Inflation – Sein oder Schein?

Seit Jahresbeginn wird in der Presse das Thema "Inflation" breit diskutiert – anekdotische Hinweise für anziehende Preise gibt es genügend.

So liegen z.B. basierend auf den "zero coupon (ZC) inflation swaps" (1 und 10 Jahre) die Inflationserwartungen für Europa mittlerweile über dem EZB-Ziel von 2 %. Der Preis-Subindex des US-Einkaufsmanager-Indexes ist im Januar auf 81,5 gestiegen, im Vormonat hatte er noch bei 72,5 gelegen. Der Index der US-Erzeugerpreise (PPI) hat im Jahresvergleich um 4,1 % zugelegt, der Verbraucherpreisindex CPI hinkt mit 1,4 % noch nach. Usw.

Gleichzeitig schwächelt der Goldpreis aber seit November, seit Mitte Dezember laufen auch die langfristigen Bond-Renditen seitwärts. Eigentlich ist zu erwarten, dass mit der Wahrscheinlichkeit steigender Preise auch Goldpreise und Renditen steigen.

Im längerfristigen Kontext sind beide tatsächlich gute Indikatoren für Inflationserwartungen. Beide haben jedoch in einem kurzfristigeren Zeitbereich ein gewisses Eigenleben, so dass man sich nicht auf einen allein verlassen sollte. Es macht Sinn, beide zu kombinieren. Insbesondere kann man damit "safe-heaven"-Effekte reduzieren, bzw. neutralisieren.

Die so ermittelten Inflationserwartungen haben seit Beginn der 1980er Jahre bis zur Jahrtausendwende stetig abgenommen, was auch mit den abnehmenden Zuwachsraten etwa beim CPI zusammenpasst. Der Tiefpunkt der Entwicklung lässt sich Mitte 2003, in der Frühphase des nach der Rezession 2001 im März 2003 gestarteten Bull-Runs festmachen. Gold bildete bereits 2001 einen Boden aus, der Zinsindikator stieg zwei Jahre nachlaufend ebenfalls bis August 2007. Dann warf die Finanzkrise ihre ersten Schatten, Investoren suchten die Sicherheit von Staatsanleihen, die Renditen sanken.

Seit Jahresbeginn gehen die Inflationserwartungen zurück. Das ist einerseits der Schwäche des Goldpreises geschuldet, andererseits stagnieren die Renditen seit Mitte Dezember. Sie waren seit Ende Oktober (QE2 Anfang November!) deutlich gestiegen und hatten die damals bereits einsetzende Goldpreis-Schwäche zunächst kompensiert.

Wie beeinflussen Inflationserwartungen das Kaufverhalten bei Aktien?

Wenn man den nominalen S&P 500 um die Inflationserwartungen bereinigt, erhält man einen "realen" Index, der umso weiter unter den nominalen Werten liegt, je stärker die Inflationserwartungen ausgeprägt sind. Phasen mit signifikanten Abweichungen gab es zwischen 1994 und 1998, sowie 1999 und 2000, auch zwischen Mitte 2004 und Herbst 2008, sowie von Mitte 2009 bis Mitte 2010. Auch seit Mitte Oktober gilt nach einer Wackelperiode wieder, dass der "reale" S&P 500 signifikant unter dem nominalen liegt. Interessant ist dabei, dass sich der "reale" S&P 500 seit 2003 in einer intakten Spanne bewegt, deren Grenzen mehrfach getestet wurden, die Obergrenze zuletzt Mitte Oktober.

Die Vermutung liegt nahe, dass Anleger, die steigende Preise, bzw. die Entwertung von Geldvermögen erwarten, Käufe von Sachanlagen forcieren. Geläufiges Beispiel ist die Absicherung durch Immobilienbesitz. Aktien sind ebenfalls Sachanlagen. Die Differenz zwischen nominalem und "gefühlten" S&P 500 dürfte auch ein Maß dafür sein, wie stark Inflationserwartungen Aktienkäufe zumindest unterstützen, wenn nicht treiben. Solche Phasen markiert die rote Signalkurve im Chart mit einem Ausschlag nach oben.

