Helfen die Vorschläge von Macron?

Just in dem Moment, in dem die deutsche Politik durch Zerfall der Großen Koalition gelähmt ist und die bisherige (und wohl auch künftige Kanzlerin – auf Zeit) in der zurückliegenden Bundestagswahl einen deutlichen Denkzettel bekommen hat, prasseln Vorstöße zur Reform von EU und Eurozone hernieder.

Vor einigen Tagen hatte EU-Kommissionspräsident Juncker vorgeschlagen, die Konvergenzkriterien hinsichtlich der Aufnahme in die Eurozone aufweichen und möchte in letzter Konsequenz die EU in der Eurozone aufgehen lassen. Dazu denkt er auch daran, den Beitritt mit finanziellen Anreizen zu versüßen. Im Kern laufen seine Vorschläge darauf hinaus, die Geschichte seit 2000 zu wiederholen.

Der französische Staatschef Macron legte vor einigen Tagen nach. Unter Bezug auf den Wahlerfolg der AfD rief er Merkel zu, es sei jetzt kein Rückzug, kein Zögern angesagt, sondern Wagemut und Sinn für die Geschichte. („Geschichte“ oder „Geschichten“?) Macron fürchtet, dass in Berlin nun eine wochenlange politische Lähmung einkehrt und am Ende nur ein minimaler Kompromiss zur Reform der EU und der Eurozone herauskommt. Merkel hatte schon ihren Wahlkampf ohne konkrete Aussagen zur Zukunft der EU geführt.

Nun prescht Macron vor, er will kein Europa der „Technokraten“, sondern eine „souveräne, einige und demokratische“ Union. Dazu soll die Eurozone ein eigenes Budget bekommen. Das soll Investitionen in europäische Projekte ermöglichen und im Falle einer Wirtschaftskrise zur Stabilisierung der Währungsunion beitragen. Der Haushalt könnte zunächst durch höhere Steuerzahlungen großer Internetunternehmen und Steuern für den Klimaschutz finanziert werden. Später sollen dann die Staatshaushalte der Mitgliedsländer einzahlen.

Zudem will er Konzerne wie Google und Apple dort besteuert sehen, wo sie ihre Einnahmen generieren. Auch soll die Internetwirtschaft europaweit verstärkt reguliert werden. Eine europäische Agentur für „disruptive Innovation“ soll Start-Ups ermutigen und Entwicklungen finanzieren.

Als Drittes will er eine europäische Asylbehörde schaffen, wodurch Asylanträge schneller bearbeitet werden können. Außerdem müssten die Einwanderungsgesetze harmonisiert werden. Die EU-Außengrenzen sollen mit einem neuen europäischen Grenzschutz besser geschützt werden. Und ein EU-Projekt zur Ausbildung und Integration von Einwanderern soll es auch geben.

Macron hat gegenüber früher geäußerten Vorschägen Abstriche gemacht. Zuvor hatte er die Höhe des Eurozonen-Budgets bei mehreren Prozentpunkten des BIP gesehen – jetzt nannte er keine konkrete Höhe. Die Eurozone wäre mit dem ursprünglichen Vorschlag finanziell stärker geworden als die EU, die nur über einen Prozentpunkt des BIP ihrer Mitglieder verfügt.

CSU und FDP haben bereits jede Vergemeinschaftung der Staatsschulden abgelehnt, ein machtvoller Eurofinanzminister und ein eigenes Eurozonen-Parlament stoßen in Berlin auf keinerlei Gegenliebe. Merkel hat stets vor allem die Rettung und Verwaltung des Status Quo betrieben, irgendwelche „Visionen“ gab es nicht. Sie will den ESM stärken und zu einem Überwacher der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedsländer ausbauen. Einen Finanzminister soll es entweder gar nicht geben oder wenn, dann nur mit minimalen Kompetenzen. Bei einem Eurozonen-Budget denken Merkel und die CDU eher an einen (kleinen) Fonds, der Länder der Eurozone bei der Durchführung struktureller Reformen unterstützt.

Ein Eurozonen-Budget wird die Probleme der Eurozone ebenso wenig lösen wie die Schaffung des Amtes eines europäischen Finanzministers. Beides wird die Stabilität des Finanzsektors nicht verbessern, die v.a. dadurch zustande gekommen ist, dass Haftung und Kontrolle in der Wirtschafts- und Finanzpolitik immer stärker auseinanderfallen. Die Geldflut der EZB ist nur ein Glied in der Kette dieser Entwicklung.

Am Ende kommt es wahrscheinlich zu einem faulen Kompromiss. Mit einem symbolischen, mit geringen Mitteln und ohne Kreditaufnahmekapazität ausgestatteten Budget in der Eurozone und vielleicht einem europäischen Finanzminister ohne Befugnisse käme man Frankreich entgegen. Dafür setzt dann Deutschland striktere Interventionsregeln auf europäischer Ebene durch, womöglich mit einer symbolischen Verschärfung der nationalen Haushaltsregeln. Dann kann sich nach guter Eurozonen-Manier jeder zuhause auf die Brust klopfen. Ein solcher Kompromiss erzeugt zudem ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Weitere Konflikte der Mitgliedstaaten mit „Brüssel“ sind vorprogrammiert.

