Weltsichten - Weitsichten


Einleitung

Die meisten Menschen ahnen, dass die Zeiten zunächst vorbei sind, in denen sie voller Optimismus in die Zukunft blicken können. Sie lesen und hören viel darüber, wie es weitergehen soll. Aber kaum etwas passt zusammen.

Der Leser weiß vielleicht noch nicht, dass sich die Welt wellenförmig, in Zyklen oder in Widersprüchen bewegt, aber er ahnt es. Er weiß möglicherweise nicht, wie sehr neue Technologien den Lauf der Weltgeschichte beeinflussen können, aber er ahnt es. Der Leser ahnt auch, dass der Lauf der Geschichte maßgeblich von handfesten Interessen und bestimmten Gesetzmäßigkeiten beeinflusst wird.

In diesem Buch versuchen wir, die vielen losen Gedankenfäden miteinander verbinden und die einzelnen Sättigungstendenzen unserer modernen Gesellschaft in einen Gesamtzusammenhang stellen, der durch historisches Wissen sowie wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse untermauert wird. Wir entwickeln verschiedene Wege ins 21. Jahrhundert, die unseren Leser anregen sollen, sich mit seiner Zukunft auseinander zu setzen und sich seine eigene Meinung zu bilden.

250 Jahre industrielle Revolution haben ihre Spuren hinterlassen. Wir befinden uns aktuell auf einem Höhepunkt einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung. Die gegenwärtige Misere zeigt einen strukturellen Charakter. Im ersten Teil unseres Buches tragen wir viele Dinge zusammen, die in eine beunruhigend falsche Richtung laufen.

Die Bevölkerung überaltert und schrumpft, die Produktion von Erdöl geht ihrem Höhepunkt entgegen, die globale Erwärmung des Weltklimas führt zur Anhebung der Meeresspiegel und zur Verödung ganzer Landstriche. Die Arbeitslosigkeit steigt hartnäckig; die Folgen der Globalisierung werden auf allen Ebenen sichtbar. Die Globalisierung schafft anscheinend mehr Probleme, als sie zu lösen imstande ist. Sie hat zu einem Wettlauf um preiswerte Arbeitskräfte geführt, deren Verlierer die Arbeitnehmer der Industrieländer sind. Der Widerspruch zwischen Arm und Reich nimmt zu und lässt weiteren Sprengstoff entstehen.

Die Finanzwelt hat die größte Spekulationsblase der menschlichen Geschichte immer noch nicht verdaut, tiefes Misstrauen hat sich breit gemacht. Spekulative Billionenbeträge rasen auf elektronischem Wege ungehindert um die Welt. Die Wirtschaft kämpft mit stagnierenden Märkten und zurückgehender Kaufkraft. Die Entwicklung der Produktivität stößt an Grenzen. Nullwachstum und Rezessionsgefahren belasten. Das Gespenst der Inflation oder wahlweise der Deflation geht um. Die immense öffentliche und private Schuldenlast droht, uns zu erdrücken. Die niedrigsten US-Zinsen seit 40 Jahren vermochten an all dem bisher nichts zu ändern.

Wie bei einem Puzzle fügen sich die gesellschaftlichen Tendenzen in diese Landschaft. Brot und Spiele lautet das Motto. Das Fernsehen – ursprünglich als Informationsinstrument gedacht – hat sich zu einer gigantischen Unterhaltungsmaschinerie gewandelt und ist bis in die tiefsten Schichten der Bevölkerung vorgedrungen. Wie in Kolosseum und Circus Maximus des alten Rom sind die Vorführungen kostenlos – sieht man von TV-Gebühren ab. Fernsehsport wie Fußball und Formel 1 bringen Spannung in den Alltag und bedienen das Aggressionspotential. Die Ferienindustrie hat sich zum weltgrößten Wirtschaftszweig entwickelt und befriedigt Wellness- und Wohlfühlinstinkte, die sich im Arbeits- und Alltag aufbauen. Die strukturelle Krise bedroht auch dies. Unterhaltungs- und Ferienindustrie unterliegen schließlich ebenfalls wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten.

Die Lähmung der demokratischen Institutionen ist so offensichtlich, dass der Ruf nach grundsätzlichen Reformen auf politischer Ebene immer lauter wird. Wir fragen, ob die parlamentarische Demokratie am Ende ist. Stehen wir an der Schwelle zu oligopolistischen Strukturen?

In den 1990er Jahren wurden der westlichen Wirtschaft mit der friedlichen Lösung des Ost-West-Konflikts neue Absatzräume eröffnet. Jetzt, kaum 15 Jahre später, wächst die Gefahr von kriegerischen Auseinandersetzungen. Die zweifellos vorhandene Gefahr des Terrorismus wird dabei nur allzu gerne vor den Karren bestimmter Interessen gespannt. Im internationalen Maßstab bilden sich neue Allianzen, alte, seit dem Ende des zweiten Weltkrieges bewährte, erschöpfen sich. Die Welt wird neu aufgeteilt. Auch dies stellen wir in den Gesamtzusammenhang einer tief greifenden Umwälzung.

