25. Februar 2011: Bullen stark genug?

Die Aktienindices in den entwickelten Industrieländern werden seit September 2010 angetrieben durch die "alles-wird-gut"-Zuversicht, dass die wirtschaftliche Erholung über eine "Korrektur der Korrektur" hinausgeht.

Nach dem offenen Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 war die Realwirtschaft in die sprichwörtliche "Kiste" gesprungen. Als klar wurde, dass die Finanzkrise (noch) nicht das Ende der (finanzkapitalistischen) Welt eingeläutet hatte, setzte eine Gegenbewegung ein. Die Übertreibung nach unten wurde korrigiert. Das war im Frühjahr 2010 so weit erledigt und alsbald kamen Befürchtungen auf, die US-Wirtschaft könnte in eine Rezession zurückfallen.

Die Angst vor dem "double dip" löste sich auf, als die Fed im September 2010 massive geldpolitische Maßnahmen ankündigte. Anfang November wurde "QE2"dann gestartet, woraufhin die Aktienmärkte eine kleine konsolidierende Pause einlegten.

Anfang Dezember starteten die Bullen erneut durch und spätestens seit Mitte Januar waren die Märkte nach allen Regeln der Kunst "überkauft". Die Dips wurden größer, aber immer rasch wieder gekauft. Fast schien so, als ob sie sogar immer aggressiver gekauft wurden. So ging das Spiel bis zum Beginn dieser Woche.

Das Verhalten erklärt sich durch die weiterhin noch vorhandene Makro-Zuversicht und durch Phantasie einer Inflation in der Frühphase. So weit die notwendige positive Rahmen-Bedingung für die Aktienmärkte. Dass zahlreiche Akteure mit ihren, Fed-sei-Dank reichlichen liquiden Mitteln an der Seitenlinie stehen, liefert die hinreichende Bedingung. Beide Umstände haben für das starke bullische Bewegungsmomentum der Märkte gesorgt und damit dafür, dass jeder Kursrutsch als Kaufgelegenheit angesehen wurde.

Jetzt stellt sich die Frage, ob die zu häufige Wiederholung des "Buy-the-dip"-Vorgangs nicht zur "Ermüdung" und damit letztlich zum Abwarten führt – mit der Konsequenz, dass Einbrüche nicht mehr unbedingt als sofortige Einstiegschance gesehen werden. Dann verliert der Markt aber sein Bewegungsmomentum und damit wiederum steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu größeren Gewinnmitnahmen kommt. Einstiegswillige Akteure auf der Seitenlinie sagen sich dann, warum soll ich heute kaufen, wenn es morgen billiger ist.

Die mehr als gerechtfertigte Volksbewegung im arabischen Raum wirkt momentan als "externe Störung" auf die Finanzmärkte. Sie kam zwar nicht vom Grundsatz, wohl aber vom Zeitpunkt überraschend und hat deshalb das Zeug, als Katalysator für zumindest eine ausgedehntere Konsolidierung zu dienen.

Nachdem die "Märkte" bei Tunesien und auch noch bei Ägypten davon ausgingen, dass das Geschehen lokal und ohne nennenswerte Auswirkung auf die Weltwirtschaft bleibt, sieht es spätestens mit Libyen anders aus. Das Land ist ein wichtiger Ölexporteur. Saudi-Arabien hat zwar seine Bereitschaft signalisiert, etwaige Ausfälle von Öllieferungen aus Libyen auszugleichen.

Die Befürchtung wächst aber, dass auch in Saudi-Arabien, dem größten Ölexporteur, Unruhen ausbrechen könnten. Nicht zufällig hat der saudische König in dieser Woche nach seiner Rückkehr aus den USA, wo er angeblich aus medizinischen Gründen weilte, Reformen und Finanzspritzen im Umfang von bis zu 30 Mrd. Euro in Wohnungsbau, Bildung und Sozialwesen angekündigt.

Nicht weiter verwunderlich, dass die Ölpreise in dieser Woche stark angestiegen sind. Öl Brent touchierte gestern intraday den Pegel von 120 Dollar. Die Differenz zum Preis der Sorte WTI hat sich weiter ausgedehnt, sie kostet mittlerweile wieder unter 100 Dollar.