Die Vorschläge Junckers laufen v.a. darauf hinaus, die EZB weiter einzuspannen und die Politik der Geldflut zu perpetuieren. Die Vorschläge Macrons lösen die strukturellen Probleme der Eurozone ebenfalls nicht, weil sie die Finanzstabilität nicht adressieren. Die gemeinschaftliche Haftung existiert de facto schon, etwa durch den ESM, momentan allerdings nur latent. Ein Budget nach Macrons Vorstellungen würde die Tür öffnen in Richtung einer operativen Gemeinschaftshaftung.

Die Geldpolitik der EZB untergräbt die Kraft der Real-Wirtschaft, die Produktivitätszuwächse sinken mehr und mehr. Die Politik in Brüssel und anderswo hat durch die Geldflut Zeit bekommen, diese aber nicht genutzt. Im Gegenteil – mit dem dadurch erweiterten Kreditspielraum wurden Versprechen der etablierten Regierungsparteien finanziert, um ihre Wählerschaft bei der Stange zu halten. Die EZB spielt mit, kauft in großem Umfang Staatsanleihen und hält damit die Zinsen niedrig.

Das hilft auf der politische Ebene aber offenbar immer weniger. Deutschland ist dabei zusammen mit Schweden noch auf einer Insel der Glückseligen, in vielen Ländern Europa liegen die Wahlergebnisse rechtspopulistischer Parteien mittlerweile deutlich über 15%.

Dass Deutschland noch relativ wenig „angefressen“ ist, liegt in erster Linie daran, dass es bisher der hauptsächliche Profiteur in der Geschichte der Eurozone ist. Das ist auch der Grund dafür, warum Merkel & Co so wenig motiviert sind, die Eurozone gründlich zu reformieren. So lange die EZB die Zinsen schön niedrig hält, geben die Länder der südlichen Peripherie lieber neue Staatsanleihen aus, um noch ein wenig weiter zu machen wie zuvor. Das wiederum gefällt der deutschen Industrie, weil sie dadurch europäische Wettbewerber weniger fürchten muss.

Da aber das Produktivitätswachstum immer weiter sinkt, gibt es auch immer weniger zu verteilen, die alten Politikmuster stoßen an Grenzen. Die EZB hat durch ihre Geldpolitik diese Grenzen einerseits großzügiger gestaltet, andererseits aber dazu beigetragen, dass das realwirtschaftliche Fundament durch weiter sinkende Produktivitätsfortschritte immer weiter destabilisiert wird (siehe hier!).

Ein Ausstieg aus der ultra-lockeren Geldpolitik der EZB könnte die Versprechungen der etablierten Politik als unhaltbar entlarven. Daher kommt aus ihren Reihen auch kaum Kritik daran, auf die kurzfristig positiven Steuer- und Ausgabeneffekte der Geldpolitik auf die Staatshaushalte möchte man ungerne verzichten. Im Umkehrschluss würde ein Ausstieg der EZB aus der Geldflut-Politik den Spielraum für „Geschenke“ einengen und so rechtspopulistischen Kräften weiteren Auftrieb geben.

In diesem Umfeld versucht Macron taktisch geschickt, den Fokus der Bevölkerung auf „Visionen“ zu lenken – weg von der „Nabelschau“ des Ist-Zustands. Die deutsche etablierte Politik hält das nicht für nötig – hier steht der relativ bessere Status quo im Mittelpunkt. Aber bezogen auf die deutsche Situation lauert das Risiko, dass eines Tages der Immobilien- und Exportboom zu Ende geht. Dann dürfte sich das wirtschaftliche und politische Klima in Deutschland eintrüben. Ob dann noch „Visionen“ helfen?

Die Eurozone und die EU haben sich in eine Sackgasse manövriert. Sinkende Produktivitätsfortschritte sind kein alleiniges europäisches Problem, aber verbunden mit den zusätzlichen Kosten, die erforderlich sind, um ein morsches Gebilde vor dem Einsturz zu bewahren, stellen sich die Konsequenzen hier besonders brisant dar. Die jetzt zirkulierenden Vorschläge zu einer Reform dürften kaum weiterhelfen, insbesondere nicht auf der Ebene der Stabilität des Finanzsystems.

[Unter Verwendung von Material aus "Die EZB treibt die politische Polarisierung"]

Nachtrag:
(2.10.17) Klaus-Rüdiger Mai kritisiert die Vorschläge von Macron in "Auf dem Holzweg in die Universalrepublik". Es würden immer mehr Entscheidungsmöglichkeiten in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik von den Mitgliedsstaaten nach Brüssel verlagert, also von demokratisch legitimierten zu demokratisch nicht legitimierten Institutionen.

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