Zentralbanken intervenieren

Eine äußerst volatile Woche an den Finanzmärkten liegt hinter uns. Der Dow schloss nur leicht über dem Schlussstand der Vorwoche, hatte aber zur Wochenmitte 400 Punkte höher gestanden. Auch der NPX steht im Wochenvergleich zwar mit 1925 kaum verändert da, hatte aber am Mittwoch an die 2000er-Marke geklopft. Lediglich der S&P 500 hat eine positivere Wochenbilanz vorzuweisen, auch er verliert gegenüber der Wochenspitze rund 50 Punkte (rund 3 Prozent).

Hintergrund sind Schieflagen und Pleiten bei Fonds und Unternehmen, die im Segment der Subprime-Immobiliendarlehen engagiert sind. Als daraufhin zur Wochenmitte Geschäftsbanken mit temporären Guthaben nicht mehr bereit waren, diese zum aktuellen Zins über den Geldmarkt an andere auszuleihen, funktionierte der so normalerweise sichergestellte Ausgleich von Spitzen im Liquiditätsbedarf einzelner Institute nicht mehr.

Um der Kreditverknappung im Geldmarkt mit drohendem Dominoeffekt entgegenzuwirken, griffen einige große Zentralbanken ein. So stellte die EZB am Donnerstag für einen Tag 95 Mrd. Euro bereit, am Freitag nochmals 61 Mrd. Euro für drei Tage. Die Fed kaufte an den beiden Tagen für 19 Mrd. Dollar (26 Mrd. Euro) auf gebündelten Hypothekendarlehen basierende Schuldverschreibungen und stellte dem Geldmarkt Mittel in gleicher Höhe für drei Tage zur Verfügung. Solche umfangreichen Stabilisierungsmaßnahmen der Zentralbanken hatte es zuletzt nach den Terroranschlägen des Jahres 2001 gegeben.

Die Meldung vom Auftritt der Zentralbanken am Geldmarkt kam am Donnerstag just nach einer "ungesund" schnellen Aufwärtskorrektur bei Aktien. Hierdurch stand eine Konsolidierung an ("wie geht's weiter?"); in der mit einem solchen Tempoverlust verbundenen Unsicherheit wurde die Nachricht zum Anlass genommen ("ist es so schlimm?"), die Gewinne wieder vom Tisch zu nehmen.

Zahlen, die die Dynamik der Bewegung an den Aktienmärkten veranschaulichen: Im S&P 500 lag das Handelsvolumen der vergangenen zwei Wochen beständig bei rund 5 Milliarden Aktien am Tag und findet sich auf der Volumen-Rangliste seit 1950 damit ganz oben. Das Crash-Jahr 2000 taucht zum ersten Mal auf einem Platz nahe 800 auf! Der die implizite Volatilität messende VIX-Index stieg in den vergangenen Tagen so hoch wie zuletzt im April 2003, am Freitag wurde die runde Marke von 30 fast erreicht. Seit Ende 2004 hatte der "Angst-Index" über weite Strecken unterhalb von 15 notiert.

Der Zinssatz für amerikanisches Dreimonatsgeld (TBills) plumpste gestern um 0,3 Prozent auf 4,4 Prozent. Er ist ein recht zuverlässiges Zeichen für die Liquiditätsausstattung der Finanzindustrie – ein sinkender Zinssatz signalisiert, dass in zunehmendem Umfang Mittel geparkt werden. Mitte Juni hatte es schon einmal einen scharfen Zins-Einbruch gegeben, damals war eine Schieflage von Hedge Fonds bekannt geworden, die sich mit zweitklassigen Immobilienkrediten verspekuliert hatten.

Die Eingriffe der Zentralbanken zeigen den Ernst der Lage. Es sind wohl weniger die notleidenden US-Immobiliendarlehen selbst, vor denen man Angst hat, als vielmehr der Flächenbrand, der hiervon ausgehen könnte. Wie groß das hier schlummernde Gefahrenpotenzial ist, zeigt sich daran, dass allein 2006 CDOs im Wert von fast 320 Mrd. Dollar ausgegeben wurden. Die CDOs, um die es hier geht, sind Schuldverschreibungen, die eine Vielzahl von Immobiliendarlehen bündeln. Insgesamt sollen in den USA noch fast zehn Bill. Dollar Hypothekenkredite ausstehen, davon rund ein Drittel mit schlechter oder zumindest nicht primärer Bonität.

