Heute Katalonien und morgen?

Gut 42% der wahlberechtigten Katalanen haben am zurückliegenden Sonntag mit 90% für die Unabhängigkeit von Katalonien gestimmt. Die spanische Zentralgewalt hatte das Referendum für illegal erklärt und versuchte, dessen Durchführung mit massiver Polizeigewalt zu verhindern.

Katalonien ist aufgrund geschichtlicher und kultureller Besonderheiten eine der „historischen Autonomen Gemeinschaften“ Spaniens. Die Landfläche ist etwa so groß wie die von Belgien, in Katalonien leben 7,5 Millionen Menschen. Die katalanische Geschichte reicht mehr als 1000 Jahre zurück. Vor einigen Jahrzehnten stand die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien schon einmal an. Als diese damals erklärt wurde, putschte General Franco (mit deutscher Hilfe) im spanischen Bürgerkrieg.

Danach war die katalanische Sprache und Kultur jahrzehntelang verboten, jegliches Aufbegehren wurde massiv unterdrückt. Nach Ende des Franco-Faschismus erhielt Katalonien 1979 ein neues Autonomiestatut. Die Erfahrung der Unterdrückung wirkt bis heute nach und speist Ressentiments gegen die spanische Zentralgewalt in Madrid.

Bevor die katalanische Regierung auf völlige Unabhängigkeit setzte, versuchte sie bei der spanischen Zentralregierung eine Änderung des Finanzausgleichs durchzusetzen und Privilegien zu bekommen, die mit denen des Baskenlandes (und Navarra) vergleichbar sind.

Das Baskenland und Navarra, die Regionen mit dem höchsten Haushaltseinkommen in Spanien, haben volle Budgetautonomie. Im Vergleich zum baskischen Beitrag zum spanischen BIP von etwa 6% steuert Katalonien fast 20% bei. Der Nettotransfer Kataloniens beträgt jährlich 8% seines BIP oder gut 15 Mrd. Euro. (Zum Vergleich: Die Hauptzahler im deutschen Länderfinanzausgleich zahlen etwa ein Zehntel dieses Betrags.) Würde Katalonien in ähnlicher Form entlastet wie das Baskenland, wäre die Grundversorgung in vielen spanischen Regionen gefährdet.

Die Hoffnung auf einen Neubeginn eint gegenwärtig in einer Art „nationaler Verklärtheit“ die unterschiedlichsten Strömungen in Katalonien. Wenn das Projekt der Unabhängigkeit überhaupt jemals gegen alle Wahrscheinlichkeit Realität würde, wären seine Aussichten auf einen längeren Bestand wohl gerade wegen dieser Heterogenität schlecht.

Für mich ist die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien zunächst ein Beleg dafür, wie wenig gefestigt der spanische Nationalstaat ist. Sie ist auch ein Beleg dafür, wie sehr dieser mit dem Rücken an der Wand steht. Statt den Dialog aufrecht zu erhalten, antwortet die Regierung in Madrid mit Polizeigewalt und verschärft damit den Konlikt. Und ruft Erinnerungen an das Vorgehen des Franco-Regimes wach.

Wie dargestellt, gibt es historische und wirtschaftliche Besonderheiten, die in Katalonien besonders starke Bestrebungen nach Unabhängigkeit haben entstehen lassen. Wenn man aber lange genug sucht, wird man in vielen anderen Regionen Europas Gründe finden, warum diese ebenfalls ihre Unabhängigkeit verdienen. Warum nicht auch Bayern – vielleicht mit König Horst an der Spitze?

Im europäischen Maßstab weist "Katalonien" darauf hin, dass es zahlreiche Konflikte innerhalb der einzelnen Nationalstaaten gibt. Frankreich hat Korsika. Großbritannien hat Schottland und Nordirland, in den baltischen Staaten gibt es eine starke russische Minderheit, Italien hat Südtirol. Und nicht wenigen Basken geht der erreichte Status nicht weit genug, sie wünschen sich die vollständige Unabhängigkeit von Spanien.

Offenbar besteht ein großes Misstrauen gegen politische Zentralgewalten. Regionen fühlen sich nicht gut vertreten, fühlen sich in ihren Eigenheiten zu wenig respektiert oder sie fühlen sich ausgenutzt. Solche latenten Konflikte gibt es auch auf der Ebene der Mitgliedsstaaten in der EU und in der Eurozone.

Die katalanische Frage wird die Liste ungelöster Probleme in Europa verlängern. Dort stehen schon die Flüchtlingsproblematik, die undemokratischen Bestrebungen u.a. in Ungarn und Polen, das Griechenland-Debakel, der Brexit, Italien mit seinem besonders maroden Bankensystem und ganz generell die Frage struktureller Reformen innerhalb der EU und der Eurozone, wie sie jetzt wieder von Macron und Juncker aufgeworfen worden ist.

In einem zyklischen wirtschaftlichen Aufschwung fallen alle diese Einträge auf der europäischen „todo“-Liste nicht sonderlich ins Gewicht. Dann bleibt es auch eher unter der Decke, dass Deutschland über Jahre am meisten von der sogenannten europäischen Einigung, der Brüsseler Zentralgewalt und der Geldflut der EZB profitiert hat. Kommt aber der unvermeidliche Abschwung, stellt sich all das angesichts der schwachen Basis (siehe auch hier!) mit besonderer Schärfe dar. Dann rückt auch wieder ins Bewusstsein, dass die Machtfülle in Brüssel demokratisch nicht legitimiert ist.

Ganz nebenbei stellt sich dann auch wieder die Frage, wie sicher die Forderungen der Deutschen Bundesbank aus den Targetkrediten des Eurosystems eigentlich sind. Sie belaufen sich gegenwärtig auf über 850 Mrd. Euro.

[Karrikatur von Klaus Stuttmann]

Nachtrag:
(10.10.17) Lesenswert: "Sezession – können und dürfen die das?"

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