Höhere Preise für Nahrungsmittel und Energie hätten der Konjunktur geschadet. Auch die Erdbebenkatastrophe in Japan habe sich negativ auf die amerikanische Industrie ausgewirkt.

Moment mal – höhere Preise… Das war doch genau das, was die Fed mit QE2 erreichen wollte. Jetzt ist das auf einmal wieder schlecht… Eines stimmt: Je weiter sich das Lohn- und Gehaltsniveau nach unten verschiebt, je stärker wirken hohe Kosten für Nahrungsmittel und Energie als „Konsumsteuer“. Und so zeigt der US-Einzelhandelsumsatz im Mai zum ersten Mal seit zehn monatlichen Zuwächsen in Folge einen Rückgang. Und das US-Verbrauchersentiment sinkt im Juni stärker als erwartet und bleibt unter einer wichtigen Schwelle (siehe Chart!).

Es heißt Abschied nehmen von Wachstumsillusionen – diese, hier vor einiger Zeit getroffene Feststellung findet mit nahezu jedem neuem Makrodatum weitere Bestätigung.

Das schlägt sich im US-BIP nieder. Es ist in der heute gemeldeten endgültigen Fassung im ersten Quartal um noch lediglich 1,9 % gestiegen nach plus 3,1 % im zuvor. Im Vorquartal hatte das annualisierte Wachstum noch bei 3,1 % gelegen. Die persönlichen Ausgaben für den Konsum („Personal Consumption Expenditures“, PCE) stiegen um 2,2 % nach zuvor plus 4,0 %.

Was die internationalen „Liquiditäts-Junkies“ bei der Verlautbarung der Fed am Mittwoch dieser Woche am meisten gestört hat, ist die Tatsache, dass die Fed kein Nachfolgeprogramm für das Ende des Monats auslaufende QE-Programm avisiert hat. Zumindest bis in den Herbst hinein soll das kein Thema sein, wobei Bernanke nachschob, man halte sich die Option offen, nötigenfalls nachzusteuern. Vorerst soll die Bilanz der Fed weder weiter verlängert, noch verkürzt werden. Das bedeutet, dass auslaufende Anleihen durch Folgekäufe ersetzt werden. Der hieraus resultierende Umfang wird auf bis zu 20 Mrd. Dollar pro Monat geschätzt.

Zum Thema Griechenland sagte Bernanke, das europäische und auch das Weltfinanzsystem seien in Gefahr, wenn es zu keiner Lösung kommt. Außerdem sei die politische Einigung in Europa bedroht. Er sagte das auch mit Blick auf das Engagement von US-Banken in Griechenland. Sie haben zwar ihre Bestände an griechischen Bonds im vergangenen Jahr schon weitgehend abgebaut, sind aber durch Derivate-Aktivitäten „im Geschäft“. Sollte es in Griechenland zu einem „credit event“ kommen, müssten US-Banken Zahlungsverpflichtungen über CDS-Konstruktionen erfüllen.

Das WSJ berichtet über Verbindungen zwischen US-Geldmarktfonds und griechischen Staatsanleihen. Diese Finanzvehikel halten zwar selbst keine griechischen Staatsanleihen, haben aber von europäischen Banken emittierte Papiere in den Büchern. Diese Institute halten noch größere Bestände griechischer Bonds, was im Fall einer weiteren Verschärfung der Schuldenkrise zu einem Problem werden könnte. Zudem würde eine Ausweitung der Krise auf Portugal und v.a. Spanien die Lage verschärfen. Die Geldmarktfonds spielen bei der globalen Dollar-Versorgung eine wichtige Rolle. Versiegende Dollar-Liquidität der US-Geldmarktfonds galt im Gefolge der Pleite von Lehman Brothers im Herbst 2008 als wichtiger Übertragungskanal der Finanzkrise.

Die Rendite der 13-wöchigen TBills (IRX) fällt beständig. Mitte des Monats hatte sie bei 0,05 % gestanden, gestern war sie bis auf 0,005 % gesunken. Mitte September 2010 lag sie noch bei 0,15 %. TBills gelten als Liquiditätsparkplatz. Sinkende Rendite bedeutet steigender Zufluss, Liquidität, die woanders abgezogen worden ist. Auch die effektive Fed Funds Rate (FFR) sinkt gegenwärtig, sie kommt von 0,2 % per September 2010 auf jetzt gerade noch 0,08 %. Das sind Indizien, dass Liquidität gehortet, bzw. die Liquiditätshähne aufgedreht werden. Aus der relativen Entwicklung von IRX und eff. FFR lassen sich Indikationen gewinnen hinsichtlich der Verfassung des Finanzsystems. Ein solcher Indikator gibt seit Anfang April Hinweise auf eine sich zuspitzende Lage bei der kurzfristigen Geldversorgung (siehe Chart!).

