S&P – Baisse voraus?

Der S&P 500 hat in den zurückliegenden fünf Handelstagen 3,9% verloren. Ist das im historischen Kontext viel oder wenig? Sind das nur Gewinnmitnahmen in einem ansonsten intakten Bull-Run? Oder steckt darin der Keim einer Baisse bei Aktien?

Nachdem im Chart des S&P 500 (Chartquelle) zuletzt immer steilere Aufwärtslinien einzuzeichnen waren (siehe hier!), wurde die seit der Jahreswende gültige Aufwärtslinie am 30. Januar mit einer Abwärtslücke gebrochen. Am Folgetag blieb der Versuch erfolglos, diese wieder zu schließen. Am 2. Februar stürzte der Index dann mit einer weiteren kleinen Abwärtslücke ab und stoppte erst an einer weniger steilen Aufwärtslinie aus Mitte November 2017.

Im historischen Kontext zählt das Ausmaß des Kursrückgangs zu den größten wöchentlichen Abschlägen innerhalb der zurückliegenden gut sechs Dekaden. Der folgende Chart (Chartquelle) zeigt ihn im statistischen Zusammenhang mit den wöchentlichen Abschlägen seit Anfang 1955. Deutlich wird, dass er die Zone nach unten verlassen hat, in der die Wochenperformance einer Normalverteilung folgt (blaue Linie im Chart), für die Mandelbrot die Bezeichnung „milder Zufall“ geprägt hat. Wir befinden uns im Bereich des Mandelbrotschen „wilden Zufalls“, in dem das System der Kursmechanik instabil/chaotisch ist und bereits kleine Anlässe große Wirkung entfalten können.

Im Zusammenhang mit historischen Drawdown-Perioden der zurückliegenden gut sechs Dekaden erscheint der aktuelle Kursrutsch im S&P 500 vergleichsweise gering. In der Spitze wurde Ende 2008 –57% gemessen. Das Platzen der dotcom-Blase führte zu einem Rückgang um fast 50%, der Crash vom Oktober 1987 brachte es auf –34%, in der Ölkrise der 1970er Jahre kam es zu einem Kursrückgang um 48%. Das mag zu Sorglosigkeit anstiften, sollte es aber nicht – insbesondere, weil wir uns aktuell bereits im chaotischen Zustand des Systems der Kursmechanik befinden.

Handelt es sich nur Gewinnmitnahmen in einem ansonsten intakten Aufwärtstrend? Der S&P 500 hatte über seinen fast neun Jahren anhaltenden Bull-Run mehrfach einen steileren Aufwärtskanal ausgebildet. Der im folgenden Chart (Chartquelle) braun gekennzeichnete Kanal geht zurück auf 2009, der magentafarbene wurde letztendlich etabliert, als der Index im Herbst 2011 in seine Partizipationsphase eintrat. Der grüne Kanal wurde im zweiten Quartal 2016 aktiv, im November 2016 begann mit der Wahl Trumps zum US-Präsidenten nach einem nochmaligen Test der Unterseite dieses Kanals die nach Dow-Theorie dritte und letzte Phase eines Bull-Runs, die Phase des „spekulativen Exzesses“.

Diesbezüglich wäre der Aufwärtstrend des S&P 500 so lange intakt, so lange die Untergrenze des zuletzt aktiven Aufwärtskanals (grün) nicht gebrochen wird. Diese liegt zurzeit bei 2525, der Kanal steigt um 6,7 Punkte pro Woche. Wird die Oberseite dieses Kanals bei aktuell 2715 gebrochen, dürfte es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zumindest zu einem schnellen Test der Oberseite des Aufwärtskanals aus Herbst 2011 kommen (aktuell rund 2640).

Steckt im Kursrückgang der zurückliegenden Woche der Keim einer Baisse bei Aktien? Die Unternehmensgewinne des vierten Quartals 2017 im S&P 500 werden mit +13,6% y/y erwartet. Die Trumpsche Steuerreform soll in 2018 zusätzlich zum normalen Geschäft neun Prozent Gewinnsteigerung bringen. Unternehmensgewinne sind der wichtigste langfristige Treiber für Aktienkurse. „Langfristig“ bedeutet nicht „immer“, besonders wenn das Kurs-Gewinn-Verhältnis wie aktuell eine sehr hohe Bewertung von Aktien anzeigt.