Mohamed El-Erian, PIMCO, warnt vor den Folgen eines explodierenden Ölpreises, der ein neuer Schock für die Wirtschaft werden könnte. Höhere Ölpreise erhöhen die Produktionskosten und ziehen Kaufkraft vom übrigen privaten Konsum ab. Die momentan sowieso nicht eben überschäumende Erwartung hinsichtlich Konsumfreude ist schön zu sehen im Schwäche zeigenden Kursverlauf des ETF "Stoxx600Retail" (siehe Chart!).

Die westlichen Staaten hätten kaum Möglichkeiten, diesen Schock abzufedern. Die Wirkung der Konjunkturprogramme läuft aus, zugleich fehlen staatschuldenbedingt die Mittel, neue zu finanzieren. Wegen der höheren Rohstoffpreise steigt die Inflationsgefahr und da die kaufkräftige Nachfrage der Verbraucher immer noch gedrückt ist, fehlt die Preismacht der Unternehmen – ihre Gewinne kommen unter Druck.

An welch kritischem Punkt wir angelangt sind, wird deutlich, wenn man sich auf Produzentenebene das Verhältnis zwischen den Preisindices für Rohmaterial und Fertigerzeugnisse ansieht (siehe Chart! – braune Linie). Das liegt aktuell bei 1,3, ein Wert der in den vergangenen mehr als 40 Jahren nur ausnahmsweise erreicht wurde, und zwar 1973/1974 in Verbindung mit dem damaligen Ölpreisschock und Ende 2005. Anfang 2008 stieg dieses Verhältnis stark über diese Schwelle und kippte Mitte des Jahres ab, als Öl Brent bei 145 Dollar sein Topp bildete. Nebenbei bemerkt zeigt das auch, dass die Finanzkrise die Realwirtschaft zu einem Zeitpunkt erwischte, als diese durch explodierende Rohstoffpreise selbst in Bedrängnis kam.

Schaut man sich das Verhältnis der Wachstumsraten von Erzeuger- und Verbraucherpreisen an, so lässt das ohnehin nur den Schluss zu, dass die Lage an der Preisfront seit Mitte 2000 mehr "ungesund" als "gesund" sind (siehe Chart!).

Ich denke, El-Erian hat recht. Sollte der Ölpreis jetzt dauerhaft über 120 Dollar (Brent) vorstoßen, besteht tatsächlich die Gefahr, dass das Bisschen Aufschwung erstickt. Für diesen Fall hat die Fed zwar schon angekündigt mit "QE3" bis "QEx" bereit zu stehen, aber ob das dann den gleichen Effekt wie "QE2" haben wird, steht erst einmal dahin.

Sollte sich die Unruhen im arabischen Raum noch ausweiten oder auch nur längere Zeit anhalten, kommt natürlich ein Effekt hinzu: Diese Länder fallen dann als Nachfrager für westliche Industrieerzeugnisse aus, was dort wiederum Wachstum kostet.

Makro-Zuversicht und Phantasie einer Inflation in der Frühphase – diese oben so genannten notwendigen positiven Rahmen-Bedingung für die Aktienmärkte könnten also durch die geopolitischen Ereignisse sehr wohl negativ tangiert werden. Bei der Inflationsthematik ist entscheidend, dass die Schere zwischen den Zuwachsraten von PPI und CPI nicht zu weit aufgeht, weil sie die Unternehmensgewinne insgesamt schmälert. Und die gehören zu den hauptsächlichen Triebkräften der Aktienkurse.

Andererseits liegt das Aktien-KGV nach Abschluss der Quartalssaison für den S&P 500 bei rund 17 (siehe Chart!). Das liegt zwar im oberen Drittel des Bereichs, der zwischen den 1920er und den frühen 1990er Jahren gültig war. Betrachtet man aber die Zeit seit 1995, so liegt 17 an der Untergrenze des Wertebereichs. Ich will mich hier nicht darüber auslassen, wie die Gewinne an Wall-Street buchhalterisch zustande kommen, auch nicht darüber, ob "Lug und Betrug" heute größer sind als früher. Wichtig sind mir in dieser Betrachtung lediglich die Relationen, so wie die Akteure an den Finanzmärkten das sehen. Und da kommt man nicht um den Schluss herum, dass die Unternehmen aus dieser Sicht jedenfalls nicht hoch bewertet sind. Das sollte mithin zumindest stützend auf die Kurse wirken.