Die Preisentwicklung bei Assets gestaltet sich aktuell angesichts der Rahmenbedingungen von Real- und Geld-Wirtschaft chaotisch: Gestern tauchten S&P 500 und Dow intraday so stark ab wie seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Sie testeten fast auf den Punkt genau wichtige Marken, bevor ein beeindruckender Rebound einsetzte. Gleichzeitig zeigte der NDX, gestützt durch den SOX, relative Stärke, er schloss im Plus. Heute legen alle wieder den Rückwärtsgang ein.

Gestern kollabierten auch die Ölpreise, Anlass war die Nachricht, dass zahlreiche Industrieländer strategische Ölreserven freigeben, um Angebotsengpässe zu kompensieren. Die Preise für Edelmetalle und andere Rohstoffe korrigierten daraufhin ebenfalls deutlich.

„Safe heaven“ heißt die Devise – der Dollar-Index erstarkt. Er testete gestern zum zweiten Mal innerhalb einer Woche den Pegel bei 75,80 (siehe Chart!). Genau dort stand er, als die Fed Anfang November 2010 QE2 startete. Aktuell verläuft hier auch die Obergrenze einer längerfristigen, abwärts gerichteten Keilformation. Ein Ausbruch hieraus würde ein Aufwärtspotenzial bis rund 84 signalisieren. Ein festerer Dollar ist wie in den zurückliegenden Jahren auch weiterhin eine „unbullische“ Begleitmusik.

Betrachtet man mal abseits aller vermeintlichen oder tatsächlichen Bedenken die „Causa Griechenland“, so bleibt festzuhalten:

Die Probleme Griechenlands sind isoliert betrachtet „Peanuts“. Das ändert sich, wenn Spanien und Italien angesteckt werden. Aber selbst dann ließen sich die Probleme noch in den Griff bekommen, wenn man deren Lösung JETZT angeht. Und das heißt „Schuldenschnitt“ und Ausgliederung aus der Eurozone (vielleicht in Verbindung mit einer “Süd-Euro”-Schiene). Je länger man mit dieser unausweichlichen Konsequenz zögert, je schlimmer wird es.

Genauso wird aber es aber nicht laufen. Wahrscheinlich wird man sich in Brüssel und anderswo jetzt noch einmal durchwursteln und weiter Steuerzahler-Milliarden in Fässern ohne Boden versenken. Dann dürfte sich die Lage zunächst wieder beruhigen – bis zum nächsten Mal. Und mit jedem nächsten Mal werden die Probleme größer. Nouriel Roubini hat recht, wenn er einen unvermeidlichen Kollaps der Eurozone kommen sieht.

Die Probleme der Schuldenwirtschaft stellen sich umso schwerwiegender dar, je schlechter sich die Realwirtschaft entwickelt. Insofern sollte man den Akt, strategische Ölreserven frei zu geben, auch als verzweifelten Versuch ansehen, Reserven zu mobilisieren, um die Auftriebskräfte der Wirtschaft noch etwas zu unterstützen. Denn der Manövrierspielraum für staatliche Stützungsmaßnahmen ist angesichts der hohen Verschuldung der Industrieländer eng.

In einer solchen Situation entfaltet der Immobiliensektor dann auch wieder sein ganzes Gefährdungspotenzial. Robert Shiller zufolge könnten die US-Hauspreise noch um weitere zehn bis 25 Prozent in realen Preisen sinken. Damit gibt er als Zielregion für den CSXR-Hauspreis-Index den Bereich um “Top minus 41 %“ an (siehe Chart!).

Gehen wir also mal davon aus, dass das griechische Parlament am nächsten Dienstag das Sparpaket verabschiedet, woraufhin weitere Milliarden aus Brüssel Richtung Athen fließen und ein weiteres Hilfsprogramm von rund 120 Mrd. Euro für Griechenland verabschiedet wird. Dann ist die Zeit reif für einen neuerlichen, aus technischer Sicht mehr als überfälligen Expansionsschub an den Finanzmärkten. Fragt sich nur, wie lange der dann anhält.

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