Das hohe Kursniveau führt dazu, dass die Dividendenrendite im Dow Jones Index mit gut 2,1% mittlerweile nur noch so hoch ist wie die Rendite zweijähriger US-Treasurys. Mit den Renditesteigerungen der zurückliegenden Wochen gewinnt die Anlage in Bonds insgesamt an Attraktivität gegenüber Aktien. Dies wird im folgenden Chart gezeigt. Als faires KGV gilt der Kehrwert der Rendite für zehnjährigeTNotes. Je niedriger dieser Wert ist (je höher die Rendite), je teurer sieht der Aktienmarkt (violett) aus. Aktuell beträgt die Überbewertung bei Aktien aus dieser Sicht rund 22%. Die Schere zwischen beiden Anlagealternativen ist weit aufgerissen, eine Balance wäre bei einem Indexstand des S&P 500 von rund 2500 erreicht. Das deckt sich in etwa mit der aktuellen Untergrenze des Aufwärtskanals des S&P 500, der die Dow-Phase „spekulativer Exzess“ seit November 2016 begleitet.

Aus Sicht der erreichten hohen Aktien-Bewertung und demgegenüber der Attraktivität von Bonds ergibt sich zunächst nur die Erwartung einer zyklischen Ausgleichsbewegung, jedoch kein Ansatz für eine Aktien-Baisse.

Im Kontext einer hochgradig Schulden-finanzierten Wirtschaft kommt den Anleihen jedoch eine im Vergleich zu Aktien viel wichtigere Indikatorfunktion für die wirtschaftliche Entwicklung zu. Bonds haben für den Anleger gegenüber Aktien den Vorteil, dass sie laufende Zinseinkünfte generieren und kein Kursrisiko beinhalten, wenn sie bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden. Diese Argumente für eine „sichere“ Anlage in Anleihen gelten allerdings nur so lange, so lange die Bonität der Schuldner gut ist.

Der sogenannte Minsky-Moment rückt nahe, wenn die Zinsen so hoch werden, dass bestehende Schulden nicht mehr revolviert werden können. Das Zinsniveau, bei dem dies eintritt, ist umso niedriger, je weniger rentabel die zuvor getätigten Investionen sind. Die Geldflut der Zentralbanken mit der Folge von Niedrigstzinsen hat kreditfinanzierte Investitionen mit vergleichbar niedriger Rendite begünstigt.

Das Renditeniveau für zehnjährige TNotes lag zwischen den Rezessionen 2001 und 2008 im Schnitt bei etwa 4,5%. Nach 2009 kam es im Durchschnitt auf knapp 2,5%, gegenwärtig notiert es bei 2,85%. Bei drei Prozent liegt ein sehr wichtiger Pegel. Wird dieser signifikant gebrochen, kann ein Doppelboden aus Juli 2012 und Juli 2016 als bestätigt gelten. Das würde ein rechnerisches Ziel von 4,6% freisetzen. Wenn man beim S&P500 von einer zuletzt gebildeten Fahnenstange sprechen kann, so gilt das auch für den Verlauf der Rendite der zehnjährigen TNotes seit Jahresbeginn. Mehrfach wurden Aufwärtslücken gerissen, der Chart ist stark überkauft. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die drei-Prozent-Marke jetzt noch getestet wird.

Eine langsam steigende zehnjährige TNote-Rendite löst alleine noch keinen Rezessions-Alarm aus, sondern ist zunächst lediglich eine Antwort auf steigende Preise und damit eine florierende Wirtschaft. Ihr kommt eine Referenzfunktion zu. Das bedeutet aktuell, dass der Minsky-Moment mit seiner akuten Pleitegefahr schon erreicht wird, wenn das Zinsniveau längere Zeit deutlich über der Schwelle von 2,5% liegt.