Nachdem wir im ersten Teil unseres Buches die aktuellen Tendenzen nachgezeichnet haben, fragen wir im zweiten Teil: Hat es in der Geschichte der Menschheit bereits Präzedenzfälle für unsere gegenwärtige Entwicklung gegeben? Wie erging es Völkern und Nationen nach dem Überschreiten des Gipfels ihrer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung? Wir schauen uns das Schicksal der Griechen und Römer an. Aber auch die jüngere Geschichte bietet Beispiele: Der Fall Großbritanniens von der Welt- zur Regionalmacht ist ein solches.

In der Geschichte hatten Gold und Silber als Zahlungsmittel eine bewährte Funktion. Mit der Abschaffung der Golddeckung in den Währungssystemen wurde dieses automatisch wirkende Regulativ abgeschafft. Seit den 1930er Jahren und den Lehren von Keynes glaubt die Wirtschaftswissenschaft, durch staatliche Interventionen den gesellschaftlichen Wohlstand sichern zu können.

Wir wollen zeigen, dass die Entwicklung der Weltwirtschaft, ja der menschlichen Gesellschaft insgesamt nicht gradlinig verläuft, sondern sich in Wellen bzw. Zyklen bewegt. Menschen wie Elliott, Kondratieff oder Dow haben auf diesem Feld hervorragendes geleistet. Kondratieff geht davon aus, dass ein langer Wirtschaftszyklus etwa 53 Jahre beträgt. Charles Dow hat die Entwicklung von Bullen- zu Bärenmärkten und zurück eingehend beschrieben. Elliott glaubte, mit seinem Wellenschema ein Bewegungsmuster für die Börse, ja für alle sozialen Vorgänge entdeckt zu haben.

Karl Marx wurde in jüngster Zeit wieder entdeckt. Seine Thesen sind aktueller den je. Er hat die Zwangsläufigkeit der Globalisierung vorhergesagt. Eine seiner Kernüberlegungen gilt dem Phänomen des tendenziellen Falls der Profitrate. Unternehmensgewinne nehmen ab, wenn es nicht gelingt, zu expandieren oder teuere durch preiswerte Arbeitskräfte zu ersetzen. Für das Verständnis heutiger wirtschaftlicher Entwicklungen sind Kenntnisse über den von Marx geprägten dialektischen Materialismus und seine politische Ökonomie äußerst nützlich.

Auf diesem Fundament aus aktuellen Trends und philosophisch-wissenschaftlichem Hintergrund entwickeln wir im dritten Teil unseres Buches mögliche Zukunftsperspektiven anhand von prägnanten Szenarien. Dabei favorisieren wir grundsätzlich die globale Betrachtungsebene, da sich die europäische Entwicklung globalen Trends kaum nennenswert entziehen dürfte.

Jeder der beiden Autoren entwickelt dabei sein eigenes Modell. Uns erscheint mit diesem Buch viel erreicht, wenn unser Beitrag zu einer notwendigen Zukunftsdebatte den Leser anregt, seine eigenen Gedanken und Schlüsse zu formen und zu vervollständigen.



Inhaltsverzeichnis


Teil I Welt im Wandel - eine Bestandsaufnahme

1 Folgen des Fortschritts
a Wohin entwickelt sich die Weltbevölkerung?
b Die Endlichkeit fossiler Brennstoffe
c Globale Erwärmung

2 Wirtschaft und Finanzen
a Produktivität - Stillstand ist Rückschritt
b Elektronik-Märkte in der Sättigung
c Arbeitsmarkt in der Dauerkrise
d Profite im Wandel
e Schulden ohne Ende
f Wirtschaft - global
g Inflation oder Deflation?

3 Die „moderne“ Gesellschaft
a Bedürfnisse
b Arbeit, Freizeit und Tourismus
c Farbsymbolik
d Spektakel und Sport
e Korpulenz und Konsum
f Scheidungsraten und Erziehungsprobleme
g Steigende Selbstmordraten
h Fazit

4 Demokratie am Scheideweg

5 Weltpolitik: Blöcke in Bewegung


Teil II Was die Welt bewegt

1 Wiederholt sich die Geschichte?

2 Aufstieg und Fall von Hochkulturen
a Aspekte der hellenisch-römischen Kultur
b Westliche Kultur vom 16. bis 20. Jahrhundert

3 Die historische Rolle von Gold und Silber

4 Der historische Verlauf des Aktienmarktes

5 Die Welt entwickelt sich in Wellen - von Dow zu Elliott

6 Die Welt entwickelt sich in Zyklen
a Ökonomische Zyklustheorien – ein Überblick
b Kondratieff und seine langen Wirtschaftszyklen
c Sonstige Zyklustheorien

7 Die Welt entwickelt sich durch Widersprüche
a Dialektischer Materialismus
b Historischer Materialismus
c Marxistische Ökonomie
d Politik und Gesellschaft: Das Sein bestimmt das Bewusstsein
e Marx heute

8 Wellen, Zyklen oder Widersprüche?


Teil III Optionen für das 21. Jahrhundert

1 Zusammenfassung der Kernaussagen

2 Erläuterung der Szenarien

3 Szenario A

4 Szenario B

Schlussbemerkung


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