Etwas akademischer Hintergrund:

Weithin wird (zu Recht) unterstellt, dass Anleihen und Aktien konkurrierende Anlagemöglichkeiten sind. Diese Annahme liegt auch dem Fed-Modell zugrunde. Vereinfacht folgt daraus auf lange Sicht aber auch für Anleger, die als Halter von Assets unterwegs sind: Wenn die Anleihe-Renditen steigen, steigen auch die Erträge aus Aktienanlagen (Verhältnis von Dividenden und Unternehmensgewinnen zum Kurs) – und umgekehrt. Beim Aktien-Ertrag stehen im Zähler und Nenner Geldbeträge. Die Inflation kürzt sich bei Berechnung der Aktienrendite heraus, sie übt somit keinen Einfluss hierauf aus.

Tatsächlich aber ist über längere Zeiträume hinweg die Korrelation zwischen steigenden Aktienkursen und anziehender Inflation ausgeprägt. Wie kann das erklärt werden?

Die Inflationsrate spielt bei der Entwicklung der Anleiherenditen eine wichtige Rolle. Wenn der Anleihegläubiger eine bestimmte positive reale Rendite erwartet, wird er bei steigender Inflationsrate eine steigende nominale Verzinsung verlangen. Für die alternative Aktienanlage bedeutet das, dass damit auch ihr Ertragsrahmen steigt.

Nach Franco Modigliani und Richard Cohn missverstehen Anleger in einem inflationären Umfeld die nominalen, inflationsgetriebenen Wachstumsraten von Dividenden und Gewinnen als real und extrapolieren sie. Sie haben dies in einer Arbeit 1979 mit "Inflations-Illusion" bezeichnet.

Mit der Erwartung steigender Aktienerträge greifen Anleger zu Aktien, was zu steigenden Kursen führt. Dadurch aber bleibt der Abstand zur Anleihe-Rendite erhöht. Weiter anhaltende Inflation lässt die Anleihe-Rendite weiter steigen, die nominale Expansion von Gewinnen und Dividenden wird weiter gekauft usw. In einem entwickelten Inflationsszenario (mit Zweitrundeneffekten) kommt hinzu, dass ihre höhere Preismacht den Unternehmen hilft, ihre Margen zu steigern. Das untermauert die Anleger-Erwartung noch.

Diese Entwicklung führt zu Übertreibungen und nachfolgend Enttäuschungen, weil sich schließlich herausstellt, dass die Erwartungen an die Entwicklung der Aktienerträge unrealistisch waren.

Der Zusammenhang ist aus meiner Sicht plausibel, so lange die Inflationsrate von niedrigen Werten aus steigt und unter 5 % bleibt. Oberhalb dieser Marke dürften eher Befürchtungen hinsichtlich Überhitzung der Wirtschaft einsetzen. Stagniert die Inflationsrate oder schrumpft sie, lässt das Aktien rasch teuer erscheinen und führt dazu, dass sich das beschriebene Karussell anders herum dreht.

Die Risikoprämie für die Aktien-Anlage ist bei der Betrachtung außen vor geblieben. Sie spielt wohl im Zusammenhang mit Inflationserwartungen auch keine nachhaltig eigenständige Rolle. Außerdem lässt sich das Paradigma einer sicheren Anlage in Staatsanleihen angesichts der Staatsschulden-Problematik heutzutage nicht mehr aufrecht erhalten. Je stärker die Wahrscheinlichkeit von staatlichen Insolvenzen gespielt wird, je eher dürften rationale Anleger Zuflucht in Sachwerten suchen und bei Staatsanleihen umso höhere Risikoprämien fordern.

Wie geht es weiter?

Aus dem Verhalten von Gold und Treasury-Renditen lässt sich ableiten, dass die Akteure zwar zuletzt verstärkt auf Inflation gesetzt hatten ("buy the rumors"), aber aktuell unsicher sind, ob (und wie nachhaltig) sie dies weiter tun sollen ("sell the facts").