In der Regel zeichnet sich eine heraufziehende Rezession dadurch aus, dass die Treasury-Renditen insbesondere am langen Ende schnell sinken, weil Investoren Sicherheit in Staatsanleihen suchen. Gleichzeitig steigen die Zinsen, die Unternehmen für neue Kredite zahlen müssen, deutlich an, der Spread zu der Referenzrendite der TNotes weitet sich schnell aus.

Besonders sensibel reagieren die Renditen von Hi-Yield US-Anleihen. Wenn der Spread zu zehnjährigen TNotes (z.B. nach “BofA Merrill Lynch US High Yield Master II Option-Adjusted Spread”) eine kritische Zone oberhalb von 7,0% erreicht, wird es ernst. Aus dem Chart wird ersichtlich, dass bei Überschreiten dieser Zone (rote Linie im Chart) in den zurückliegenden knapp 20 Jahren im S&P 500 jeweils heftige Abwärtsreaktionen zu erwarten waren und in diesem Kontext auch Rezessionen einsetzten. Bei einem Spread von mehr als fünf Prozent sollten aber schon die Alarmglocken klingeln.

Ein wichtiger Liquiditäts-Indikator ist der TED-Spread, die Differenz zwischen dem Dreimonats-Libor und der Rendite für 13-wöchige US-TBills (IRX). Mit zunehmender Liquidität der Banken steigt das Angebot am Geldmarkt, der Spread sinkt. Umgekehrt führt ein Rückgang der Liquidität zu einem steigenden Spread. Wenn Banken der weiteren Entwicklung im Bankensystem misstrauen, verkaufen sie Assets und schichten in TBills um (IRX als “Parkplatz”). Der TED-Spread wird auch von Inflationserwartungen beeinflusst – je höher sie sind, je höher liegt sein Niveau. Aktuell steht der TED-Spread bei 0,36%. Vor 2000 dürfte der kritische Pegel etwa 1,0% betragen haben, vor 2008 lag er eher bei 0,7% und seit 2009 dürfte knapp 0,5% eine kritische Grenze darstellen.

Aus der Sicht dieser beiden Indikatoren ergibt sich bisher keine kritische Situation. Was bleibt, ist das elaborierte Rendite-Niveau bei den zehnjährigen TNotes, das man im Auge behalten muss.

Das bekam am vergangenen Freitag in Zusammenhang mit den US-Arbeitsmarktdaten neue Nahrung. Zwar hat sich die Dynamik bei der Entwicklung der Arbeitsplätze aufs Jahr gesehen abgeschwächt, aber die Löhne sind im Januar im Vergleich zum Vorjahr mit fast 2,9% so stark gestiegen wie zuletzt im Juni 2009. Das ließ die Inflationserwartungen ansteigen, die Angst vor einer verschärften Gangart der Fed bei den Zeitzinsen ging um, im S&P 500 wurde umgehend Geld vom Tisch genommen.

Bei den Makroindikatoren für die US-Wirtschaft ist momentan (fast) alles im grünen Bereich, manche sehen sogar schon eine Überhitzung kommen. Natürlich hängen sie im Zeitablauf hinterher, da aber auch ihre kurzfristigen Richtungen noch auf weitere Expansion hindeuten, scheint eine Rezession nicht anzustehen, zumindest nicht auf Sicht der nächsten sechs bis neun Monate. Bisher hatte die Erwartung einer „schönen“ Teuerungsrate die Bullen beflügelt – jetzt, wo sie da zu sein scheint (auch andere Preisindices unterlegen das), wird die Neuigkeit verkauft.

Ich würde nicht davon ausgehen, dass der Rückzug im S&P 500 der zurückliegenden Woche bereits ein Vorbote einer Baisse bei Aktien ist. Mit Sicherheit wird allerdings die Volatilität zunächst hoch bleiben und übergeordnet vermutlich zunächst noch mehr Geld vom Tisch genommen. Der neue Fed-Chef wird einem intensiven Test unterzogen werden, wie er es mit den an ihn gerichteten Erwartungen hält, weiterhin eine moderate Zinspolitik zu betrieben. Die Renditeentwicklung muss im Auge behalten werden.

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