Warum gibt es negative Zinsen?

Vor 2008 galt es als normal, dass Zinsen positiv sind. Heutzutage reichen die Renditen mancher Staatsanleihen bis in den negativen Bereich. Es gibt sogar Anleihen von nicht einmal besonders hoch gerateten Unternehmen, bei denen die Rückzahlung bei regulärer Fälligkeit geringer ausfällt als dem Nennbetrag entspricht.

Was ist überhaupt der Zins? Ich hatte mich mit dieser Frage schon einmal in diesem Artikel beschäftigt. Es gibt verschiedende Theorien dazu – kurz zusammengefasst:

(1) Diejenigen, die Kapital ausleihen, wollen dafür einen Ertrag, eben den Zins. Dessen Höhe wird zum Teil von der Frage bestimmt, welchen Ertrag eine alternative Verwendung abwerfen würde.

(2) In einer Wirtschaft mit vollständiger Konkurrenz wird der Unternehmensgewinn im Laufe der Zeit eingeebnet. Es verbleibt gesellschaftlich aber eine (positive) Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis, die als Ertrag für das in der Produktion eingesetzte Kapital verstanden wird.

(3) Gegenwärtige Güter werden höher bewertet als künftige gleichwertige Güter. Der Zins ist dann ein Maß für den Unterschied in der Bewertung auf der Zeitachse. Je höher die Gegenwartspräferenz ist, je höher muss der Zins sein.

Es ist zunächst gleichgültig, wie man das Zustandekommen des Zinses begründet, alle Erklärungen legen nahe, dass er gewöhnlich positiv ausfällt. Das leuchtet auch unmittelbar ein: Jemand, der Kapital verleiht, möchte einen Ertrag dafür, dass er auf eine andere Verwendung verzichtet. Eine Produktion wird so lange fortgeführt, so lange sie kostendeckend ist und das eingesetzte Kapital keine rentierlichere Beschäftigung findet. Und auch der Anreiz, den Besitz von Gütern auf die Zukunft zu verschieben, erfordert hierfür eine Prämie.

Der Zins ist gewöhnlich mindestens so hoch, wie es der Geldentwertung entspricht. Ist er niedriger, werden Kapitalbesitzer die Kreditvergabe einschränken und nach anderen Verwendungsformen suchen. Weitere, die Höhe der Verzinsung bestimmende Parameter sind die Bonität des Schuldners, sowie die Kapitalkosten. Bei der Zeitpräferenz spielt eine besondere Rolle, wie risikobehaftet der Ausblick auf die Zukunft ist – je höher das Risiko, je höher wird der Zins ausfallen.

Offenbar leben wir nicht in gewöhnlichen Zeiten – es gibt punktuell negative Zinsen. Entweder sind die Marktteilnehmer, die sich auf negative Zinsen einlassen, von allen guten Geistern verlassen, sprich dumm. Oder die Kapitalkosten sind negativ, oder es besteht die Erwartung einer massiven Deflation, oder die Zeitpräferenz dreht sich herum, künftige Güter gelten als wertvoller als gegenwärtige (was auch im Falle starker Deflation eintreten würde).

Die Bilanzen der Zentralbanken sind weltweit von sechs Bill. Dollar in 2008 innerhalb nicht einmal einer Dekade auf 20 Bill. Dollar angeschwollen. Mit der Kapitalflut sind die Zinsen (Kapitalkosten) stark gesunken, der Marktzins liegt zudem unter dem realen Zins, die Kapitalkosten sind jedoch nicht negativ. Die Inflation ist (wieder) deutlich positiv. Die Unsicherheit in die Zukunft hat sicher nicht so weit abgenommen, dass damit eine sinkende Zeitpräferenz zu erklären wäre – im Gegenteil.

All das müsste die Zinsen im positiven Bereich halten. Dass es dennoch, wenn auch nicht flächendeckend, negative Zinsen gibt, dürfte zwei Gründe haben: Erstens bestehen gewisse Erwartungen einer massiven Deflation, zweitens aber haben die Zentralbanken durch ihre Geldflut die Marktmechanismen außer Kraft gesetzt, d.h. die Zinsen massiv nach unten manipuliert.

Zinsen dürften in einer kreditgetriebenen Volkswirtschaft zu den wichtigsten Preisen gehören. Eine Manipulation hier hat letztlich Auswirkungen auf alle Preise in der Wirtschaft mit der Folge, dass die gesellschaftliche Produktion fehlgesteuert wird. Angebot und Nachfrage kommen immer schlechter in Einklang, es werden immer mehr weitere Eingriffe in die Marktmechanismen erforderlich, bzw. damit rechtfertigt.

Das könnte auch Auswirkungen auf die Aussagekraft der Zinsstruktur haben, die in der Vergangenheit in der Regel sehr häufig zuverlässige Signale hinsichtlich des Heraufziehens einer Rezesseion gegeben hat. Die Aussagekraft solcher Spreads und damit der Zinsstruktur insgesamt dürfte aber auch in Zeiten der Zentralbank-Manipulationen gegeben sein, so lange man davon ausgehen kann, dass sich die Verzerrungen einigermaßen gleichmäßig auf das gesamte Laufzeitenspektrum auswirken.

Der Spread der zehnjährigen US-TNotes etwa zu den zweijährigen US-Treasurys ist zuletzt auf einen Wert geschrumpft, der Mitte 2007 erreicht wurde – einige Monate, bevor damals eine Rezession einsetzte, in deren Verlauf es dann zum Ausbruch der Finanzkrise kam.

Die Manipulation der Zentralbanken wirkt sich darin aus, dass das Zinsniveau das Risiko der Kreditgeber nicht ausreichend widerspiegelt. Das führt zu trügerischer Sicherheit. Abgesehen davon führt es auch dazu, dass wenig rentierliche Investitionen getätigt werden, die sich rasch als Zuschussgeschäft erweisen, wenn die Zinsen tatsächlich wieder nachhaltig ansteigen. Das ist dann eine wichtige Bedingung dafür, dass die ohnehin bis zum Bersten gefüllte Kreditblase platzen könnte und sich sich die Verhältnisse daraufhin überschlagen, sprich die Zentralbanken möglicherweise dann nicht mehr Herr des Geschehens sind.

Ergänzung:
Stellt man bei der Erklärung des Zinses auf die Zeitpräferenz ab, so treiben aktuell die mit der Zukunft verbundenen Risiken das Zinsniveau hoch, andererseits wird es durch Erwartungen einer massiven Deflation gedrückt. Per Saldo kompensieren sich die beiden Effekte bis zu einem gewissen Grade.

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