Beim TBond-Future wurde Ende August bei über 136 das zuletzt gesehene Topp erreicht. Zum selben Zeitpunkt startete der SPX einen Bull-Run. Der TBond-Future lavierte seit Jahreswechsel in einer engen Spanne an 120 herum, in einer anderen Darstellung lavierte der Kehrwert der (10-jährigen) Anleihe-Rendite an 30 herum – bis gestern (!). Dieses "faire KGV" (Kurs/Gewinn-Verhältnis – Kehrwert des oben definierten Aktien-Ertrags) dient im Fed-Modell als Bewertungs-Referenz für eine alternative Investition in Aktien.

Weitere Inflationshinweise würden im aktuellen Kontext (nach obiger Theorie) als positiv für die Unternehmensgewinne gewertet. Steigende Gewinne drücken das KGV, schaffen damit aus Bewertungssicht Raum für die Kursentwicklung. Gleichzeitig lassen die Inflationsmerkmale die Anleihe-Rendite weiter steigen und drücken so das "faire KGV". Steigende Kurse heben das Aktien-KGV. Das KGV nähert sich von unten an das "faire KGV", die Aktien-Rendite von oben an die Anleiherendite an.

Mithin kommt es jetzt entscheidend darauf an, wie sich die Anleiherendite entwickelt. Schafft sie den Ausbruch aus der aktuellen engen Spanne (wonach es heute aussieht), dann sollte sich der Goldpreis nicht gegenläufig entwickeln. Denn dies signalisierte Zweifel an einem nachhaltigen Inflationsszenario und ließe den Ausbruch leicht zum Rohrkrepierer werden. Bricht die Anleiherendite hingegen nach unten durch, ist davon auszugehen, dass die Märkte nicht von einem nachhaltigen Inflationsszenario ausgehen. Wenn in diesem Fall Gold neue Stärke zeigt, ist das geradezu die Bestätigung dafür, dass die Märkte eher eine neue Rezession/Krise heraufziehen sehen, als einen Inflations-beflügelten Aufschwung.

Welches Szenario ist auf sicht der nächsten Monate das wahrscheinlichste?

Angesichts der jüngsten Makrodaten gehe ich davon aus, dass die Märkte weiterhin makroöokonomische Erholung spielen. Inflationsphantasien kommen dabei vor allem aus dem Rohstoffbereich, hier besonders auch von Nahrungsmitteln. Das dürfte zumindest die 10jährige Rendite nach oben drücken.

Das bedeutet in der Folge auch, dass Aktien noch Kurspotenzial haben. Die USA haben im Konjunkturzyklus gegenüber Europa, insbesondere gegenüber den exportorientierten Ländern, noch Nachholbedarf. Das schlägt sich auch darin nieder, dass der S&P 500 deutlich mehr Abstand zu seinem Allzeit-Hoch hat, als etwa der DAX. Da nach wie vor in den USA der Takt geschlagen wird, dürfte dieser Nachholbedarf die bullische Phantasie dort und damit weltweit stützen.

Eine andere Frage ist, wie die Märkte mit der kurzfristig klar überkauften Lage umgehen. Hier ist alles denkbar – vom kurzen, heftigen Einbruch bis zur volatilen Konsolidierung.

Zu Gold: Das übergeordnete Szenario zeigt Schwäche. Das dürfte auch an der zunehmenden Makro-Zuversicht liegen. Denn Gold fungiert neben seiner Rolle als Inflationszeiger auch als genereller Krisenindikator. Zunehmende Inflationserwartungen dürfte Gold (und Edelmetalle insgesamt) aber momentan recht gut nach unten absichern.

Zum Schluss die Gretchenfrage: Ist die Inflationsphantasie gegründet auf dem Ausblick auf nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum? Nein, dagegen steht die Verschuldungsthematik. Insofern geht es mehr um Inflationsphantasie/Inflationserwartungen, auch kurzfristige Spitzen, nicht um eine nachhaltige reale Entwicklung steigender Preise.
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