Einige Teilaspekte an den Finanzmärkten passen allerdings nicht so recht ins Bild: So fällt der Halbleiterindex SOXX in den vergangenen Tagen durch relative Stärke auf, was zeitweilig auch die Technologieindices NDX und den Nasdaq Composite stützte. Auch die nach wie vor gültigen "Carry-Trade-Indikatoren", die Währungsparitäten Eur/Yen und Dollar/Yen, zeigten keine Überreaktion. Weitere Indizien sind der flache Verlauf des Goldpreises und die Tatsache, dass US-Treasuries auch nicht gerade ganz oben auf der Kaufliste der Investoren stehen. Besonders "merkwürdig": Der Aktienkurs von Fannie Mae stand schon zu Wochenbeginn von den Toten auf und notiert wieder so hoch wie Anfang Juli. Wenn die Akteure zum jetzigen Zeitpunkt den Ausbruch einer verheerenden Hypothekenkrise befürchteten, dürfte sich der Aktienkurs eines der größten Rückversicherer in diesem Segment kaum so deutlich erholen.

Der anerkannte Wirtschafts-Professor und Nachfolger des "theorielosen Magiers" Greenspan auf dem Chefsessel der Fed, Bernanke muss seine erste kleine Bewährungsprobe absolvieren. Ich denke, er besteht sie. Ob aber die Bereitschaft der Zentralbanken zu schneller Hilfe dazu angetan ist, die allenthalben angemahnte Marktbereinigung und angemessene Bewertung der Kreditrisiken zu forcieren, kann getrost bezweifelt werden.

Die Finanzmärkte, insbesondere die Aktiensegmente, dürften das entsprechend quittieren. Die Risikofreude an den Finanzmärkten (gespeist von weiter eher reichlicher Liquiditätsausstattung) benötigt noch einige Dämpfer. Der Dow dürfte sich nun wieder am oberen Ende seiner Seitwärtsspanne zwischen 13200 und 13650 orientieren, der S&P 500 dürfte nach dem Aufsetzen auf der EMA200 1500 ins Auge fassen, beim NDX stehen die 2000 an. Parallel dazu ist beim VIX mit einem Rückgang zu rechnen, allerdings wird die Volatilität wohl erst einmal (?) nicht auf das niedrige Normal-Niveau der vergangenen Jahre zurückfinden. Unterstützt wird die Einschätzung auch vom Geschehen bei den Optionen auf den S&P 500, wo es erste Anzeichen einer Short-Squeeze gibt.

Übergeordnet dürfte allerdings das Bild der vergangenen zwei Wochen nur ein kleiner Vorgeschmack auf das sein, was noch kommt. Ich würde Musikanten, die angesichts günstiger Bewertungen schon wieder leise von Einstiegskursen für zu spät gekommene Akzionäre flöten, genau so trauen wie dem Rattenfänger von Hameln. Schon häufiger waren in der Geschichte die Unternehmen keineswegs "hoch" bewertet, als die beste Zeit für Aktien vorbei war. Es kommt eben auf die wirtschaftlichen Perspektiven an.

Die Interventionen der Zentralbanken zeigen, dass tatsächlich die Gefahr besteht, dass aus dem Immobilienmarkt der Zündfunke für einen Flächenbrand kommt. Der private Immobilienmarkt war das zentrale Mittel der Fed-Politik, die im Jahr 2000 eingeleitete Baisse und nachfolgende Rezession schließlich zu überwinden (zu überdecken) – jetzt könnte genau von hierher die Quittung kommen. Eine Kreditklemme hätte u.a. enorme Auswirkungen auf das gesamte "Private Equity"-Geschäft, Unternehmenskäufe zu einem hohen Anteil auf Kredit zu finanzieren. Das wiederum steht in direktem Zusammenhang mit Unternehmensbewertungen an sich und damit mit den Aktienmärkten.

Eine solide wachsende Wirtschaft würde mit solchen Problemen immer noch besser fertig, als eine mit geringen und sinkenden Zuwachsraten. Genau das aber testiert die Fed in ihrem Bias zum Zinsbeschluss am Dienstag dieser Woche der amerikanischen Wirtschaft. Dabei zieht sie auch noch die Verbindung zum Preissteigerungsrisiko.

Abgesehen davon, dass hierdurch der Fed nicht eben den Weg für künftige Zinssenkungen geebnet wird, muss dieses Thema wahrscheinlich in einem neuen Licht gesehen werden. Ein tiefer liegendes ökonomisches Problem könnte nämlich auch bei den steigenden Ausgaben für Grundnahrungsmittel (und Energie) liegen. Das engt den Spielraum für den Konsum von Industrieprodukten ein, wodurch einerseits deflationäre Tendenzen hier (z.B. Elektronikprodukte) noch verstärkt werden und andererseits Wachstumsimpulse ausbleiben. Ich hatte dieses Thema bereits in Artikeln vom 15. und 25. Juni, sowie vom 6. Juli angerissen. Der auf der Web-Seite unter "Intermarket" einsehbare Rezessionsindikator ist aktiv…
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