Was die hinreichende Bedingung für eine bullische Bewegung an den Märkten angeht, die Liquiditätsausstattung, so zeigt die Entwicklung der Reserven im US-Bankensystem, dass diese seit November, dem Startpunkt von "QE2", wieder ansteigt (siehe Chart!). Der Anteil der Überschussreserven liegt seit Herbst 2008 bei über 90 %, auch aktuell. Die Fed dürfte mittlerweile ein gutes Drittel des QE2-Volumens von 600 Mrd. Dollar für Treasury-Käufe ausgegeben haben. Realiter dürfte das noch deutlich mehr sein, weil sie ja auch durch Fälligkeit von Anleihen rückfließende Mittel neu investiert.

In Zusammenhang mit den geopolitischen Ereignissen der vergangenen Tage fällt auf, dass der "Safe-heaven"-Reflex bisher ausbleibt. Regelmäßig erstarkt der Dollar, wenn besondere geopolitische Probleme auftreten – diesmal nicht. Der Dollar-Index hat sich Mitte Februar bei über 78,50 erneut auf den Weg nach unten gemacht, jetzt notiert er bei 77, an einem wichtigen Support-Pegel (siehe Chart!). Gleiches gilt für Euro/Dollar – üblicherweise tendiert das Währungspaar in solchen Phasen schwach. Aktuell nicht – ebenfalls seit Monatsmitte steigt es von 1,3460 bis auf heute 1,3830, einem wichtigen Widerstand. Auffallend auch, dass im Euro/Dollar zuletzt immer wieder scharfe Einbrüche auftraten, die sehr schnell wieder gekauft wurden.

Vielleicht ist dieses unnormale Verhalten ein Zeichen, dass die US-"Märkte" die gegenwärtigen Turbulenzen nicht als so gravierend ansehen, vielleicht sogar als Chance für rentierliche Dollar-Investitionen.

In diesem Zusammenhang ein wenig "Verschwörungstheorie": Die Idee zum Projekt "Greater Middle East" geht auf die Ära von Bush jr. zurück. Neuerdings umgetauft in "New Middle East" wird damit eine Strategie bezeichnet, die Staaten der Region von Marokko bis Afghanistan zu destabilisieren. Sie ist die im Rahmen der Bekämpfung der aus US-Sicht bestehenden Terrorgefahr logisch nächste Stufe: Dem Einsatz militärischer folgt der Einsatz politisch-subversiver Mittel. Wie zuletzt vor zwanzig Jahren, als die USA die Regimewechsel in Osteuropa unterstützten, hat Washington jetzt wieder in mehreren Ländern einer Region zugleich solche Operationen angeschoben. Man setzt an den Beweggründen an, die Millionen im Nahen Osten und in Nordafrika auf die Straße treibt, und will steuern, wie die Destabilisierung in der gesamten islamischen Welt ausgeht. Der "Safe-heaven"-Reflex ist vielleicht auch deshalb bisher ausgeblieben, weil man keine "Turbulenzen", sondern in diesem Sinne "frohes Schaffen" von Obama & Co zu erkennen glaubt. "Verschwörungstheorie" – Ende.

Die Chance, dass der in dieser Woche erfolgte geopolitische Dip als unmittelbare Kaufgelegenheit gesehen wird, besteht noch. Allerdings geht das Fenster hier schnell zu. Hierzu muss erstens tunlichst zumindest per Tagesschlusskurs die EMA50 bei den großen Aktienindices respektiert werden. Sie liegt im S&P 500 aktuell bei 1287. Der NDX hat seinige gestern intraday unterschritten und ist interessanterweise mit relativer Stärke aus der Sitzung hervorgegangen. Der DAX hat gestern an seiner EMA50 ein "Kreuz ausgebildet". Zweitens müssen rasch und dynamisch die Pegel von 1312 im S&P 500, bzw. 2318 im NDX überwunden werden und es per EoD auch bleiben.

Im größeren Bild glaube ich, dass die "Märkte" erst im Mai wieder, kurz vor Auslaufen von "QE2" über die weiteren Perspektiven "nachdenken". Vorausgesetzt, die Geopolitik sendet keinen Schock aus, wie etwa die Destabilisierung von Saudi-Arabien.

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